Kreis und quer:Giftige Kommentare

Andernorts würde man wegen Schlangen wohl eher Alarm schlagen als jubeln. In Sauerlach aber freuen sich die Anwohner über die Schlingnatter: Sie verhindert den Bau eines Asylheims

Von Michael Morosow

Die Schlingnatter ist 2013 zum Reptil des Jahres gekürt worden. Ihre Art ist bedroht, weshalb sie zu den besonders schützenswerten Tieren zählt. Das freilich war nicht der Grund dafür, dass viele Bewohner der Sauerlacher Sommerstraße ins Entzücken gerieten, als bei ihnen um die Ecke Schlingnattern entdeckt wurden, in einem Biotop zwischen einem Wertstoffhäuschen und einem Kinderspielplatz. Schlangen neben Rutsche und Kinderschaukel? Andernorts würde man darüber wohl eher Alarm schlagen als jubeln. Aber erstens hat die Schlingnatter keine Giftzähne und zweitens rechnen es ihr die meisten Anwohner der Sommerstraße hoch an, dass durch ihr Erscheinen einer anderen, ebenfalls bedrohten Spezies der Schöpfung kein Lebensraum vor ihrer Haustür zugewiesen wird - Flüchtlingen.

Was sie selbst mit teils giftigen Kommentaren und 236 Unterschriften gegen die Standortwahl nicht erreicht hatten, gelang ein paar ungiftigen und kaum fingerdicken Nattern mühelos. Nachdem Landrat Christoph Göbel bei der jüngsten Bürgerversammlung in Sauerlach die Besucher darüber informiert hatte, dass der geplante Bau einer Flüchtlingsunterkunft an der Sommerstraße durch Vorkommen der geschützten Schlingnattern nicht mehr infrage komme, züngelte ein Zuhörer hinter vorgehaltener Hand zu seinem Tischnachbarn: "Da zücht' i mir jetzt a welche." Schlingnattern meinte er.

In Sauerlach müssen Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan oder Irak dennoch nicht das Gefühl bekommen, in ein Schlangennest geraten zu sein. Zu herzlich sind sie im Ort aufgenommen worden. Zu engagiert sind die Mitglieder des Helferkreises Asyl. Und in Bürgermeisterin Barbara Bogner haben sie eine energische Fürsprecherin, die ihre Hand schützend über sie hält. "So lange ich das entscheiden kann, wird bei uns kein Mensch in einem Zelt leben müssen", sagte die resolute Rathauschefin bei der Bürgerversammlung entschlossen.

Bis zum Herbst soll deshalb ein Gebäude am Otterloher Feld fertiggestellt sein und weiteren 70 Flüchtlingen Platz bieten. Wenn nicht auch dort unverhofft eine Coronella austriaca ihr Köpfchen nach der Sonne reckt. Es ist offenbar bereits ein Running Gag in Sauerlach, Interesse an einer Schlingnatter vorzugeben. Überall, wo sie hinkomme, werde sie spaßeshalber gefragt: "Wo haben die denn die Schlingnattern herbekommen?", berichtet die Bürgermeisterin. Also, offiziell im Tierhandel zu haben sind sie nicht. Wer aber mal eine sehen will, der muss nur am Bahndamm in Sauerlach entlang gehen. "Da gibt es Hunderte, Tausende", weiß Barbara Bogner. Damit sind die Anwohner der Sommerstraße wohl über jeden Verdacht erhaben, denn sie haben die Bahngleise vor der Haustür. Wenn nun aber am Otterloher Feld plötzlich eine Schlingnatter auftaucht, dann hat sich der Mann tatsächlich welche gezüchtet.

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