Kreis und quer:Der Markt regelt das

Unternehmer können wegen des Fachkräftemangels ihre Stellen nicht besetzen und rufen nach dem Staat. Echt jetzt?

Kolumne von Wolfgang Krause

Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Fachkräftemangels. Und Unternehmer aus dem Landkreis München sitzen bleich im Garten des IHK-Ausschussvorsitzenden Christoph Leicher im Heimstettener Gewerbegebiet und richten einen Hilferuf an die Politik. Sie suchen händeringend nach Mitarbeitern oder Auszubildenden und finden keine. Ein Busunternehmer berichtet, dass er sich selbst ans Steuer setzen muss, weil ihm Fahrer fehlen - sogar in Kroatien und Rumänien sei der Markt leergefegt.

Es war in jüngster Zeit häufig davon die Rede, dass wir uns von alten Gewissheiten verabschieden müssen. In diesem Fall ist es die Gewissheit, dass man in irgendeinem entlegenen Winkel Europas schon jemanden findet, der den Job macht - auch wenn er sich von dem Lohn hier nicht einmal eine kleine Wohnung leisten kann.

Vermutlich sehnen sich die Unternehmer nach den Zeiten zurück, als Massenarbeitslosigkeit herrschte und die Menschen in den Arbeitsämtern Schlange standen. Offen sagen sie das natürlich nicht. Dafür verlangen sie nun mehr Engagement von der Agentur für Arbeit, die der Unternehmer-Klassensprecher Leicher bezeichnenderweise beim alten Namen nennt. Sich dort anstellen oder in der Warteschleife landen wie einst die Arbeitslosen will er als Chef natürlich keinesfalls: "Kann ich einfach beim Arbeitsamt anrufen?", fragt er und verlangt vom Geschäftsführer der Münchner Agentur für Arbeit gleich die Durchwahl des zuständigen Referatsleiters.

Haben die Unternehmer vergessen, dass der Staat nicht eingreifen soll in ihre Geschäfte? Dass man nur genug Bürokratie abbauen muss, damit der Laden brummt. Man möchte sie gerne daran erinnern, dass das immer ihr Credo war. Und in diesem Fall stimmt es ja theoretisch: Der Markt regelt das schon, Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Und weil die Nachfrage (nach Arbeitskräften) gerade sehr hoch ist, müssen die Unternehmer eben einen höheren Preis (Lohn) dafür bezahlen. Oder weiter jammern und den Job selbst erledigen wie der Busunternehmer.

Das Problem ist nur: Gerade Busunternehmer sind oft in öffentlichem Auftrag unterwegs, weil wichtige Bereiche der Infrastruktur an private Firmen outgesourct wurden. Und so schön es wäre, sich vom Chef persönlich von der S-Bahn ins Gewerbegebiet kutschieren zu lassen - wenn der Bus dann nur noch alle paar Tage kommt, hat man auch wenig davon. Deshalb ist der Mangel an Arbeitskräften durchaus ein Problem, das die Gesellschaft betrifft. Der Staat muss also eingreifen - aber bitte nicht als Kellner, so wie es sich der IHK-Ausschussvorsitzende Leicher vorstellt, sondern als Koch.

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