Kreis und quer:Die Schatten von Morgen

Wer sich heute zu sehr um die Wirtschaft und zu wenig um die Umwelt sorgt, braucht sich morgen nicht zu wundern, wenn sich eine alte Indianerweisheit im Landkreis bewahrheitet

Kolumne von Michael Morosow

Mittwoch, 1. Mai 2030: Die Madln und Burschen in Aying tanzen bei 34 Grad im Schatten um die letzte Fichte, die in den Wäldern von Garching bis Berchtesgaden aufzutreiben war. In Sauerlach wird ein aus Schnitzeln sibirischer Lärchen geformter Maibaum in die Senkrechte gebracht. In Garching tanzt das Volk um eine täuschend echt wirkende Baumattrappe, und im Anschluss erklärt die Landrätin, warum das vor 14 Jahren mit allen 29 Kommunen vereinbarte Ziel, die Reduzierung der jährlichen Pro-Kopf-Emissionen im Landkreis München um 54 Prozent, leider klar verfehlt worden ist und der Hofoldinger Forst, die grüne Lunge der Region, grad eben selbst schwer schnauft und die Isar kaum noch gurgelt.

Es sind wirklich keine schönen Zukunftsbilder, die Klimaexperten zeichnen. Aber das tun sie schon ewig, und ebenso lange formuliert die Politik großmundig Klimaziele, die leider nicht erreicht werden, weil die Wirtschaft darunter leiden könnte. Und die Wirtschaft leidet täglich, und täglich werden in Bayern 13 Hektar Boden versiegelt. Aktuell zum Beispiel in Hohenbrunn, wo am Ortsrand ein Supermarkt gebaut wird - mit Parkplätzen an der Oberfläche und nicht in einer Tiefgarage, wie in einem inzwischen zurückgezogenen Bürgerbegehren gefordert worden war. Ein Grund für das Ja zur Bodenversiegelung: Der Investor könnte seine Pläne fallen lassen. Mehr als hundert Jahre nach der Weissagung eines Indianerhäuptlings: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann", klatschten bei einer Informationsveranstaltung viele Besucher aus dem Ort, wenn Befürworter des Marktes das Wort hatten, und grummelten oder buhten gar, als die Gegner von Flächenfraß und Versiegelung sprachen.

Dabei sind es doch nicht zuletzt die Schönheit der Natur, die reiche Auswahl an Erholungsflächen, die die Landkreisgemeinden für Investoren attraktiv machen. Dass der Freizeitwert des Münchner Umlands in akuter Gefahr ist, bemerkt man in diesen Tagen unter anderem, wenn man zu einem Waldspaziergang aufbricht. Der staubtrockene Waldboden knirscht bei jedem Schritt unter den Schuhsohlen, von Stürmen entwurzelte Bäume liegen und hängen kreuz und quer oder zu Haufen aufgeschichtet neben den Rückegassen. Nur die Borkenkäfer, die Profiteure des Klimawandels, freut das, sie rekeln sich mit vollen Mägen hinter den Rinden der Bäume, die bald sterben werden. Todesruhe statt Waldesruh. Inzwischen aber weiß man, dass Wälder über eine Art Sozialsystem verfügen, über Pilzgeflechte miteinander vernetzt sind und darüber Nährstoffe und Informationen austauschen, für das menschliche Ohr nicht zu hören. Was aber würde der Wald wohl sagen, könnte er reden, wenn der Hohenbrunner Bürgermeister ihn für ein entspannendes Waldbad besuchen wollte? Wahrscheinlich: "Ey, du kommst hier net rein!"

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