Süddeutsche Zeitung

Kreis und quer:Raucherpausen für Demonstranten

Nicht die Impfspritze, sondern die Allgemeinverfügung ist die Waffe der Wahl gegen Corona. Manchmal schießt sie aber auch übers Ziel hinaus.

Von Iris Hilberth

Hätten der Landrat oder der Bürgermeister einen umfassenden E-Mail Verteiler, wie Chefs den normalerweise haben, dann könnten sie mit einen Klick an alle@landkreismuenchen.de oder jeder@unterhaching.com die neuesten Verordnungen und Regelungen schneller unter die Leute bringen, als jemand das Wort Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung aussprechen kann. Und das kriegen die meisten schon relativ flott hin, genauso wie Vollgenomsequenzierung oder Kontaktpersonennachverfolgung. Inzwischen sind wir nach zwei Jahren Pandemie ja schon bei Version 15 der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Dennoch bleibt dem Landratsamt für Ansagen weiterhin nur die gute alte Allgemeinverfügung. Übrigens auch ein Wort, dass Corona erst so richtig unter die Leute gebracht hat. Eine solche Allgemeinverfügungsdichte wie seit Frühjahr 2020 ist eher selten.

In Unterhaching gibt es seit dieser Woche wieder einen solchen Erlass. Auf elf Seiten ist von der altersgebundenen Maskenpflicht über den regelkonformen Gebrauch von Trillerpfeifen bis hin zur angemessenen Raucherpause alles geregelt, was der gemeine Corona-Maßnahmen-Protest-Teilnehmer so wissen muss. Das Problem, das der Bürgermeister damit nun aber hat, ist die schiere Größe dieser Anordnung, die er jetzt irgendwie bei seinen Bürgern bekannt machen muss. Elf dicht beschriebene Seiten passen kaum in den Schaukasten vor dem Rathaus, geschweige denn auf ein Plakat. Die vielen sperrigen Begriffe in solch einer gängigen Allgemeinverfügung bereiten mitunter große Platzprobleme. "Geräuscherzeugende Hilfsmittel", "non-verbale Darbietungen" und "Abstandsunterschreitungen" müssen ja irgendwo in dem Schreiben untergebracht werden.

Überhaupt hat die Pandemie uns Wörter beschert, von denen Verwaltungsbeamte zuvor nur geträumt und an denen Sprachwissenschaftler helle Freude haben. Die Straßenausbaubeitragssatzung, die bedarfsgesteuerte Fußgängerfurt oder die Abstandseinhaltungserfassungvorrichtung - die übrigens nichts mit Corona sondern mit Autobahnen zu tun hat - geraten in Amtstuben und Germanistik-Kreisen schnell in Vergessenheit. Was auch ein bisschen schade ist, jetzt wo man auch außerhalb von Wertstoffsammelstellen den Begriff Restmüllbeseitigungsbehälterentleerung fehlerfrei aussprechen kann. Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache sammelt mit akademischer Begeisterung Wortneuschöpfungen und hat im Zusammenhang mit Covid-19 bereits 2000 Begriffe in ihr Neologismenwörterbuch eingetragen.

Ob in ein paar Jahren so wunderbare Vokabeln wie Autobahnteststation, Coronaimmunitätsbescheinigung, Einkaufswagenpflicht, Impfdosenrückstau und Spuckschutztrennscheibe weiter unseren Wortschatz bereichern, ist eine interessante Frage. Vielleicht beantwortet die ja ein Papier aus dem Gesundheitsministerium vom 11. Januar: die Allgemeinverfügung zur Änderung der Allgemeinverfügung.

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