Süddeutsche Zeitung

Kreativität im Freien:Die Stadt mit Stelen beseelen

Der Verein "Kunst-Kompass München Nord" hat ein neues Mitmach-Projekt in Garching gestartet. Nach dem Erfolg von "Stühle-Koffer-Schirme" 2019 im Bürgerpark gilt es diesmal, Holzstelen für den Bürgerplatz kreativ zu gestalten

Von Udo Watter, Garching

Ob Obelix handwerklich prädestiniert wäre, beim kommenden Projekt des Vereins "Kunst-Kompass München Nord" mitzumachen, hängt von der Definitionsstrenge ab. Eigentlich ist ein klassischer bretonischer Hinkelstein ja keine echte Stele, sondern ein allenfalls grob behauener, massiver und hoch aufragender Menhir mit kultischem Charakter. Der Begriff Stele kommt hingegen aus dem Altgriechischen, was so viel wie "Grabstein, Säule" bedeutet. Definiert wird sie als frei stehender, monolithischer Pfeiler, der eher kunstvoll bearbeitet oder mit Inschriften versehen ist. Wenn Obelix seinen Stein freilich so gestalten würde wie nach dem Besuch der Gallier bei Kleopatra in Ägypten - nämlich als Obelisk mit Pyramidenhäubchen -, dann würde er zumindest formal als Künstler durchgehen, der sein Objekt im geplanten Stelenpark auf dem Garchinger Bürgerplatz aufstellen dürfte.

Realisiert werden soll dieses Projekt im Herbst 2021 und von Mitte September bis Ende Oktober die Grünanlagen im Stadtzentrum zieren. "Wir möchten mit Ihnen den Bürgerplatz in einen Ort der Kunst verwandeln", lässt der 2016 gegründete Garchinger Kunstverein mit seiner Vorsitzenden Ursula Busch wissen. Freilich wäre ein Obelisk vom Material her dann doch eine Ausnahme, denn es geht in Wirklichkeit um schlanke Holzstelen, die bearbeitet werden sollen.

Die Idee dazu gibt es schon länger. Beim Kunst-Kompass war man sich schnell einig, nach dem großen Erfolg des Projektes "Stühle-Koffer-Schirme" 2019 im Bürgerpark etwas Ähnliches erneut auf die Beine zu stellen. Damals präsentierte der Kunstverein 66 Stühle, zehn Koffer und 13 Schirme auf freiem Feld: die Objekte waren bunt, kreativ, verrückt und humorvoll gestaltet. Etliche Garchinger Vereine und Schulen wie die Grundschulen West und Ost und das Werner-Heisenberg-Gymnasium, aber auch Einzelpersonen machten dabei mit. "Wir haben nach neuen Ideen gesucht und uns überlegt, was lässt sich verwirklichen", erzählt Ursula Busch.

Das Ganze mündete in die Idee, Holzstelen kreativ zu bearbeiten und aufzustellen. Dass man das Projekt nicht schon 2020 durchzog und vergangenes Jahr aussetzte, hat sich angesichts der Pandemie wohl als Glücksfall erwiesen - zumindest, wenn die aktuell zarten Hoffnungsschimmer sich weiter aufhellen sollten. Ursula Busch, die sonst vornehmlich abstrakte und informelle Bilder malt und dabei sowohl Farbe wie Material in den Vordergrund rückt, hat selbst inzwischen schon zwei Holzstelen gestaltet. Jetzt hofft sie, zusammen mit der zweiten Vorsitzenden Isabella Barbagallo und den restlichen zwölf Mitgliedern - darunter neben weiteren Malerinnen und Malern auch zwei Keramikerinnen - auf eine ebenso rege Teilnahme wie vor zwei Jahren: "Wir möchten Garchinger Vereine, Institutionen, Kinder- und Senioreneinrichtungen, Schulen, interessierte Künstler und alle Garchinger Bürger und Bürgerinnen einladen", heißt es entsprechend. Angeschrieben wurden alle Institutionen, die bereits 2019 mitgemacht haben. Auch die finanzielle Unterstützung der Stadt ist sicher, die AG Kultur, zu der auch Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) gehört, hat das Projekt positiv bewertet. Erste Rückmeldungen sind trotz der derzeitig unsicheren Gesamtsituation bereits eingegangen: Zwei Schulen und der Seniorenbeirat haben Interesse bekundet.

Wie die Stelen, die vom Kunstverein gestellt werden, gestaltet werden, ist natürlich der Fantasie jedes Einzelnen überlassen: collageartig, mit starken Farbakzenten oder mit anderen Materialien wie etwa Keramik verziert, die Themenbandbreite ist offen. Um die Errichtung und Befestigung auf dem Bürgerplatz kümmert sich Kunst-Kompass.

Ob nun ausgerechnet Stelen als kunstvolles Format eine besondere Orientierung geben und etwas Wertvolles in diesen Zeiten vermitteln können? "Stelen sind markante Objekte, die den Blick auf sich ziehen und die Fantasie anregen", schreibt Busch, die auch Kunsttherapeutin ist. "Ein Weg verbindet, er hat meist ein Ziel und kann eine Herausforderung sein. Wer unterwegs ist, erlebt das Gespannt-Sein am Morgen und das Müde-Sein am Abend." Wege und Pfade durchzögen unser Leben wie ein Netzwerk. Zwischen Start und Ziel liegen demnach Begegnungen, Widerstände, Irrwege, aber auch unerwartete Geschenke. "Ein aufmerksam gegangener Weg führt durch bekannte und weniger bekannte Territorien. Der Reisende, der sein Ziel erreicht hat, ist erleichtert." Das kann die Reise von Individuen, Familien, aber auch Gemeinden bedeuten. Reisen, die das ganze Leben betreffen oder einzelne Abschnitte wie Studium oder Rente. "Stelen an Wegen, Kreuzungen, in der Landschaft weisen Richtungen, benennen Plätze, informieren über Geschehnisse", so Busch. Stelen als Zeichen des Unterwegs im Dasein. Zu den bekanntesten gehören die 2711 Betonstelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin, aber auch die Gesetzes-Stele mit dem Kodex des babylonischen Königs Hammurabi im Louvre oder Maya-Stelen und Statuen-Menhire zählen dazu.

In Garching kann in den kommenden Monaten jeder, der ein wenig schöpferische Lust in sich spürt, quasi zum Stelenklempner werden und kreativ seine Stelen beseelen. Für den Kunst-Kompass wäre eine große Resonanz auch insofern schön, als er natürlich in seinen Aktivitäten auch viele Monate stark eingeschränkt war. Zoom-Konferenzen können den Austausch von Angesicht zu Angesicht eben nicht ersetzen. Aber Ursula Busch ist bei aller Vorsicht ob des derzeitigen Schwebezustands zuversichtlich: Im April ist eine Ausstellung von Vereinsmitgliedern im Garchinger Bürgerhaus geplant, im Sommer eine im Rathaus Grasbrunn.

Die Stelen am Bürgerplatz, die laut Plan von 11. September bis 23. Oktober ausgestellt werden, sollen am Ende versteigert werden - wie die Stühle, Koffer und Schirme 2019. Damals kamen 800 Euro für die Nachbarschaftshilfe zusammen. Heuer soll der Garchinger Tisch profitieren.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2021
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