Süddeutsche Zeitung

Konzertkritik:Grenzüberschreitender Angriff auf die Sinne

Drei Musiker widmen sich in Ismaning auf innovative Weise Oswald von Wolkenstein - dem großen Lyriker und Komponisten des Spätmittelalters

Von Udo Watter, Ismaning

Ein mystischer, außerweltlicher Beginn: vom hinteren Raum her tönt aus gleichsam transzendentalen Abgründen der Bass, ein geheimnisvolles Echo aus den Tiefen einer Zeit, in der Mensch, Kultus und Gott einander noch näher waren. Vom linken Saal her schweben leise Tenorklänge ein und im Konzertraum selbst hebt die Sopranistin zart zu singen an. Die Räume des Kallmann-Museums verwandeln sich in heilige Hallen, der Sopran schwebt über den näher kommenden Männerstimmen und preist in poetischen Worten die edle, keusche Jungfrau Maria ("Wer ist die da durchleuchtet"). Es ist eine Art Klang gewordene Lichtästhetik, ein rätselhaft-spiritueller Angriff auf die Sinne, dem man sich nicht entziehen kann und der die Seelensaiten schwingen lässt.

Oswald von Wolkenstein - der große spätmittelalterliche Lyriker, Komponist, Ritter, Reisende und Diplomat stand im Mittelpunkt dieses ungewöhnlichen Konzerts, das der Lautenist und Bassist Joel Frederiksen, die Sopranistin Sabine Lutzenberger und der Saxofonist Bernd-Oliver Fröhlich im Ismaninger Kallmann-Museum gaben. Seit diesem Jahr heißt die renommierte Reihe ja nicht mehr "Jazz im Museum" sondern schlicht "Konzerte im Museum", und in der Tat hatte der Auftritt der drei Musiker nicht die Charakteristika "eines üblichen Swingabends", wie Fröhlich augenzwinkernd erklärte. Gleichwohl verharrten die Interpretationen der Lieder keinesfalls in historischer Aufführungspraxis und Klangwelten, sondern entführten den Hörer immer wieder in freie Improvisationen, in jazzige Rhythmik und modernere Soundregionen.

"Früher ging es immer darum, genau im richtigen Jahrhundert zu bleiben", erklärte Fröhlich, "aber wir haben diesmal gesagt: Was authentisch ist, das sind wir." Eine offene Herangehensweise an Alte Musik also, die in das Album "Reflektionen" mündete - neue Interpretationen bekannter Lieder Oswald von Wolkensteins. Dabei geht es dem Trio um den Brückenschlag zwischen musikalischen Epochen, um versiertes Grenzüberschreiten. Dass das Ganze kein allzu gewollt innovatives Crossover ist, sondern in sich schlüssig und anregend, ist der Kunst der Protagonisten geschuldet. Wenn Fröhlich von "La plus jolie", Oswalds Arrangement eines französischen Liebeslieds, zu einem melancholisches Saxofon-Solo ansetzt - ein Instrument das Mitte des 19. Jahrhunderts erst erfunden wurde - dann klingt dies so, als lausche man den virtuosen Klängen in einem spätgotischen Kreuzgang. Schön.

Auch der groovige Rhythmus, der zu Fredericks Gesang "In suria ain braiten hal" via Tamburin mit Schelle einsetzte, verknüpfte spätmittelalterliche Klangmalereien mit jazziger Verführung, die Beine zu bewegen. Gerade in der Melange aus Saxofon und schlanken Glockentönen oder der von Frederiksen gespielten Laute entstand immer wieder ein ganz eigener Zauber. Raffinesse der Arrangements traf hier auf interpretatorisches Können. Sabine Lutzenberger ist eine namhafte Gesangs-Interpretin für Alte Musik, und das bewies sie auch in Ismaning. Besonders bewegend gelang ihr Solo bei "Wer di ougen", ganz im Kontrast zum Inhalt des Lieds - von Wolkenstein lässt sich über die "dreckige" Lombardei aus und rät davon ab, jemals da hinzureisen. Echo-Klassik-Preisträger Frederiksen ist ein großartiger Bassist, der speziell in den Tiefen eine packende Intensität entfaltet. Der Innsbrucker Fröhlich glänzte als charmanter Moderator und als geschmeidiger Sänger und Saxofonist.

Das Ein- und Ausblenden historischer Aufführungspraxis in Kombination mit moderneren Techniken zeitigte in Ismaning immer wieder humorvolle Momente, hier mal ein bisschen Scatgesang, da Improvisationen und Koloraturen. Oswalds Eigenkompositionen, in denen er oft radikal subjektiv, sinnlich, und mitunter doppeldeutig-erotisch dichtet, sind einstimmig, verschiedene französische und italienische Vorlagen hat er hingegen mehrstimmig verarbeitet. "Er war ein toller Arrangeur", schwärmte Lutzenberger. Darüber hinaus war der 1377 in Südtirol geborene Oswald von Wolkenstein eine ungemein vielseitige und abenteuerlustige Persönlichkeit, die bereits im Alter von zehn Jahren das heimatliche Schloss verlassen hat, um die Welt kennen zu lernen, wie er im Lebensbericht "Es fuegt sich" schreibt.

Das Publikum war irgendwann auch gezwungen, das Kallmann-Museum und den Ismaninger Schlosspark zu verlassen - dem Applaus nach im Gefühl, ein ungewöhnliches und herausragendes Konzert erlebt zu haben.

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SZ vom 02.05.2016
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