Süddeutsche Zeitung

Konzert:Vorrevolutionäre Atmosphäre

Gregor Hübners Jazzquintett liefert eine Huldigung an Südamerika

Von Ulrich Möller-Arnsberg, Pullach

Seine vier Begleiter hängen im Rumba-Rhythmus ab. Davon inspiriert spielt er auf der Geige lang gezogene Synkopen, bevor er in einem plötzlichen volltönigen Riff explodiert. Solche Gegensätzlichkeit zwischen Ruhe und spontanem musikalischen Feuer machen Gregor Hübner aus. Seit 1994 lebt der gebürtige Schwabe, der in Wien ein klassisches absolviert hat, in New York. Zurzeit ist er mit seinem Jazzquintett in Deutschland auf Tour.

"El violin latino" heißt das Programm, das Hübner im Pullacher Bürgerhaus vorstellte. Eine musikalische Hommage an die Länder Kuba, Brasilien und Argentinien. Den Auftakt macht das von Astor Piazzolla inspirierte Stück "The New Tango". In dieser Eigenkomposition von Gregor Hübner ist gerade so viel von dem Substrat des legendären argentinischen Bandoneonisten drin, dass man merken kann, von woher der Wind kommt. Aber es ist faszinierend, wie viel die Musik Hübners eigene New Yorker Welt widerspiegelt. Als er dort Mitte der Neunzigerjahre ankam, um an der Manhattan-School of Music Jazz zu studieren, empfahl ihm sein dortiger Lehrer eine Charango-Band. In dieser Combo spielt auch der in Luxemburg lebende Jerome Goldschmidt mit. Ein Perkussionist und Congaspieler mit faszinierend lockeren Händen, der zum aktuellen Quintett ebenso dazugehört wie Hübners Bruder Veit am Kontrabass. Dazu der in Bremen lebende Pianist Klaus Müller und der Drummer Simone Prattico aus Rom. Eine hochkarätige internationale Besetzung, die den Bogen vom eröffnenden Tango über Standards wie "Aguas der Marco" vom legendären Brasilianer Antonio Carlos Jobim bis zu John Coltranes Komposition "Equinox" spannte. Solch eine Tour mit Musikern aus allen Himmelsrichtungen hat etwas Unwirkliches, geradezu gewöhnungsbedürftiges, zumal dieses noch vor nicht allzu langer Zeit unvorstellbar gewesen gewesen wäre. Auch nach vier Wochen Fußball-Europameisterschaft mit tausenden distanzlosen Fußballfans im Stadion herrscht bei den Kulturveranstaltern immer noch strenge FFP2-Masken- und Abstandspflicht. Aber das konnte der lasziven Atmosphäre im Pullacher Bürgerhaus und der guten Laune keinen Abbruch tun.

Vor allem die zweite Hälfte nach der Pause - die gab's immerhin schon wieder, mit Erfrischungsgetränken aus der Bar nebenan - ging an die Wurzeln mittelamerikanischer und südamerikanischer Musikkultur. Im Duo mit Jerome Goldschmidt an Conga und Bongo eröffnete Jazzgeiger Gregor Hübner das weitere Programm. Ein intimer Dialog mit Gesang der Yoruba, jener ehemaligen afrikanischen Einwanderer auf Kuba, die bis heute einen starken Einfluss auf die Musik des Landes haben. Faszinierend, wie sich die beiden Musiker auf der Pullacher Bühne in diese Welt hineinsteigern. Tranceartig versenkt sich Goldschmidt in den archaischen Gesang, mit wenigen Lauten stachelt ihn Hübner an, ohne auch nur einen Ton auf der Geige zu spielen. Doch dann wirbelt er mit seinem Bogen über die Saiten. Es klingt so ratternd, wie Antonio Vivaldis "Sommer" , aber die harmonische Richtung ist eine andere. Entfesselte, improvisationsgetränkte Spielfreude folgt, bevor sich das Duo mit einem einzigen abschließenden "Blitz" aus der Nummer verabschiedet. Dann kommen die anderen drei Musiker der Band wieder zurück. Unter anderem geht es weiter mit einem Song aus der vorrevolutionären kubanischen Zeit. Klaus Müller am Klavier beeindruckt in seinem Solospiel unter anderem damit, dass er subtil die Intensität der Musik erhöht, indem er Figuren absichtlich oft wiederholt. Und gerade in dem Moment, in dem man meinen möchte, gut ist es, geht er zur nächsten Figur über. Dann eröffnet sich der musikalische Raum für den Schlagzeuger Simone Prattico. Unglaublich feinfühlig behandelt er Becken und Snare seines Drumsets und aus dem Nichts schwillt sein Trommeln ekstatisch an. Ein Alter Ego zu Jazzgeiger Gregor Hübner, dessen Bruder Veit am Bass dafür verantwortlich ist, dass diese Kapelle vom Groove her in auf dem Punkt ist. Und wenn er den Bass für Soli nutzt, wird's spielerisch und experimentell. Halleluja, das war ein musikalischer Abend, der satt machte beim Zuhören. Großer Applaus im Bürgersaal, in dem es hoffentlich bald weniger Sperrsitze gibt - die Zugabe: ein wunderbar abgehangener Bolero.

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Quelle:
SZ vom 17.07.2021
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