Konzert:Verzauberung mit kleinen Abstrichen

Konzert: Vilde Frangs Welt ist die Musik - ob romantisch, klassisch oder modern - und sie taucht tiefer darin ein als viele andere.

Vilde Frangs Welt ist die Musik - ob romantisch, klassisch oder modern - und sie taucht tiefer darin ein als viele andere.

(Foto: Claus Schunk)

Geigerin Vilde Frang überzeugt in Grünwald - auch wenn ihr Partner mitunter zu laut ist

Von Udo Watter, Grünwald

Große Klassik-Stars wie Daniel Barenboim oder Alfred Brendel haben schon betont: Musik kommt aus der Stille und führt in sie zurück. Wenn Vilde Frang zu Beginn des Adagios von Bartóks erster Violinsonate wie aus überweltlichen Zwischenräumen zart fiebernde Töne einsam heran streicht, wird einem diese Definition besonders verständlich. Die norwegische Geigerin hat dazu noch eine Art zu spielen, die selbst der spröden, jeder gefälligen Schönheit abholden und mitunter verzweifelt anmutenden Klangwelt des ungarischen Komponisten etwas Liedhaftes beifügt. Die Gesanglichkeit, die kantable Ausdruckskraft ihres Instruments, das der menschlichen Stimme vielleicht am nächsten kommt, ist der 30 Jahre alten mehrfachen Echo-Klassik-Preisträgerin ein besonderes Anliegen. Zu Béla Bartók hat sie freilich auch ein inniges Verhältnis, und auch bei ihrem Konzert im Grünwalder August-Everding-Saal entfaltet sie im Zusammenspiel mit dem serbische Pianisten Aleksandar Madžar große Expressivität.

Das Schöne an der Norwegerin ist, dass sie aufregend und fesselnd agiert, ohne großen Gestus oder Effektsuche. Bartóks Werk ist ja nicht eben leicht zugänglich mit seiner quälenden Suggestivität, seinen Dissonanzen, zerklüfteten Klavier-Kaskaden und einem Zusammenwirken der beiden Instrumente, das mitunter Züge eines Gegeneinanders annimmt. Gerade auch im Finalsatz mit seiner stürmischen Charakteristik und seiner folkloristisch angehauchten, rauen Rhythmik entbreiteten die beiden Duo-Partner ein starkes und doch nicht auftrumpfendes Temperament. Hier stimmte auch das Lautstärken-Verhältnis der beiden Instrumente, was man vom ersten Teil des Konzerts nicht immer behaupten konnte.

Der Steinway-Flügel nutzte unter der manuellen Bearbeitung von Madžar die gute Akustik des August-Everding-Saales mitunter zu sehr aus und dominierte an unpassender Stelle. Dieses klangliche Ungleichgewicht schmälerte etwa den Reiz einer längeren Pizzicato-Passage in Schuberts C-Dur-Fantasie für Violine und Klavier. Salopp gesagt zupfte sich Frang einen Ast, ohne klanglich durchzukommen. Auch bei Brahms' erster Violinsonate hätte Madžars Anschlag ab und an einen Tick weicher und zurückhaltender ausfallen können. Generell dialogisierten die beiden aber versiert miteinander, besonders bewegend im traurig-dunklen Adagio, das der Komponist unter dem Eindruck des Besuchs bei seinem todkranken Patensohn Felix Schumann geschrieben haben soll. Vilde Frang, die als kleines Kind nach dem Vorbild des Vaters und der Schwester unbedingt Kontrabass spielen wollte ("Mein Vater hat das verhindert, weil er fand: Wir haben zu viele Kontrabässe und wenn wir in die Ferien fahren, ist unser Auto zu klein für drei Bässe") zeigt hier wieder ihr außergewöhnliches Vermögen, ein besonders transparentes Pianissimo zu erwirken. Innehalten, sehnsuchtsvolles Erinnern, einem scheinbar unbeschwerteren Vergangenem nachzittern.

Dass die große, schlanke Norwegerin mit ihrem feinen, wallenden Haar und der elfenhaft-blassen Haut eine entsprechende Aura entfaltet, ist natürlich nicht von Schaden. Wenn sie mit geschlossenen Augen und inwendig versunken ihren Kopf ans Instrument lehnt, und eine träumerische Melancholie entfaltet, wirkt sie beinahe wie "Sleeping Beauty" (das amerikanische Pendant zu "Dornröschen"), die traumwandlerisch sicher den Bogen führt. In gewisser Weise sieht das Ohr eben mit.

Berückende Momente gelangen Frang, die durch eine Schulterverletzung gehandicapt war und daher auf zwei im Programm angekündigte Miniaturen von Isaac Albéniz verzichtete, mit ihrem Klavierpartner noch bei Schuberts Fantasie. Das Werk, das durch die Anfangsstrophe eines Friedrich-Rückert-Gedichts inspiriert ist ("O du Entriss'ne mir und meinem Kusse, erreichbar nur meinem Sehnsuchtsgruße, sei mir gegrüßt, sei mir geküsst"), kleidet die typisch romantische Zerrissenheit zwischen Realität und erträumter Erfüllung in eine Klangaura voller Elegie und zauberischer Verlorenheit. Berückend, wie beim ebenso schönen wie schwierigen Beginn die Klangflächen des Klaviers dunkel oszillieren, während die Violine wehmütig-intensive Melodiebögen spielt. Großartig, wie unaufgeregt die Violinistin Frang im Vivace mit dem Flügel flirtet, wie sie mit ihrem virtuosen Gestaltungswillen eine Intensität heraufbeschwört, die doch anstrengungslos wirkt. Musik, die Verbündete und die Verzauberung der Stille.

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