Konzert:Nächtliche Einladungen an die Liebe

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Mit dunkel timbrierter Stimme und lockender Körpersprache entführt Cornelia Corba das Publikum in die erotisch-humorvolle Welt der "Schwabinger Gisela". (Foto: Claus Schunk)

Schauspielerin Cornelia Corba widmet sich in ihrer Show "Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen" in Haar der "Schwabinger Gisela", die als frivole Chansonsängerin und Wirtin eine Münchner Berühmtheit wurde

Von Udo Watter, Haar

Es ist schon ein Kreuz, wenn mal keine attraktiven Männer den Lebensweg kreuzen. Keine Versuchung, der man nicht widerstehen könnte. Da schleicht dann ja glatt eine Stimmung ins Herz, die einen friedlich, ja fast sittsam sein lässt. "Aus Mangel an Gelegenheit, bin ich mal grade treu", singt Cornelia Corba in der Rolle der Schwabinger Gisela, "der Zustand, ich will ehrlich sein, ist für mich völlig neu."

Ihre Stimme ist zwar nicht ganz so rauchig-dunkel wie die der legendären Wirtin und Sängerin, die 1952 ihr berühmtes Lokal "Bei Gisela" an der Occamstraße eröffnete (heute "Vereinsheim"). Aber die schwungvolle Umsetzung des Chansons, das mit leicht frivolem Amüsement Fragen der Moral anzwinkert, gelingt ihr mitreißend. Flankiert von Thomas Killinger, ihrem virtuosen Begleiter am Klavier, bewegt sich Corba angemessen reizvoll über die Bühne, erfüllt mit ihrer Stimme, die schon auch ein schön dunkles Timbre entfaltet, den Saal im Kleinen Theater Haar.

Der war auch gut gefüllt, so weit das unter Corona-Bedingungen (mit maskenfreier Sitzplatzoption) möglich ist, und das Publikum ließ sich willig mitreißen. Die Bühne des Jugendstiltheaters war an den Flanken orangefarben illuminiert, wie auch die gebogene Straßenlaterne in der Mitte, eingerahmt von einer gemalten Schwabinger Kulisse aus der Nachkriegszeit. Barhocker, Stehtisch und Stuhl komplettierten die Szenerie, darüber eine Leinwand, auf welcher Originalbilder projiziert wurden. Corba, 1969 in München geboren, hat ein Faible für starke Frauen, die ihre Heimatstadt prägten. Die Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin liefert in Haar, unterstützt von Killinger, eine eindrucksvolle Ein-Frau-Show ab. Ihre Konzert-Performance "Aber der Nowak lässt mich nicht verkommen", widmet sich der 1929 in Moers geborenen Gisela Jonas, die Ende der Vierziger nach München kam - und dort als "Sterntalerkind im deutschen Wirtschaftswunder" Karriere machen sollte.

Die Show in Haar folgt der Chronologie der Ereignisse, bettet via Off-Stimme und Bildern das Geschehen in seinen historischen Kontext ein. Corba erzählt als Gisela von spannenden Lebensstationen inklusive Anekdoten über prominente Gäste. Und natürlich singt sie: Darunter sind Lieder von Zarah Leander ("Nur nicht aus Liebe weinen", "Kann denn Liebe Sünde sein?" "Heut' Abend lad' ich mir die Liebe ein"), schlagerartige Stücken wie "Sag mir Quando, sag mir wann" und natürlich die frech-frivolen Chansons, die mit der Schwabinger Ikone besonders verbunden sind: Neben besagtem "Aus Mangel an Gelegenheit" besonders der "Nowak", der in Gisela Jonas' Version lange in die Hitlisten war, und auch das ruhig und melodiös durch die dunklen Gassen spazierende "Schwabinger Laterne" ("Leise tönt von ferne, Traumstadtmelodie"). Diesem Lied wohnt wohl am stärksten die nostalgische Note der Show inne: Denn Schwabing ist ja, laut Bonmot der Franziska zu Reventlow, kein Ort, sondern ein Zustand. Ein Zustand, der vielfach als vergangen beklagt wird - vom Lebensgefühl des Bohèmeviertels vor dem Ersten Weltkrieg ist nicht viel übrig geblieben. Und das viel bewunderte Zentrum des Nachtlebens mit anrüchig-ambitioniertem Charakter, das es vor allem in den Sechzigern und Siebzigern war, ist Schwabing auch nicht mehr. Den einst exzessiven Münchner Fasching kann man sich heute nur noch als Farce vorstellen.

Für Gisela Jonas war der berühmte Stadtteil aber ein Sehnsuchtsort, dem sie Paris und anderen Metropolen vorzog. Sie hat freilich auch die Welt bei sich Gast gehabt: Leonard Bernstein, Salvador Dali, Herbert von Karajan, Ava Gardner, Orson Welles, Erich Kästner oder Prinzessin Soraya. Hollywood-Star Kirk Douglas wollte sich ihren BMW Dixie von 1929 für eine Spritztour ausleihen und offenbar Action haben: "Can I with the Oldtimer rasen?" soll er sie radebrechend gefragt haben. Der Bierdeckel, auf dem Franz Josef Strauß in ihrem Lokal anschreiben ließ, ist heute im Museum: darauf sind 18 Massen vermerkt, wie Corba dem Publikum in Haar mitteilt.

Als Protagonistin des Abends, deren Outfit etwas von einem Abba-Glitzerkostüm hat, ist sie viel gefordert, textlich wie sängerisch. Sie interpretiert die anrüchigen Texte - solche, die in die "Gehirne der Männer unsagbare Gedanken schleusen", wie es mal heißt, und die Gisela das Urteil eines Münchner Gerichts eintrugen, sie sei eine "gebildete Dame mit stark unzüchtigem Charakter", lustvoll. Sie zeigt das Kokette, sich mal naiv Gebende, aber immer das Unkonventionelle, Unbürgerliche Suchende der Gisela. Schön, dass es auch ruhigere Lieder und Momente des Innehaltens gab, wie der, als die Gisela am Ufer der Isar kurz an Selbstmord dachte. Dramaturgisch wird der Abend nicht zuletzt durch die teils sehr ansprechenden Originalfotos oder auch gemalten Porträts zusammengehalten. Man erfährt hübsche Anekdoten, wie die vom jungen Herrn Bockelmann, der mal als Sänger einsprang, als die Gisela für Filmaufnahmen weg war - später nannte er sich Udo Jürgens; oder die Geschichte mit ihrem Kehlkopf, den sie in späteren Jahren nach einer Operation - sie war starke Raucherin - zudrücken musste, um noch singen zu können. Manches bleibt aber ungesagt und ein wenig an der Oberfläche: Warum etwa Lilian Harvey die Eröffnungsrede 1952 bei einer blutjungen, unbekannten Wirtin hielt, warum alle diese Weltstars in ihr Lokal kamen, wird nicht genauer erklärt. Als Person kommt einem Gisela Jonas-Dialer, die 1965 den Tiroler Luis Dialer heiratete, in ihren Sehnsüchten und Brüchen zwar näher, aber einiges bleibt an der Oberfläche. Sie war nicht nur die Sängerin von Zeilen wie "Ich prüfe meine sexbegabten Zonen und kenne an die 30 Positionen", sondern wünschte sich auch "einen Mann, der sich traut und was kann." Ja, wer möchte sich nicht jeden Abend die Liebe einladen? Und ihr treu bleiben.

© SZ vom 13.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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