Konzert:Musikalischer Staffellauf

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Vielseitig: Der junge Percussion-Künstler Simone Rubino hat in Grünwald nicht nur seine enorme technische Präzision bewiesen, sondern auch die Fähigkeit, musikalische Erlebnisse zu schaffen. (Foto: Claus Schunk)

Der Perkussionist Simone Rubino liefert mit seinem Auftritt in der Reihe Klassik plus in Grünwald ein anspruchsvolles Programm aus Barock und moderner Avantgarde

Von Julian Carlos Betz, Grünwald

Mit knallroten Schuhen rauscht der junge Rubino auf die Bühne im August-Everding-Saal, eine Vorliebe, die ihn schon auf anderen Konzerten begleitet hat. Aus seinem Gesicht spricht Vitalität, Jugend und der Drang, dem Publikum etwas Neues, Einzigartiges zu bieten. Und so kommt es auch: die dritte Cello-Suite von Bach in einer Transkription für Marimbaphon (an sich schon eine spannende Sache), aber noch gesteigert durch eine Art musikalischen Staffellauf mit diversen zeitgenössischen Stücken für Schlaginstrumente.

Ohne Umschweife beginnt der gebürtige Turiner und Schüler des 2016 verstorbenen, international geschätzten Schlagzeugers Peter Sadlo, der auch an der Münchner Hochschule für Musik und Theater lehrte, mit seinem Solo-Konzert. Zart, einfühlsam und respektvoll bearbeitet er mit den Schlägeln das wuchtige Klangfeld des Marimbafons, tastet sich an Bachs altbekannte Harmonik heran und überträgt sie auf das zweistimmige Solo. Mit der linken Hand imitiert er den Basso continuo, mit der rechten das Violoncello. Wie aus einem Guss präsentiert er fliegende Wechsel von dynamischen Passagen zu solchen, wo sich die Köpfe der Schlägel nur eine Handbreit über den Klangstäben hinwegbewegen. Angenehm schmiegt sich die Bass-Stimme immer wieder an das virtuelle Cello heran, entfernt sich von dort und distanziert sich scheinbar erst dann zum stetigen, kontrapunktischen Gegenpart.

Im Anschluss an den ersten Satz überfällt einen jedoch gleich der Umschwung zur Moderne: Alexej Gerassimez' "Asventuras" für kleine Trommel, hochfrequente Schläge, die sich zu winzigen Explosionen im Ohr auswachsen und das Publikum erstmals auf das heterogene Programm des ambitionierten Abends einstellen. Im Anschluss wendet sich Rubino auch direkt an die Zuhörer und beantwortet die eigene Frage: "Warum Bach?" mit der einfachen Feststellung, dass die zeitgenössische Musik aus dem Barock komme. Was er sich also wünsche für diese Veranstaltung, sei einen "Leitfaden der zeitgenössischen Musik" zu bieten, indem er die teils "massive" und sinnliche, auch laute Dominanz der für Percussion geschriebenen Stücke den Sätzen der klassischen Suite beiordnet und sie so aufeinander wirken lässt.

Das funktioniert erstaunlich gut, auch wenn sich das melodische Empfinden naturgemäß immer etwas umgewöhnen muss, wenn es beispielsweise von der leichten Courante zum Stück "Power Station" von Carlo Boccadero übergehen muss. Wie ein Elefantenmarsch, mit hindurchhuschenden Dschungeltieren bahnt sich das technisch beeindruckende Getöse auf dem Schlagzeug seinen Weg, schrill durchsetzt von einer Trillerpfeife, die den Karneval in Rio de Janeiro nicht mehr weit entfernt wirken lässt.

Nach der Pause steigert Rubino jedenfalls noch einmal die Ambivalenz des Abends. Nach einer samtweichen Sarabande, in der sich die Töne wie bunte Knäuel nach hinten wegrollen, spielt er eine Art Illusionstheater. Mit dem Stück "Bad Touch", komponiert von Casey Cangelosi im Jahr 1982, wird es dunkel im Saal und nur ein blauer Scheinwerfer beleuchtet die weißen Handschuhe Rubinos, in denen er einen Schlägel hält. Im Hintergrund läuft ein düsteres Playback, rhythmisch untermalte Stimmen erzeugen eine geisterhafte Atmosphäre und Rubino bewegt seine Hände zu den Klängen der Musik. Die übrigen Stücke von Roberto Bocca, Bruce Hamilton und Iannis Xenakis sind ebenfalls gelungen.

Der junge Künstler hat an diesem Abend nicht nur seine enorme technische Präzision bewiesen, sondern auch die Fähigkeit, musikalische Erlebnisse zu schaffen. Das bisweilen groteske, surreale, zwischen Überforderung und Überwältigung schwankende Repertoire des Konzerts bot mehr als nur eine Einladung zu moderner Musik: Es erinnerte an den artifiziellen Charakter gerade solcher Klassiker, die einem wie natürlich gewachsen erscheinen und es doch nicht sind. Es rückt in den Vordergrund, was sonst nur theoretische Grundlage ist und verleiht dem Ganzen eine körperlich erfahrbare Dimension.

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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