Konzert im Bürgerhaus:Zwischen Tragik und Hoffnung

Florian Uhlig und Linus Roth präsentieren in Pullach auf reizvolle Weise das Œuvre von Mieczysław Weinberg

Von Julian Carlos Betz, Pullach

Das Programm ist gut austariert, die Musiker sind voller Energie, und das Publikum ist neugierig auf einen Abend der Gegensätze: optimale Voraussetzungen für ein genussvolles Konzert im Bürgerhaus der Pullacher Gemeinde. Wer nur wegen Beethovens Kreutzer-Sonate gekommen ist, kam zwar ebenfalls auf seine Kosten, wurde aber mindestens noch angenehm überrascht durch die Vielfalt im komplementären Spiel der beiden hochklassigen Artisten.

Behutsam vorbereitet auf die späteren Stücke von Mieczysław Weinberg wurden die Zuhörer jedoch erst einmal durch Brahms dritte Violinsonate in d-Moll, vier Sätze in denen die beiden ihr musikalisches Verhältnis zueinander bereits andeuten konnten. Uhlig, der mit seinen kapriziös anmutenden Betonungen des Intervalls auf der Grundlage von Roths zuverlässigem, manchmal zurückhaltendem Gestus melodische Akzente setzt und sich dann wieder hinter seinen Partner zurückfallen lässt, wurde schon von dem großen und im Jahr 2017 verstorbenen Kritiker der Süddeutschen Zeitung, Joachim Kaiser, für sein meisterhaftes Spiel gelobt.

Mit Weinbergs erstem Stück an diesem Abend, der Violinsonate No. 3 von 1947, kann auch Roth schließlich sein volles Potenzial ausschöpfen. Kein Wunder, schließlich hat er selbst gemeinsam mit dem Dirigenten Thomas Sanderling die "International Mieczysław Weinberg Society" gegründet, mit dem Ziel, den Werken des eher unbekannten Komponisten zu mehr Anerkennung auf Aufführungen zu verhelfen.

Weinberg, der als jüdischer Pole bereits in seiner Studentenzeit vor dem Überfall der Nationalsozialisten fliehen musste, verlor damals seine Familie. Später, als er in Moskau zum freien Komponisten wurde und sich mit Dmitri Schostakowitsch anfreundete, reflektierte er diese Erfahrungen in seinem Werk.

Zunächst einmal überraschend ist darum auch das zuweilen melodiöse Angebot des Stücks an den Zuhörer: sich nicht abschrecken zu lassen von der Tragik der Stunde und stattdessen den erzählerischen Faden aufzunehmen, aufzuwickeln und dem Duktus der beiden Interpreten bereitwillig zu folgen. Weite Klangräume werden schon im Allegro als farbgebende Mittel zur Darstellung der drückenden Stimmung verwendet.

Im Andantino dann zeigen sich Lücken in der Erzählung: kleinste Pausen in Uhligs pointiertem Spiel suggerieren ein bemühtes Herantasten an die Wahrheit, des Künstlers wie auch des Erinnernden, so scheint es. Schließlich eine schrille Violinpassage, der Kampf um die Deutungshoheit zwischen Erzählung und durchbrechender Emotion, Roth praktiziert beinah schmerzhafte Exerzitien auf der Geige, eröffnet ein Klangspektrum in den höchsten Tönen.

Insgesamt bleibt das Stück jedoch verständlich und offen, ohne sich hermetisch in Dissonanzen abzuschließen. Zwischen Prokofjew und Braunfels schwankt die harmonische Hoffnung der Melodie, sich nicht verlieren zu müssen in einem Abgesang auf das bekannte Ende der Geschichte. Man müsste sich Mieczysław Weinberg als einen glücklichen Menschen vorstellen, um es mit Camus' Essay "Der Mythos des Sisyphos" zu sagen, die Strapazen und gleichzeitige Konstanz der erzählerischen Dichte werden von beinah ekstatischen Schwüngen durchzogen, die sich jedoch immer wieder als Illusion herausstellen.

In der zweiten Hälfte des Programms an diesem Abend schließlich kommt die für manchen vielleicht ersehnte Befriedigung durch die Kreutzer-Sonate, auch hier mit viel Einfühlungsvermögen und erfahrener Rücksicht auf das dynamische Stück gespielt von Uhlig und Roth. Eine spannende Darbietung, die auch deren Umgang mit dem herkömmlichen Repertoire in hohem Grade qualifiziert. Nach lustvollen Trillern, locker aus der Hand geschüttelt von Uhlig, geht es schließlich in ein kontrolliertes Finale des bekannten Stücks.

Die Zuschauer im Pullacher Bürgerhaus sind begeistert und werden dennoch noch einmal beschenkt mit Weinberg, diesmal einer Rhapsodie über Moldawische Themen. Wer an dieser Stelle noch nicht begriffen hat, mit welcher Ebenbürtigkeit Mieczysław Weinberg damals Schostakowitsch begegnet sein muss, dem sei ein erneuter Konzertbesuch empfohlen, um noch einmal gründlich darüber nachzudenken.

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