Süddeutsche Zeitung

Konzert:Den Geist freimachen

Im Pullacher Bürgerhaus liefern David Orlowsky, Ohad Ben-Ari und Alban Gerhardt ein sattes musikalisches Programm

Von Julian Carlos Betz, Pullach

Luft gehört zu den Dingen, auf die niemand verzichten kann. Und gerade deswegen wird es gerne als das letzte verbindende Mittel genannt, mit dem wir noch in unmittelbarem Kontakt mit unseren fremden Mitmenschen stehen. So auch von Pianist und Komponist Ohad Ben-Ari im Bürgerhaus in Pullach am Freitag, als er das Publikum auf ganz besondere Weise zu bedächtigem Hinhören animierte. Das gelang den meisten Gästen im Publikum vermutlich bereits ohne gesonderte Instruktionen, denn mit dem international bekannten Klarinettisten David Orlowsky, dessen ausgedehnte Phrasierung den Abend füllte, sowie Ohad Ben-Aris mal sinnlichem, mal souveränem Klavierspiel und nicht zuletzt der poetisch reifen Darbietung von Alban Gerhardt am Cello entstand ohnehin eine besondere Atmosphäre des zwischenmenschlichen Dialogs.

Programmatisch stieg das Trio mit Ludwig van Beethoven ein, das heißt dem Gassenhauer-Trio von 1798. Die allseits bekannten Klänge um das eingängige Motiv vor allem im Final-Satz führten die technische Finesse der drei Musiker und vor allem deren Gleichrangigkeit vor. Agilität am Cello, samtener Ton bei Orlowsky sowie unabhängig voneinander gesetzte Akzente gestalteten das Stück auf reichhaltige Weise.

Nach der Eingewöhnung in das beinah hierarchielose Spiel der drei schlug man mit Francis Poulenc und seiner Arthur Honegger gewidmeten Sonate für Klarinette und Klavier die ersten schwierigeren Töne an. Orlowsky mit weit ausgestelltem Schritt vor dem Notenpult und fast heroischer Haltung, Ben-Ari mit manches Mal versonnen nach oben gerichtetem Blick und eine rätselhafte Spannung bilden das Gerüst für die Eindrücke in diesem Werk des 20. Jahrhunderts. Die Klarinette ruht sich praktisch aus in den hohen Tönen, so sicher bewegt sie sich dort und gleitet anschließend hinab zu einem Fade-Out, nach dem sie sich schamhaft im Off weiter bedeckt hält. In der Romanze skizzieren wiederholte, heftige Glissandi vor einem elegischen Rahmen am Klavier den erwarteten Gefühlsausbruch, bis im Allegro flüssiges Feuer sich in der Klarinette ausbreitet und Orlowsky zum Schlangenbeschwörer werden lässt: bestechend und fein zugleich.

Nun war alles bereit für Ben-Ari und seine Komposition, der erste Satz aus seiner Schöpfung "Five Meditations", die 2018 in Berlin uraufgeführt wurde. Vorab gab es noch die nötigen Hinweise zum "mindful listening", um die "vibrierende Reise des Bewusstseins" anzutreten. Das bedeutete geschlossene Augen und bedächtiges Atmen, was auch von den meisten Zuhörern umgesetzt wurde. "Entspannen Sie ihren Geist", bat Ben-Ari, bevor er schließlich unvermittelt zum rhapsodischen Spiel ansetzte. Minimalistische Klänge, von disparaten Pausen durchsetzt, gaben dem Titel recht und schufen eine meditative Atmosphäre der Besinnung. Manch einer musste vielleicht an Marina Abramovićs Methode des Anders-Hörens denken, die ganz Ähnliches im Sinn hat, nur weitaus monumentaler, versteht sich. Der Effekt dürfte jedoch derselbe sein, nur dass es bei Ben-Ari glücklicherweise nicht nötig war, den ganzen Tag im Konzertsaal zu verbringen. So konnten die Zuhörer einfach das fein ziselierte Spiel belauschen und die wie Luftblasen nach oben sprudelnden Klänge in einem (vielleicht innerlich gefühlten) Strom aus beseligendem Licht beobachten.

Nach der Pause kehrte das Trio zu herkömmlicheren Methoden zurück, erst eine Sonate für Cello und Klavier in d-Moll von Claude Debussy, dann Johannes Brahms Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier Op. 114. Bei dem kurzen Debussy-Stück zeigte Ben-Ari sein farbgebendes Potenzial am Klavier und lüftete verhangene Schleier der eigenwilligen Komposition. Ein nachdenkliches Cello mit schönen Pizzicato-Passagen und kurzen Sul-Ponticello-Tremoli ergänzte das komplexe Stück. Das Brahms-Trio konnte mit einem satten Timbre aufwarten.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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