Süddeutsche Zeitung

Konzert:Aus einem Guss

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Der junge Pianist Alexander Krichel präsentiert in Pullach ein Programm zum Thema Liebesleid und Liebesfreud

Von Julian Carlos Betz, Pullach

Bei sommerlichen Temperaturen arbeitet das Gehirn naturgemäß ein wenig langsamer. Umso besser, wenn sich dann ein Künstler wie Alexander Krichel mehr auf das gefühlsmäßige Verstehen des Publikums verlässt und noch dazu ein Programm ohne große Ecken und Kanten liefert. Trotz der Rekordhitze finden sich am Dienstag also genug Zuhörer im gut klimatisierten Saal im Pullacher Bürgerhaus ein, um dem begabten Virtuosen bei seiner Kür auf dem Steinway vor der noch hell erleuchteten Isar-Kulisse zu lauschen.

Anfang dieses Jahres erst hat Krichel seine CD "An die ferne Geliebte" bei Sony Classical veröffentlicht. Darauf finden sich Stücke von Beethoven, Schumann, Kreisler und Wagner, hauptsächlich Transkriptionen. Mit eben diesem Programm tritt der junge Mann nun auch in Pullach auf und verlangt nicht mehr von den Gästen, als sich an ihre eigenen Erinnerungen und vielleicht aktuellen Gefühle zum Thema liebender Sehnsucht zu wenden. Vor den einzelnen Stücken liefert er zur Sicherheit aber doch noch einige Erklärungen, unter anderem was den Charakter der Transkriptionen anbelangt. Das "sehr persönliche Programm", wie er es nennt, resultiert aus der Bearbeitung der Werke von Fritz Kreisler durch Sergej Rachmaninoff, Beethoven und Wagner durch Liszt sowie der originalen Symphonischen Etüden von Robert Schumann. Dabei verweist er auf die Perkussivität des Klaviers und die Schwierigkeit, eine annähernd so gute Modulation des Klangs zu erreichen, wie es der Sänger kann. Denn er selbst werde an diesem Abend nicht singen, versichert er scherzhaft dem Publikum.

Mit dieser Absicherung vorab beginnt Krichel dann auch mit der eigentlichen Vorstellung. Ohne große Eingewöhnungszeit offenbart der Echo-Preisträger schon mit den Beethoven'schen Liedern eine große Farbpalette, spielt mit den Tempi und durchdringt leichtfüßig Lust und Melancholie des schweifenden Geistes. Mit der Zeit verfällt der Pianist selbst in eine Art maßvollen Singsang, das preziöse Spiel verfällt dabei aber nicht zur technischen Petitesse, sondern entfaltet seine dem romantischen Charakter entlehnte Anziehung frei und ohne klebrigen Beigeschmack. Das an Wendungen reiche Spiel endet schließlich stark mit "Nimm sie hin denn, diese Lieder", hier dringt noch einmal echte, verzweifelte Liebessucht hindurch.

Weniger harmonisch gestaltet sich dann Rachmaninoffs Bearbeitung von Fritz Kreislers Walzern "Liebesleid" und "Liebesfreud". Auch hier verliert Krichel vorneweg ein paar Worte und verweist auf den völlig neuen Charakter der Stücke, man könne eigentlich nicht mehr von einem Walzer sprechen, das angenehme Dahinplätschern werde von Rachmaninoff mutwillig unterwandert mit plötzlichen und bisweilen schockierenden Modulationen im Bass. Die "halsbrecherischen Virtuosenkracher", so Alexander Krichel, geraten demnach tatsächlich zu einem expressiven Wechsel zwischen Einwiegen und Aufrütteln, das nur von den dazwischen liegenden Interferenzen zusammengehalten wird. Die fast karikierende Aufnahme des Themas wird kombiniert mit heftigen Ausfallschritten in der Chromatik, Krichel glänzt mit Passagen hoher Intensität und absolviert den Schlussspurt - bei dem der Walzer sich vollends verabschiedet - mit Bravour.

Vor der Pause darf sich der Zuhörer dann noch auf Wagners berühmt-berüchtigten Nervenschauder einlassen, der selbst in der Transkription noch unverkennbar auf den Meister verweist. Das etwas aus dem Zusammenhang genommene Stück "Isoldes Liebestod" entwickelt ganz von selbst die ihm eigene Sogwirkung. Die von Krichel beschriebenen "Wellen" der trauernden, ungläubigen Isolde, die ihrem Tristan nachfolgen möchte, stemmen sich gegen das Nichts und werden unter der Hand des Pianisten zum Espressivo in nuce. Starke Fortissimo-Schübe bilden einen effektvollen Korpus, nach dem sich Krichel erst einmal blinzelnd wieder in die Realität einfinden muss.

Der eigentliche Hauptakt dieses gelungenen Abends startet schließlich nach der Pause. Die enorm anspruchsvollen Etüden Op. 13 von Robert Schumann spielt Krichel mit der nötigen Virtuosität und lässt dabei auch die schwierigen Nummern nicht aus. "Die Reise in die Transzendenz", so Krichel, unterbricht er programmatisch mit den posthum veröffentlichten Variationen, denen er selbst mehr elegischen, romantischen Charakter zuschreibt als den übrigen.

Spätestens bei diesem homogen dahineilenden Part des Abends wird die stilistische Erfahrung des Künstlers deutlich, wie aus einem Guss bewegt sich das Spiel auf einer schmalen Grenze der Zeitlosigkeit dahin, immer zwischen technischer Enthüllung und gefühlvoller Resignation changierend. Die sinfonische Tragweite der Etüden arbeitet Alexander Krichel vielfältig aus, sodass der musikalische Mikrokosmos sich in astreinen Accelerandi spürbar ausdehnt und zuletzt mit einem wuchtigen Allegro Brillante zum abrupten Stillstand kommt.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2019
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