Kommunalwahl in Haar:Grüner Pyrrhussieg

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Der rote Drops ist gelutscht: Die Grünen haben im Gemeinderat ihre Mandate verdoppelt, aber den politischen Partner verloren.

(Foto: Haarstudio Wieser/oh)

Nach der Abwahl von SPD-Bürgermeisterin Gabriele Müller in Haar müssen sich die Spitzen des Ortsverbands die Frage gefallen lassen, ob ihre Taktik falsch war.

Von Bernhard Lohr, Haar

Sie wähnten sich als Wahlsieger, weil sie ihre Mandate im Gemeinderat von drei auf sechs verdoppelt haben. Doch jetzt stehen sie vor einer Situation, die alles andere als komfortabel ist: Die Grünen in Haar hat es völlig unvorbereitet getroffen, dass die SPD das Rathaus verloren hat. Keiner hatte damit gerechnet, dass die alles andere als amtsmüde rote Bürgermeisterin Gabriele Müller nach nur einer Amtsperiode gestürzt werden könnte.

"Das ist auf jeden Fall eine große Überraschung", sagte der gescheiterte Grünen-Bürgermeisterkandidat Ulrich Leiner noch am Wahlabend. Und er zeigte sich nachdenklich, ob die Grünen nicht einen Pyrrhus-Sieg errungen haben: als ein Gewinner, der seinen Partner verloren hat und jetzt sogar schlechter dasteht als davor. Auch die Frage treibt Mitglieder wie Wähler um, ob die Grünen mit ihrer Taktik - einem eigenem Bürgermeisterkandidaten und einer nur halbherzigen Empfehlung für Müller vor der Stichwahl - den CSU-Triumph erst möglich gemacht haben. Hat grüne Hybris ein rot-grünes Vorzeigemodell zerstört?

Wahlniederlagen gehören zur Demokratie. Und ebenso, dass mal eine andere Partei den Chef im Bürgermeisterbüro stellt. Doch Haar hatte da auch aus nachvollziehbaren, historischen Gründen eine Sonderrolle. Bis zur Eröffnung der großen Heil- und Pflegeanstalt in Eglfing vor hundert Jahren war Haar eine Ansammlung von ein paar Bauernhöfen, der Gemeindesitz war Salmdorf und erst mit dem Zuzug von Pflegern und Ärzten erfuhr die Gemeinde einen Wachstumsschub. Das Rathaus wurde von Salmdorf nach Haar verlegt, und die Bürgermeister waren plötzlich keine Bauern mehr, sondern kamen aus dem Klinikumfeld. 1919 wurde die SPD in Haar schon gegründet, vergangenen Mai feierten die Sozialdemokraten noch groß das Jubiläum. Das Soziale war ein Gründungsgen der Gemeinde. Jetzt wurde die Jahrzehnte prägende Kraft abgewählt.

Die Grünen zeigen sich selbstkritisch

Dass das so passierte, kam für Ulrich Leiner von den Grünen überraschend. Und er zeigt sich nachdenklich, ob die Grünen ihren Teil dazu beigetragen haben. Erstmals hatten sie einen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufgestellt, obwohl Müller stets auch grüne Politik gemacht hatte. Die Entscheidung des Grünen-Ortsvorstands, also von Leiner und Ulrike Olbrich, auch in der Stichwahl die grüne Eigenständigkeit zu betonen und sich nur indirekt für Müller auszusprechen, also auf eine namentliche Wahlempfehlung zu verzichten, trugen die amtierenden Gemeinderäte nicht mit. Die drei, die mit Müller eng zusammengearbeitet haben, verfassten ein eigenes, eindeutiges Pro-Müller-Statement. Ob das die Wähler nachvollziehen konnten, ist fraglich.

Leiner weist nicht von sich, dass das ein Fehler gewesen sein könnte. Die Schuld will er dennoch nicht bei sich und den Grünen suchen. Wenn es bei der Stichwahl um zehn Stimmen gegangen wäre, hätte er akzeptiert, dass das Verhalten der Grüne eine Rolle gespielt habe, sagt er. Aber so sicher nicht. Müller fehlten am Ende 301 Stimmen zur Wiederwahl.

Wie Bukowski auf 5127 Stimmen kommen konnte und warum Müller trotz Grünen-Unterstützung über 4826 Stimmen nicht hinauskam, hat SPD-Ortsvorsitzender Peter König versucht, rechnerisch nachzuvollziehen. Nachwahlbefragungen oder ähnliches gibt es ja nicht. So hat er einfach angenommen, Leiners Grünen-Stimmen vom ersten Wahltag seien in der Stichwahl zu Müller gewandert, was deren Zuwachs um 1223 Stimmen in der Stichwahl erklären würde. Dass es dennoch nicht gereicht hat, liegt daran, dass Bukowski sogar um 1504 Stimmen zulegte.

König erklärt sich das mit der Sondersituation einer Briefwahl. Viele, die sonst nicht zum Wählen gegangen wären, hätten so wohl Bukowski unterstützt. Bürgermeisterin Müller selbst sieht darin auch eine Erklärung. Sie hadert auch damit, dass Leiner überhaupt gegen sie angetreten ist. Ohne einen Grünen-Bürgermeisterkandidaten, sagt sie, "hätte es keinen zweiten Wahlgang gebraucht". Will heißen: Sie hätte Bukowski besiegt. Leiners Kandidatur - für Müller in der Rückschau überflüssig. Sie und die Grünen seien "in Sachfragen ähnlich gestrickt". Man habe auf Basis einer gemeinsamen "sozialen, ökologischen Grundhaltung" gut kooperiert. Das ist nun vorbei. Die Grünen, so Müller, hätten eine "Schlüsselrolle" dabei gehabt, dass es soweit gekommen ist.

Und so müssen die Grünen jetzt mit einer schizophrenen Situation zurecht kommen. "Wir sind eindeutig die Wahlsieger", sagt wie Leiner auch Gemeinderat Mike Seckinger. Ohne die Grünen werde es in Haar keine Mehrheiten geben. Dennoch werden sie damit zu tun haben, dass jetzt ein schwarzer Bürgermeister die Führungsrolle mit seiner Fraktion beansprucht, die in den vergangenen sechs Jahren rote und grüne Projekte mit Vehemenz zu verhindern suchte und etwa in der Ortsgestaltung immer wieder auch einen dezidiert anderen Kurs einforderte. Das ökologisch-soziale Haar, wie man es kannte, könnte Vergangenheit sein, obwohl Müller anerkanntermaßen gute Arbeit leistete.

Für Seckinger wirft das Wahlergebnis sogar die grundsätzliche Frage auf, was es für "Engagement" auf kommunalpolitischer Ebene bedeute, wenn man wie Müller so abgestraft werde. Müller habe sich, anders als oft von der CSU behauptet, auf für sie sehr mutige Bürgerbeteiligungsprozesse eingelassen, wie etwa beim Mobilitätskonzept. Müller steht nun vor dem Scherbenhaufen - und auch die Grünen, obwohl es nach Müllers Überzeugung in Haar "keine Wechselstimmung" von Rot zu Schwarz gegeben hat. "Dann wäre das Ergebnis deutlicher ausgefallen."

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