Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Und raus bist du

Das Wirrwarr aus Zonen und Ringen wird zwar abgeschafft, fair und logisch ist diese Tarifreform aber nicht

Kommentar von Lars Brunckhorst

Mit dem Nahverkehrstarif verhält es sich wie mit dem Steuerrecht: Er ist dann gut, wenn er einfach und gerecht ist. Einfach wäre der Tarif, wenn jedes Ticket das Gleiche kosten würde. Etwa einen Euro pro Fahrt. In manchen Städten gibt es so etwas ähnliches, etwa mit der Oyster-Card in London oder dem Südtirol-Pass. Gerecht wäre der Tarif, wenn der Ticketpreis von der Fahrtlänge oder Fahrtdauer abhinge. Wer viel fährt, zahlt mehr. Beide Prinzipien erfüllt die aktuelle MVV-Tarifreform nicht. Sie ist damit weit davon entfernt, eine Revolution zu sein. Es ist halt wie mit der Steuerreform: Der große Wurf bleibt ein frommer Wunsch.

Gewiss, zwei Dinge hat die Reform erreicht: Das Wirrwarr aus Zonen und Ringen wird abgeschafft und eklatante Tarifsprünge an den Grenzen werden beseitigt. Den Preis zahlt aber ein beträchtlicher Teil der MVV-Kunden. Es ist nämlich nicht nur so, dass angeblich 70 Prozent entlastet werden, wie die Verantwortlichen behaupten; es wird eben auch etwa ein Drittel belastet. Und zwar vor allem Zeitkarteninhaber in stadtnahen Kommunen, die jeden Tag auf die S-Bahn angewiesen sind. Ausgerechnet sie sind es, die künftig stärker zur Kasse gebeten. Preissteigerungen in Einzelfällen um 35 Prozent sind keine Ausnahme. Wer etwa neuerdings 89,90 Euro im Monat für vier Haltestellen zahlt, überlegt sich, ob das Auto nicht billiger ist. Oder zumindest, ob er damit nicht einen der Park-and-ride-Plätze innerhalb der neuen Kernzone ansteuert. Dass ausgerechnet diejenigen, die nah zur Arbeitsstelle wohnen, bestraft werden, ist eine bittere Ironie der Reform.

Möglicherweise haben sich die Väter dieser Reform gedacht, sollen diejenigen, die es nicht weit haben, doch mit dem Rad fahren. Tatsächlich ging es aber schlicht ums Geld: Für Städte und Gemeinden mit vielen Einwohnern und Arbeitsplätzen wie Unterschleißheim, Garching und Ismaning hieß es daher am Ende des Abzählreims, wer in die Kernzone darf: Und raus bist du. Sonst wäre das Defizit, das so schon auf 34 Millionen Euro im Jahr geschätzt wird, noch höher ausgefallen. Dann lieber Deisenhofen und Furth zur Innenstadt erklären. Das ist nicht nur nicht logisch und inkonsequent, das ist auch weder einfach noch gerecht.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2018
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