Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Rigides Regime falsch angewandt

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Die Polizei hat mitunter gezielt die Corona-Situation missbraucht, um gegen junge Leute vorzugehen - obgleich es mit den Unterföhringer Autoposern nicht die Falschen getroffen hat

Von Wolfgang Krause

Man muss vermutlich nicht begreifen, was junge Männer dazu treibt, mit aufgemotzten Autos immer wieder durch den selben Kreisverkehr zu heizen. Die sogenannten Autoposer sind mehr als nur ein Ärgernis, sie gefährden mit illegalen Rennen ein ums andere Mal das Leben unbeteiligter Verkehrsteilnehmer. Deshalb ist es verständlich, dass die Polizei alles Mögliche versucht, um ihrem Treiben ein Ende zu setzen. Und trotzdem ist der Eindruck fatal, den der Ismaninger Dienststellenleiter hinterließ, als er bei der Unterföhringer Bürgerversammlung über diese Bemühungen berichtete.

Er beklagte nämlich nicht nur, wie schwer die Polizei sich tue, gegen die Autoposer vorzugehen. Er berichtete auch, dass das während des Lockdowns viel einfacher gewesen ist: 42 Mitglieder der Szene wurden demnach in Unterföhring angezeigt, weil sie gegen Corona-Regeln wie Kontaktbeschränkungen oder Abstandsgebote verstoßen hatten. Damit bestätigt der Ismaninger Polizeichef einen Eindruck, den man während der Pandemie immer wieder gewinnen musste: Dass Polizisten und zum Teil auch Kommunalpolitiker das rigide Corona-Regime gezielt missbraucht haben, um gegen meist junge Leute vorzugehen, gegen die man sonst nichts in der Hand hatte.

Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der persönlichen Freiheiten waren vermutlich notwendige, um vulnerable Bevölkerungsgruppen vor dem Virus zu schützen. Aber sie hätten mit mehr Augenmaß durchgesetzt werden müssen - und nur mit dem Ziel, die Pandemie zu bekämpfen. Stattdessen wurden sie ein ums andere Mal genutzt, um feiernde Jugendliche zu vertreiben, die die Nachtruhe der Nachbarn störten. Im Fall der Autoposer hat es sicherlich nicht die Falschen getroffen. Ein Rechtsstaat muss aber andere Mittel finden, um gegen Raser vorzugehen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Tempolimit auf der Autobahn? Das wäre, anders als viele Corona-Maßnahmen, kein Eingriff in die Grundrechte.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2021
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