Kommentar:Erinnern, auch wenn's weh tut

Der Raper Sido hält die Auseinandesetzung mit der NS-Zeit für überflüssig. Ottobrunner Schüler beweisen, wie wichtig die Gedenkarbeit ist

Von Julia Fietz

Die einen schlummern noch selig vor sich hin, die anderen schreiben die Hausaufgaben ab oder holen das verpasste Frühstück nach. Wenn im Geschichtsunterricht mal wieder der Nationalsozialismus auf dem Stundenplan steht, ist das Interesse bei vielen Heranwachsenden mäßig. Alles schon mal gehört: 1933 fing der ganze Spuk an und 1945 war er wieder vorbei. Ein Szenario, dass vielen bekannt sein dürfte, deren Schulzeit noch nicht so lange zurückliegt - oder die noch mittendrin stecken.

Hat der Rapper Sido also mit seinen Aussagen zum Umgang mit Geschichte recht, als er unlängst in einer Talkshow meinte: Er habe kein Problem damit, wenn Jugendliche zu deutschen Schicksalstagen wie dem 9. November nichts wüssten. Wer sich nicht dafür interessiere, solle darüber auch nichts lernen müssen, Erinnerungen an etwas Schlechtes könne man getrost vergessen. Natürlich kann sich der Nationalsozialismus für manchen Jugendlichen im Jahr 2019 anfühlen wie eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten, von der er nicht weiß, was sie noch mit ihm zu tun haben könnte. Alles längst vorbei, in unserer Gemeinde ist sowieso nichts passiert, heute sind wir ein geeintes Europa und leben in Frieden zusammen. Meistens jedenfalls.

Dass der Deutsch-Rapper und Musikproduzent keineswegs für alle Jugendlichen spricht, beweisen mehrere Beispiele aus dem Landkreis: von dem "Spurensuche"-Theater Haarer Gymnasiasten über Unterschleißheimer Berufsschüler, die sich mit den Zwangsarbeitern der Lohhofer Flachsröste befassten, bis hin zu dem Einsatz Ottobrunner Abiturienten für die Erinnerung an das Massaker von Cortona, für das ein örtlicher Ehrenbürger verantwortlich war. Sie zeigen: Geschichte erwacht zum Leben, wenn sie ein Gesicht bekommt, wenn klar wird, dass Geschichte alles und jeden zu jeder Zeit beeinflusst. Die Ottobrunner Schüler stellen sich bewusst auch schlechten Erinnerungen. Sie mögen Sidos Musik hören, aber einer Meinung mit ihm sind sie, was Geschichte und Erinnerungskultur betrifft, glücklicherweise nicht.

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