Die felsenfeste Überzeugung, das Risiko im Griff zu haben, kann schnell erledigt sein, wenn der Fels sich bewegt. Der Klettergarten in Baierbrunn – in den Zwanzigern und Dreißigern ein beliebtes Trainingsgelände für zahlreiche bedeutende Alpinisten, die anschließend von München aus zu ihren Touren in die Zentralalpen oder in den Himalaja aufbrachen – ist jedenfalls kein Ort mehr, an dem man ohne Sicherheitsbedenken kraxeln oder bouldern sollte. Aber auch ein Spaziergang im Bereich der Nagelfluh-Felswand am Isarhang ist mutmaßlich nicht ganz ungefährlich.
Zu diesem Schluss kommt jedenfalls ein Gutachten des Tiroler Unternehmens Geo.zt, das zwei Mitarbeiter jetzt im Baierbrunner Gemeinderat vorstellten. Die Empfehlung der beiden Geologen Andreas Pedevilla und Patrick Oswald, die eine potenzielle Gefahrenbewertung unter anderem via Steinschlagsimulation und Pauschalwinkelanalyse vornahmen, könnte für das Gelände im Isarhangwald unterhalb des Ortsteils Buchenhain das finale, das heißt offizielle Aus als Ausflugsziel und Klettermöglichkeit bedeuten.
„Wir empfehlen eine großräumige Absperrung mit Hinweisschildern“, sagte Pedevilla. Zudem sollten mehrere Bäume oben an der Hangkante gefällt respektive „abgestockt“ werden, sodass „der Wurzeldruck den darunterliegenden Felsen nicht weiter auflockert, dafür aber die Wurzelstöcke die Bodenzone und das bereits aufgelockerte Gestein für die nächsten Jahre im Verband halten“. Andere Maßnahmen wie Monitoring oder bauliche Eingriffe am Hang, so die Gutachter, seien kaum realisierbar und sehr kostspielig.
Das geologische Gutachten hat eine lange Vorgeschichte von Felsabbrüchen und Gefahrenbewertungen und war von der Gemeinde auch in Auftrag gegeben worden, um sich mit weiteren präventiven Schritten juristisch abzusichern gegen mögliche Unfälle am Klettergarten und darauffolgende Klagen. Zuletzt hatte es im Mai 2023 einen größeren Felssturz gegeben, die Gemeinde ließ daraufhin den Klettergarten behördlich sperren und erließ ein Betretungsverbot für den Bereich des klassischen Klettergartens. Eigentlich galt für diesen ohnehin bereits ein durch den Isartalverein als Grundeigentümer verhängtes Betretungsverbot. Die generelle Gefährdung dort durch Steinschlag, Blockstürze bis hin zu kleineren Felsstürzen ist Gemeinde und Verein seit Langem bekannt – vor den Gefahren wurde bereits in älteren geologischen Gutachten gewarnt.
Pedevilla und Oswald verwiesen zudem auf einen Vorfall im oberösterreichischen Steyr, wo es 2023 bei einem Felssturz zwei Tote gegeben habe und wo geologische Verhältnisse herrschten, die mit Baierbrunn vergleichbar seien. Kleine Blöcke könnten aus der Nagelfluh-Wand am Isarhang jederzeit herausbrechen, so die Gutachter, und bei größeren Verbrüchen sei es möglich, dass Felsen bis zu 35 Meter weit hinabrollten. Deshalb sei auch der Bereich unterhalb des Wandfußes potenziell gefährlich – etwa für Eltern, die dort mit ihren Kindern spazieren gingen.
Obgleich bei manchem Mitglied im Gemeinderat Bedauern und leise Kritik herauszuhören waren ob der durch die angemahnten Eingriffe überschatteten Perspektive für das schöne, aber fragile Hangwaldgelände, scheint die Tendenz klar. „Die Sperrung ist die einzige Alternative“, sagte Altbürgermeisterin Christine Kammermeier (SPD), die betonte, dass sie die Problematik seit den frühen Siebzigern kenne, als sie erstmals in den Gemeinderat einzog: „Und die Leute sind oft unvernünftig.“ Diese Aussage unterstreichen konnten Geschäftsleiter Matteo Rudolph und Bauamtsleiter Patrick Kohlert, die bei Kontroll- und Besichtigungsgängen in den vergangenen Tagen im betroffenen Gebiet wiederholt auf „komplett uneinsichtige“ Kletterer und Ausflügler getroffen waren. Bisherige Warnschilder würden ohnehin seit Jahren nicht beachtet, die rot-weißen Absperr-Flatterbänder würden ständig entfernt.
Die Erstbesteiger der Matterhorn-Nordwand trainierten hier
„Ja, es tut weh“, findet auch Baierbrunns Bürgermeister Patrick Ott (ÜWG) mit Blick auf zu erwartende Schritte, die auch den Rückbau von Wegen zum Klettergarten beinhalten dürften. Letztendlich gehe es aus Sicht der Gemeinde einfach darum, sich juristisch abzusichern – es also Menschen, die in das betroffenen Gebiet trotz Verbots einzudringen suchten, möglichst schwer zu machen – um damit gegen etwaige, drohende Klagen, falls dann doch etwas passiere, gewappnet zu sein. „Ich fürchte, um uns da nicht angreifbar zu machen, müssen wir auch mit massiven Zaunwerken vorgehen.“ Auch hohe Bußgelder sind, zumindest für den Anfang, zur Abschreckung angedacht.
Der „geschichtsträchtige Klettergarten“, wie Pedevilla ihn nannte, der bisher trotz Verbots noch genutzt wurde, dürfte also bald wirklich der Vergangenheit angehören. Dort, wo Alpinisten wie Toni und Franz Schmid, die Erstbesteiger der Matterhorn-Nordwand, der Bergsport-Pionier Peter Aschenbrenner oder auch der spätere Papst Pius XII. (damals Nuntius in München) kletterten, soll dies nun wirksam unterbunden werden. Auch Reinhold Messner hat übrigens im Frühjahr 2020 den bergsporthistorisch bedeutenden Ort besucht, als er während der ersten Phase der Corona-Pandemie in München festsaß.