Kleinkunst:Die Menschenfänger von der Fußgängerzone

Wenn sich die Touristen durch die Innenstadt schieben, haben Open-Air-Künstler Hochsaison. Eine Lizenz zu bekommen, ist nicht einfach. Und manchmal müssen selbst lebende Statuen Attacken aushalten.

C. Warta

Martin kann heute kein Interview geben. Ein Foto? "Okay", sagt er, kein Problem. Aber sprechen will er nicht, sagt er, "ich fühle mich nicht nach Reden." Und dann spricht er doch: Nimmt eine Glaskugel aus seinem gelbgrauen Rucksack, groß wie eine Orange, und legt sie auf seinen Handrücken.

Kleinkunst: Einer der seltenen Momente, in denen sich Adrian Haragus mal bewegt und nicht als von Grünspan besetzte König-Ludwig-II-Statue stillsteht: bei der Zigarettenpause.

Einer der seltenen Momente, in denen sich Adrian Haragus mal bewegt und nicht als von Grünspan besetzte König-Ludwig-II-Statue stillsteht: bei der Zigarettenpause.

(Foto: Robert Haas)

Lässt sie über den Unter- und Oberarm auf die Schulter rollen und wieder zurück. Lässt sie von einem Ellbogen zum anderen springen, auf seinem Kopf landen, auf seinem Ohr zur Ruhe kommen. Die schimmernde Kugel tut, was ihr Herr verlangt. Schwärmerisch wendet er sich ihr zu, und es sieht aus, als würde er sie mit Worten betören, ihm zu folgen. "Wonderful", seufzt eine Zuschauerin.

Martin ist aus Polen nach München gekommen, der Straßenkünstler trägt eine ausgebeulte rote Hose und hat seine dunkelblonden Dreadlocks zu einem Knoten hochgebunden. Er ist Jongleur, Zauberer, ein Menschenfänger sowieso. Am Rande des Marienplatzes legt er sein Netz aus, die Kugel ist sein Köder. Wenn es aussieht, als würde sie schweben, irgendwo zwischen Pflaster und Himmel, dann bleiben die Menschen stehen, sie staunen und lachen, fotografieren und werfen manchmal ein paar Münzen in Martins rotes Säckel.

Es geht turbulent zu in diesen Tagen in der Fußgängerzone: Touristen aus aller Welt pilgern durch die Stadt, sie haben den München-Reiseführer in der einen, den Fotoapparat in der anderen Hand. Und sie laufen vom Donisl zur Asamkirche oder vom Tal zum Stachus. Am Rande dieser Trampelpfade buhlen die Straßenkünstler um die Aufmerksamkeit der Passanten.

Transzendentale Straßenmusik

Die meisten Lizenzen gibt die Stadt an Musiker aus - sie haben es verhältnismäßig leicht, denn sie machen mit ihren Klängen ohnehin auf sich aufmerksam. Jongleure, Clowns und Maler dagegen müssen andere Effekte nutzen: ein ungewöhnliches Geräusch, eine plötzliche Bewegung. Wenn dann der erste stehenbleibt, haben sie meist gewonnen. Ein zweiter dreht sich um, ein dritter stellt sich dazu. Schon bildet sich eine Gruppe, man kommt nicht mehr durch. Also bleibt man halt auch stehen.

Bei den Hirmer-Arkaden ist das so. Hier sitzt Mark Janku im Schneidersitz auf einem sorgfältig ausgebreiteten, reich bestickten Teppich. Er macht keine Musik zum Mitwippen, sondern er singt Mantras und begleitet sich selbst auf dem indischen Harmonium. Transzendentale Straßenmusik nennt der Ayurveda-Gesundheitsberater und Yogalehrer diese Darbietung. Prompt stauen sich die Menschen, fasziniert von den fremdartigen Gesängen. Doch Janku wird wohl nicht zu den Großverdienern unter den Straßenkünstlern zählen. Zu viele seiner Zuhörer gehen schon bald wieder weiter, manche schütteln irritiert den Kopf.

Eine Lizenz für zehn Euro am Tag

Auch ein grasgrüner Statuendarsteller, der sich rund 50 Meter weiter postiert hat, tut sich schwer, die Menschen zu stoppen. Er tschirpt und tschilpt zwar aufs Vortrefflichste und könnte damit vermutlich jeden gewöhnlichen Haussperling beeindrucken, doch damit ist sein Repertoire quasi schon ausgeschöpft. Was er darstellt, was er will? Man erfährt es nicht, auf Fragen antwortet er mit Schulterzucken. Dann wird ein kleiner Hund vorbeigeführt. Die Grasstatue tschirpt und macht eine heftige Bewegung, der Hund erschrickt und bellt wütend, Passanten lachen, aber stehen bleiben sie nicht.

Kleinkunst: Das Kunstangebot in der Münchner Fußgängerzone ist vielfältig, von Jongleuren bis hin zu Clowns und Musikern.

Das Kunstangebot in der Münchner Fußgängerzone ist vielfältig, von Jongleuren bis hin zu Clowns und Musikern.

(Foto: Robert Haas)

Dabei muss, wer in Münchens guter Stube auftreten will, sogar eine Art Casting durchlaufen. Die Lizenzen, die zehn Euro pro Tag kosten, werden täglich morgens in der Stadtinformation im Rathaus für den Auftritt am selben Tag ausgegeben. Im Sommer und zur Wiesnzeit, wenn viele Touristen durch die Innenstadt flanieren, stehen die ersten Künstler manchmal schon um ein Uhr früh vor dem Büro, um die begehrten Scheine zu bekommen. Doch Albert Dietrich, Chef in der Stadtinformation, lässt sich von unbekannten Künstlern sicherheitshalber auch noch zeigen, was sie können.

Außerdem hat die Stadt auf zwei DIN-A4-Seiten alles zum Thema Straßenkunst in der Fußgängerzone geregelt - weil "die Vielzahl der Künstler zuletzt zu einer Belästigung der Anwohner und Geschäftsleute geführt" habe. Musiker dürfen in zwei Schichten spielen, es dürfen außerdem nach dem Glockenspiel um 12.15 Uhr drei Statuen erstarren, zwei Pantomimen oder Jongleure auftreten sowie zwei Maler ihre Kunstwerke fertigen. "Besonders störende Musikinstrumente" wie Saxophone oder Dudelsäcke sind verboten, Darbietungen mit Feuer, Messern oder Tieren ebenfalls. Jede Stunde müssen die Künstler außerdem den Standort wechseln.

Adrian Haragus hat zwei Shows im Angebot: den goldenen Mann und den blauen Mann. Heute spielt der Rumäne Variante zwei, eine von Grünspan besetzte König-Ludwig-II-Statue mit halblangem Haar und Säbel im Gürtel. Und er spielt sie gut. Minutenlang bewegt sich nichts an ihm, nicht mal die Augen. Der Trick? "Verrate ich nicht", sagt er.

"Die behandeln dich wie den letzten Kehricht"

Vor zwei Jahren kam er zum ersten Mal nach München und blieb. Seither arbeitet er dreimal die Woche acht Stunden lang als Statue. "Ein schwieriger Job", sagt er. Kinder zupfen an seiner Kleidung, Frauen posieren mit ihm für ein Foto. Adrian Haragus bewegt sich nur, wenn jemand eine Münze in die Kiste unterhalb seines Sockels fallen lässt. Dann wirft er Küsschen, macht eine Gewinner-Faust oder reißt die Augen begeistert auf.

Haragus fühlt sich wohl in München. "Hier ist es sicher", sagt er - obwohl auch eine Statue manchmal mit Attacken zurechtkommen müsse. "Manche schubsen dich absichtlich", sagt er, "die behandeln dich wie den letzten Kehricht". Dafür lieben ihn die anderen. Selbst in der Rauchpause muss er für Fotos posieren, die Zigarette in der Linken. Der Job reizt ihn, weil er besonders ist, mit dem Verdienst hat er sein Auskommen. "Wissen Sie", sagt er, "wir machen diesen Job nicht, weil wir reich werden wollen, sondern weil wir frei sein wollen". Dann macht er die Zigarette aus, steigt auf seinen Sockel und - erstarrt.

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