Süddeutsche Zeitung

Klassische Musik:Beethovens Botschafterin

Die Pianistin Sophie Pacini aus dem bayerischen Aying füllt Konzertsäle von Tokio bis Paris. Im Auftrag des BR wird sie im Beethoven-Jahr Hauskonzerte geben.

Von Carina Seeburg

Kurz hält Sophie Pacini inne, lässt die Stille wirken - dann fliegen ihre Hände über die Tasten und Musik füllt den kleinen Raum. Kräftige Klänge, die den Körper beben lassen und große Konzertsäle füllen können. Die Dramatik von Beethovens Waldsteinsonate. Pacini sitzt inmitten antiker Möbel an einem schwarzen Flügel, ganz versunken in ihr Instrument. "Das ist ein Gefühl von Zuhause", beschreibt sie den Moment, in dem sie in ihrer Musik zu versinken scheint.

Die international erfolgreiche Pianistin wird in den kommenden Monaten als Beethoven-Botschafterin wuchtige Konzertklänge in kleine Räume bringen. In einem Projekt mit dem Bayerischen Rundfunk werden bis zum 17. Dezember 2020, dem 250. Jahrestag des Taufdatums Ludwig van Beethovens, bayernweit Hauskonzerte mit Pacini organisiert. "Beethoven ist der Komponist, der einem die Emotionen schier in die Seele heftet - gerade mit seiner Neunten, die uns immer wieder von den Sitzen haut", sagt Pacini. Das Gleiche gelte für die Eroika-Symphonie, die Waldsteinsonate und viele andere Stücke des Ausnahmekomponisten. "Wann immer ich Beethoven höre, hab' ich das Gefühl, es geht um etwas Essenzielles und um die Tatsache, dass der Sinn des Menschen darin besteht, Emotionen zu transportieren."

Emotionen, Gedanken und Bilder mit Musik zu kreieren und weiterzugeben, treibt Pacini seit früher Kindheit an. Mit acht Jahren spielt sie das erste Mal im Herkulessaal der Münchner Residenz. Den großen Flügel dort habe sie als Mädchen kaum überblickt. Ihre Beine baumelten vom Hocker und das Pedal konnte sie nur mithilfe einer provisorischen Holzstufe erreichen. Unzählige Augenpaare hefteten sich aus der Dunkelheit erwartungsvoll auf sie - und dann, ganz plötzlich, habe sie ein Gefühl von Wärme umgeben. "Es ist dieser Zauber, der in der Luft liegt, wenn Emotionen übertragen werden, ohne Worte zu verwenden", sagt Pacini.

Mit der Musik taucht Pacini in eine Welt der Farben ein

Seit ihrer Kindheit sei Musik die Sprache, in der sie sich am besten ausdrücken könne. In ihr fühle sie sich zuhause und mit ihr tauche sie in eine Welt der Farben ein: "H-Dur höre ich lindgrün, Es-Dur ist dunkelrot und F-Dur blau-lila." Von Ton zu Ton gebe es Schattierungen, aber auch von einem Komponisten zum anderen.

Dass sie ihre Leidenschaft zum Beruf machen würde, habe sie jung entschieden - ein Traum, an dem viele Musiker scheitern. Hatte sie einen Plan B? Alternativen habe es nie gegeben, ist die Antwort der Pianistin. "Ich kann mit Musik etwas bewirken, etwas schenken. Musik gibt Energie und beurteilt nicht. Sie holt den Menschen dort ab, wo er ist. Ich wollte nie etwas Anderes tun."

Pacinis Weg zur Starpianistin zeichnete sich früh ab: 1991 in München als Tochter einer deutschen Ärztin und eines italienischen Literaturwissenschaftlers geboren, beginnt sie mit sechs Jahren Klavier zu spielen. "Meine Mutter hat meinem Vater von ihrem ersten Ersparten ein Klavier geschenkt - er wollte nämlich schon immer Klavier spielen lernen", erzählt Pacini. Bei der Gelegenheit habe sie dann gemeinsam mit ihrem Vater Unterricht genommen. Für kurze Zeit hätten sie noch die gleichen Stücke eingeübt und es sei eine liebevolle Konkurrenz entstanden. Nach einem Jahr dann habe sie ihren Vater abgehängt.

"Die klassische Musikwelt wird noch immer von alten Männern dominiert"

Der weitere Verlauf der Geschichte ist die eines Wunderkinds: Drei Monate nach Pacinis Konzertdebüt mit acht Jahren wird sie in der Meisterklasse im Hochbegabten-Institut des Mozarteums Salzburg aufgenommen. "Da bin ich dann in die professionelle Musikwelt eingetaucht. Eine Welt harter Konkurrenz, in der ich gelernt habe, dass das Urvertrauen und die Liebe, die meine Eltern mir gegeben haben, für andere Kinder nicht selbstverständlich waren." Für viele Schüler aus Musiker-Elternhäusern sei der Weg vorgezeichnet und die Zuneigung der Eltern oft an Leistung geknüpft. "Ich bin froh, dass ich mein eigener Antrieb sein konnte", sagt Pacini im Rückblick. Ihre Eltern hätten sie unterstützt, zugleich aber auch mit der Musikwelt und dem Druck gehadert, der auf ihrer Tochter lastete.

"Eine harte Schule zahlt sich aber am Ende aus", ist sich die Pianistin sicher. Denn die klassische Musikwelt umgebe noch immer eine Aura des "Altbackenen, Muffigen, sie hat vielleicht auch etwas Verängstigendes". Und sie werde noch immer von alten Männern dominiert, erklärt sie. Die Konkurrenz sei groß und Netzwerke seien essenziell. Der harte Weg, den sie gewählt hat, hat sich indes ausgezahlt: Pacini wurde mittlerweile mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter ein Echo Klassik. Die Ayingerin erklomm mit ihrem jüngsten Soloalbum "In Between" Platz zwei der deutschen Klassik-Charts und gastiert regelmäßig in bedeutenden Konzertsälen von Paris bis Tokio.

Die Rastlosigkeit der Großstadt trieb Pacini zurück aufs Land

Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens ist dabei immer das oberbayerische Aying geblieben. Der Ort, in dem sie aufgewachsen ist und wo ihre Eltern noch immer leben. Nach Jahren in der Großstadt ist Pacini mit ihrem österreichischen Mann Clemens Gordon, ebenfalls Musiker und Solobratscher an der bayerischen Staatsoper, zurück in ihren Heimatort gezogen. "In der Stadt hatte ich nie das Gefühl wirklich am Boden zu sein", vom Lieferverkehr in den frühen Morgenstunden bis tief in die Nacht sei eine Stadt in Bewegung.

Dieses Rastlose habe sie schließlich aus dem Stadtleben ausbrechen lassen. "Ich musste zurück aufs Land", sagt die 28-Jährige, "zurück zur Ruhe der Natur, in der sich ein Kreislauf nach dem anderen wiederholt, völlig unbeirrt von dem Strudel der Gesellschaft drumherum. Das ist erdend und das ist echt", und sie möge es, die Menschen beim Bäcker oder im Supermarkt zu kennen.

Der Weg zurück zu ihren Wurzeln sei für sie so klar gewesen, wie ihr Leben mit klassischer Musik. "Natürlich höre ich auch andere Musik - Hip Hop, Rap, Eminem, Michael Jackson - aber mit Mozart, Schumann oder Beethoven trete ich am Klavier intensiver in Kontakt." An Beethoven bewundert Pacini, dass ihn auch der Verlust seines Gehörs nicht der Musik beraubte. "Er hat es als Hürde genommen, nicht als Hindernis - und ist seinen Weg gegangen."

Wenn in Aying die letzten Töne von Beethovens Waldsteinsonate verklingen und es in dem kleinen Raum mit dem schwarzen Flügel wieder still wird, blickt Sophie Pacini aus dem Fenster und kann die Gipfel der Alpen in der Ferne sehen. In Tokio oder in Paris ist sie Zuhause, wenn sie ihre Hände auf die Tasten legt, sagt Pacini, aber "wenn mein Blick auf die Bergkette der Alpen fällt, dann weiß ich, "jetzt bin i dahoam".

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Quelle:
SZ vom 14.02.2020
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