Klassik:Schöner Schmerz

Aying, Sophie Pacini, Pianistin, Foto: Angelika Bardehle

Die Deutsch-Italienerin Sophie Pacini, 28, spielt versiert auf vielen Tastaturen. Eine herausragende Pianistin, ist sie inzwischen auch als Moderatorin, Essayistin und Klassik-Vermittlerin erfolgreich.

(Foto: Angelika Bardehle)

In ihrem neuen Album "Rimembranza" taucht die Ayinger Pianistin Sophie Pacini in ambivalente Paradiese der Erinnerung

Von Udo Watter, Aying

Ob die Vertreibung aus dem Paradies ein Unglück war, darf bezweifelt werden. Ist so ein idyllischer Garten mit murmelnden Bächlein auf Dauer nicht ein bisschen langweilig - geschweige denn erkenntnisfördernd? Andererseits muss das Paradies nicht zwingend ein Garten sein. "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können", sagt der Dichter Jean Paul.

Die Pianistin Sophie Pacini hat dieses Bonmot des fränkischen Dichters als Maxime ihres Albums gewählt. Die 1991 als Tochter deutsch-italienischer Eltern in München geborenen Pacini hat es "Rimembranza" genannt, aber die titelgebende Erinnerung ist dabei eben kein paradiesisches Phänomen im Sinne heimelig murmelnder Bächlein. Schönheit und Schmerz, Verzweiflung und Erlösung - vor allem aber Verlust und die Erinnerung daran schwingen und klingen gleichsam in allen Werken mit, die sie für ihr Album ausgesucht hat. In das Zentrum von "Rimembranza" hat die 28-Jährige, die nach einigen Jahren in München nun wieder in ihrem Heimatort Großhelfendorf in der Gemeinde Aying wohnt, zwei Werke gestellt, die für sie stark mit Schmerz, Vergänglichkeit und Tod verbunden sind: Mozarts Sonate Nr. 8 in a-Moll (der kurz zuvor seine Mutter verloren hatte) und Schuberts Sonate in a-Moll op. 143.

Vorstellen wird sie das Album, das sie beim neuen Label "Avenir Records" in Kooperation mit dem Deutschlandfunk herausgebracht hat, erstmals bei zwei Releasekonzerten am Donnerstag, 3., und Freitag, 4. September, in Pullach im Tresor Vinum. "Die Idee eines Konzeptalbums war mir wichtig" sagt Pacini. Neben den zwei Sonaten, bei den die von der Tonartenwahl und ihren emotionalen Assoziationen faszinierte Künstlerin gerade das Fahle, Trostlos-Düstere, mitunter Desperate von a-Moll bewegt, erklingen auch Schuberts bekannte Impromptus op. 90: "Zwei süßherbe Rimembranzen aus der Vergangenheit", so Pacini. Hinzu kommt Schuberts "Ständchen" nach einem Liebesgedicht von Ludwig Rellstab, welches Pacini nicht zuletzt mit nostalgischen Anwandlungen ihrer Urgroßmutter verbindet. Den Abschluss des Albums bildet das "Tema d'amore" des heuer verstorbenen Filmkomponisten Ennio Morricone und seines Sohnes Andrea aus dem Film "Cinema Paradiso", es ist ein Tribute Track an ihre zweite Heimat Italien. Für die vielfach ausgezeichnete Pacini, die unter anderem 2015 mit dem Echo Klassik als "Nachwuchskünstlerin des Jahres" (Klavier) bedacht wurde, anschließend zwei erfolgreiche CDs beim Major Label Warner Classics herausgebracht hat und auch eine gefragte Moderatorin und Kulturbloggerin ist, bedeutet dieses, ihr sechstes Album, enorm viel. Der Schritt weg von einem der großen Labels - die generell von ihren Künstlern immer häufiger "reine Zugabestück-Alben" verlangten, wie sie sagt, war wichtig: "Ich wollte diesen kitschigen Parametern entkommen." Pacini - Mutter Ärztin, Vater Philosophieprofessor - ist auffallend reflektiert und wortgewandt, und sie hatte die Courage, weg von Warner zu gehen, um der größeren Unabhängigkeit willen. Ein Album sei ja immer auch eine "hochwertige Visitenkarte" des Künstlers, für die sie als Persönlichkeit einstehe muss. CDs an den Hörer zu bringen wird freilich erst mal mühsam. Die meisten werden inzwischen normal bei Konzerten verkauft (in der Pause und danach) - was ja heuer von Corona stark ausgebremst wird.

Pacini freut sich trotzdem auf das Release. Ihre Auseinandersetzung mit Musik ist bei ihr immer so emotional wie analytisch. Die intellektualisierende Herangehensweise findet sie "essenziell in der Klassik", man solle diese "nicht seichter machen", um sich anzubiedern. Abgehoben oder elitär ist die Ayingerin aber nicht. Im Gegenteil. Pacini, die auch eine Freundin der großen Pianistin Martha Argerich ist und mit ihr im Dezember ein Duo-Konzert in München geben wird, bemüht sich sehr um die Vermittlung klassischer Musik jenseits des Bildungsbürgertums. Als Beethoven-Botschafterin des BR hat sie noch im Frühjahr vor der Corona-Zwangspause in diesem Format in einer Autowerkstatt vor Azubis gespielt - und sie hat sie gekriegt. Nicht nur mit ihrer Klavierkunst, sondern auch mit ihrer klugen, zugänglichen Art. "Man muss mit der Musik in Dialog treten", hat sie ihnen gesagt. "Nach dem Motto: Wenn Träume fliegen lernen". Dass sie dort nicht nur Klassik, sondern auch Pop- und Filmmusik spielte, war nur logisch.

Bei der Einspielung des Albums, das mit Mozarts zwölf Variationen auf das französische Volkslied "Ah, vous dirai-je, Maman! (Ach, soll ich Ihnen sagen, Mama)" beginnt, spürte die Pianistin ihre Entwicklung. "Ich habe gelernt, im Moment das abzurufen, was zählt. Mich von 'falscher Distanz' zu entwaffnen, ein Forte etwa beherrscht, aber überwältigend zu spielen." Die eigene Wahrnehmung schulen, die virtuose und interpretatorische Balance zu finden, ist das Ziel. "Emotionen können nur sprechen, wenn sie auch auf Ästhetik gründen." Technisch großartig und mit künstlerischem Ernst gesegnet, ist Pacini schon lange. Aber in "Rimembranza" erreicht sie einen beeindruckenden Grad an elaborierter Tiefe. Weicher Anschlag, sinnfällige Verzögerungen, Klangfarbenraffinesse, dramatische Überwältigung ohne Effektwucht - dabei hat sie das Album in nur anderthalb Tagen eingespielt.

Pacini, die mit dem österreichischen Bratschisten Clemens Morgen verheiratet ist, hat sich auch kritisch mit der kostenlosen Streaming-Konzertflut auseinandergesetzt. "Wir als Künstler müssen nicht alles mitmachen." Manchmal ist weniger mehr, und dass man zum Innehalten, zur Stille gezwungen war, ist gerade im Beethovenjahr interessant: "Ist es Ironie des Schicksals, dass wir in dem Jahr, in dem wir das Genie Beethovens jederzeit, allerorten, tönend zelebrieren wollten, 'ertaubt' wurden?", hat Pacini in einem Essay geschrieben. "Ist die Botschaft Beethovens Schaffens vielleicht die, dass Klang einer Harmonie des Geistes bedarf, die nur einen Raum voll Stille füllt?" Musik kommt aus der Stille und verschwindet wieder in ihr. Aber ihre emotionale, manchmal sogar transzendentale Kraft - die bleibt in Erinnerung.

Die Release-Konzerte am 3./4.September finden im Tresor Vinum, Pullach, statt. Information gibt es unter www.gastmahl.eu/wohlklang

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