Einzelhandel:"Ich mache mir Sorgen um unseren Ortskern"

Einzelhandel: Ein Maibaum macht noch kein funktionierendes Ortszentrum: In Kirchheim gibt es nur noch wenige Läden.

Ein Maibaum macht noch kein funktionierendes Ortszentrum: In Kirchheim gibt es nur noch wenige Läden.

(Foto: Sebastian Gabriel/)

Die Bank und die Post sind schon weg, demnächst zieht auch das Rathaus um. Das dürfte die Probleme der Läden im Kirchheimer Zentrum weiter verschärfen. Bürgermeister Böltl appelliert deshalb an die Bevölkerung, gezielt dort einzukaufen.

Von Anna-Maria Salmen, Kirchheim

Zur Postkartenidylle typischer bayerischer Ortskerne gehört meist ein Dreiklang: Gotteshaus, Gasthaus, Rathaus. Kirchheim erfüllt dieses Klischee geradezu vorbildlich. Die barocke Kirche Sankt Andreas beherrscht den Blick auf den mit kleinen Steinen gepflasterten Platz, der gesäumt wird von gleich mehreren Lokalen. Lange aber wird der Dreiklang nicht mehr bestehen, denn die Gemeindeverwaltung, die aktuell noch im Rathaus direkt neben der Kirche beheimatet ist, zieht in gut einem Jahr in das neue Quartier zwischen Kirchheim und dem Gemeindeteil Heimstetten. Und auch sonst bleibt die Zeit nicht stehen in Kirchheim.

Beinahe ununterbrochen rauschen an diesem Vormittag Autos und Busse vorbei, ansonsten ist wenig los im Ortszentrum. Das liegt nicht nur an der Uhrzeit. Die Gemeinde hat, wie viele andere auch, zu kämpfen mit einem immer stärkeren Ladensterben und einem Veröden der Zentren. "Ich mache mir Sorgen um unseren Ortskern", sagt Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU). Auch in Kirchheim spüren die Einzelhändler, was sich überall bemerkbar macht: Ihnen macht die Konkurrenz durch große Agglomerate wie das Einkaufszentrum im nahem Riem zu schaffen, vor allem aber der Online-Handel. Die Umsatzeinbußen durch die Pandemie sind nach wie vor nicht überwunden, steigende Energiepreise und Mieten erhöhen die Kosten.

Bereits vor Längerem habe man ein Gutachten zu der Frage erstellen lassen, wer aus welchem Grund das Ortszentrum aufsucht, erzählt Böltl. Die sogenannten Hauptfrequenzbringer, so zeigte sich damals, waren das Rathaus, die Bank und die Post. Wer sich einen neuen Personalausweis ausstellen lässt, gerät vielleicht in Versuchung, noch schnell in der gegenüberliegenden Eisdiele einzukehren, so die Logik. Und hebt man in der Bank Geld ab, kann man dieses auch gleich beim Buchladen ums Eck in eine neue Lektüre investieren.

Einzelhandel: Von der Filiale der VR-Bank ist nur noch der Geldautomat übrig.

Von der Filiale der VR-Bank ist nur noch der Geldautomat übrig.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Noch ist die Gemeindeverwaltung im Rathaus an der Münchner Straße zu finden. Die beiden anderen Magneten sind indes bereits aus dem Ortszentrum verschwunden. Vereinzelt kommen noch Kunden durch die automatischen Schiebetüren der ehemaligen VR-Bank, denn die Geldautomaten funktionieren noch. Dass die Schalter jedoch mittlerweile geschlossen sind, "schmerzt uns sehr", sagt Böltl. "Vor allem für die Älteren ist das ein großer Verlust. Es macht noch nicht jeder Online-Banking." Die Gemeinde habe allerdings auf die Entscheidung keinen Einfluss gehabt, betont der Rathauschef. Nun setze man sich dafür ein, zumindest einen Geldautomaten zu bewahren. Dieser soll künftig allerdings an anderer Stelle zu finden sein, möglicherweise im aktuellen Rathaus. Für das Bank-Gebäude gibt es bereits andere Überlegungen: "Wir sind gerade in Gesprächen mit verschiedenen Ärzten, die sich dort zu einem Ärztehaus zusammenschließen wollen."

Einzelhandel: In der ehemaligen Postfiliale hat sich der Kunstraum etabliert, der eigentlich nur als Zwischennutzung gedacht war.

In der ehemaligen Postfiliale hat sich der Kunstraum etabliert, der eigentlich nur als Zwischennutzung gedacht war.

(Foto: Sebastian Gabriel/)

Wie man mit kreativen Lösungen Leben ins Ortszentrum bringen kann, ist auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu sehen. Als die dort beheimatete Postfiliale vor einigen Jahren schloss, stieg die Gemeinde in den Mietvertrag ein und gewährte dem Kunstraum eine Bleibe, einem offenen Treff für Kreative, der zudem zu verschiedenen Themen Kurse anbietet. Ursprünglich war das nur als Zwischennutzung gedacht, doch das Projekt ist mittlerweile zur Institution im Ort geworden, wie Böltl sagt. Anfang Dezember feiert der Kunstraum sein dreijähriges Bestehen.

Der Kunstraum ist für die Gemeinde ein Minusgeschäft

Für die Gemeinde ist die Nutzung laut Böltl ein Minusgeschäft, das sich trotzdem lohne: "Sonst würden die Räume ganz leer stehen." Der Bürgermeister ist eigenen Worten zufolge überzeugt davon, dass man auch für nicht kommerzielle Nutzung offen sein müsse, um wieder Leben in den Ortskern zu bringen. So sollen die aktuell ungenutzten Räumlichkeiten neben dem Kunstraum bald die Tafel beziehen.

Böltl ist zwar besorgt um die Zukunft des Kirchheimer Zentrums, zeigt sich gleichzeitig aber auch optimistisch. Die Ortsentwicklung unter anderem durch das große Infrastrukturprojekt Kirchheim 2030, zu dem auch das neue Rathaus gehört, bringe Chancen mit sich: Mit der nahe dem Ortskern entstehenden Wohnbebauung bekomme Kirchheim viele neue Bürger, die, so die Hoffnung, auch zusätzliche Kaufkraft bedeuten. Der Bürgermeister betont das Engagement der Gemeinde, attraktive Möglichkeiten im Zentrum zu schaffen, doch um das Zentrum lebendig zu halten, sei eben auch die Hilfe der Bevölkerung nötig. Böltl appelliert an die Kirchheimerinnen und Kirchheimer, den lokalen Handel zu unterstützen: "Wir müssen uns als Gesellschaft Gedanken machen, wo wir einkaufen."

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