Kirchheim:On the Road again

Biker-Stammtisch in Kirchheim/Heimstetten

Manuel Schnattinger, Hans Faltermaier, Catharina Zenker und Ingo Kohlbecher vom Kirchheimer Biker-Stammtisch.

(Foto: Lukas Bbarth)

Die Motoren röhren wieder: Catharina Zenker und ihre Freunde vom Kirchheimer Biker-Stammtisch starten in die Saison.

Von Laura Borchardt, Kirchheim

An ihrer Halskette baumelt ein goldener Anhänger. Wenn man genauer hinschaut, erkennt man ein kleines Motorrad. Catharina Zenker, 60, aus Kirchheim steht auf Motorräder - nicht nur auf Schmuck-Miniaturen, sondern vor allem auf echte Maschinen.

Sehnsüchtig haben Zenker und ihre Bikerfreunde auf den Frühling und das gute Wetter gewartet. Über die Osterfeiertage mussten die Motorräder noch in der Garage bleiben - zu kalt und nass war es für eine Tour. Ab auf die Straße heißt es dafür in diesen Tagen - bei Temperaturen von bis zu 20 Grad. "Ich freue mich, dass es endlich wieder losgeht", sagt Zenker. Nach der langen Winterpause, die in der Regel von Oktober bis April dauert, müssen die Maschinen erst wieder fit gemacht werden. Zenkers Yamaha bekommt zum Saisonstart eine Rundumüberholung verpasst: Ölwechsel, neue Batterie und Reifen. Fehlt noch der TÜV und fertig ist sie für den nächsten Stammtisch-Ausflug.

Schon seit mehr als 20 Jahren trifft sich eine kleine Gruppe von Bikern aus Kirchheim und Umgebung zu einem Stammtisch. Ungefähr einmal im Monat kommen sie in Zenkers Tanzstudio "Happy Dancing" in Heimstetten zusammen. Während die ersten Biker an der Bar neben dem Eingang Platz nehmen, üben ein paar Mädchen gerade noch die letzten Tanzschritte für einen Auftritt. Die Wand neben der Theke ist vollgehängt mit Biker-Schildern, Fotos von gemeinsamen Ausflügen und den eigenen Maschinen.

Vor 40 Jahren kam Zenker aus Maastricht in den Niederlanden nach München. Seit 1983 lebt die ausgebildete Tanz- und Sportlehrerin in Kirchheim, wo sie vor ober 30 Jahren ein Studio eröffnet hat. Standard und Latein sind ihre Disziplinen, bis zu fünf Kurse gibt sie in der Woche. Durch das Tanzen ist Zenker aufs Motorradfahren gestoßen. Schon mit 13 war sie auf dem Mofa, mit 15 auf dem Moped unterwegs: "Ich wollte von meinen Eltern unabhängig sein und das war die einzige Möglichkeit, alleine ins Tanztraining zu kommen." Seitdem hat sie den Lenker nicht mehr aus der Hand gegeben. Im Laufe der Jahre hatte Zenker immer schnellere Maschinen. Heute könnte sie mit ihrer 295 Kilogramm schweren Yamaha bis zu 170 Stundenkilometer fahren. Obwohl die Bikerin zierlich und mit 1,65 Metern nicht sonderlich groß ist, kann sie mit der richtigen Technik das Gewicht ihrer Maschine gut halten, auch in Schräglage.

Die Stammtisch-Biker reden über angesagte Scheinwerfer, Auspuff-Lautstärken und Tricks zur Befestigung einer GoPro-Kamera. "Wir sind kein Motorradclub, bei uns geht es locker und familiär zu", sagt Zenker. Es gebe weder strenge Regeln für Mitglieder, noch Hierarchien oder Gebietsansprüche wie in einigen Biker-Clubs üblich. Man tauscht sich über das gemeinsame Hobby aus und plant die nächsten Ausfahrten. Die ersten unter ihnen waren heuer schon ab Mitte Februar wieder auf den Straßen unterwegs.

Immer wieder tragen Motorradfahrer private Rennen aus, jagen Pässe rauf und runter und testen dabei ihre Grenzen. Eine beliebte Rennstrecke im Landkreis: der kurvenreiche Klosterberg bei Schäftlarn. 2013 verunglückte dort ein 24-jähriger Motorradfahrer tödlich. Besonders im Frühjahr, wenn alle ganz heiß auf ihre erste Tour sind, geht den Kirchheimer Motorradlern die riskante Fahrweise mancher Biker auf die Nerven. 2014 kam es im Landkreis München zu 145 Motorradunfällen, knapp zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Hauptkommissar Markus Koch vom Polizeipräsidium München kennt die Risikobereitschaft vieler Motorradfahrer. Er führt die Zunahme an Unfällen auf den milden Winter und die dadurch verlängerte Fahrsaison zurück. Überholfehler, zu geringer Abstand und überhöhte Geschwindigkeit seien die häufigsten Unfallursachen. Außerdem würden Motorradfahrer wegen ihrer schmalen Silhouette von anderen Verkehrsteilnehmern leicht übersehen. Auch Catharina Zenker hat schon mehrere brenzlige Situationen auf dem Motorrad erlebt.

Im Sommer, wenn es warm und lange genug hell ist, eignen sich für Tagesausflüge Strecken von bis zu 500 Kilometern. Beliebte Ziele des Stammtischs: Hallein im Salzburger Land, Sterzing in Südtirol, die schweizerische Seite des Bodensees und die Eifel. Günstig ist das Hobby aber nicht. Für 3000 Euro aufwärts bekomme man bereits eine gute gebrauchte, für 10 000 bis 20 000 eine neue Maschine. Je nach Ausstattung und Hersteller gibt es beim Preis keine Grenze nach oben. Räder der Marke Harley Davidson gehören zu den teuersten Modellen.

Frühling - Risikoreiche Zeit für Motorradfahrer

Defensiv fahren: 145 Motorradunfälle gab es vergangenes Jahr im Raum München.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Zenker ist keine, die gerne bei anderen hinten drauf sitzt, am liebsten fährt die Bikerfrau alleine. Dabei geht es ihr nicht um den ultimativen Adrenalinkick, sondern um das Lebensgefühl. "Ich möchte den Wind um die Nase spüren, in der Natur den Geruch von Wald und Wiesen aufnehmen und das Wetter genießen", sagt die Kirchheimerin. Das ist es, was viele Biker eint. "Wir sind auf der Suche nach Freiheit", sagt Ingo Kohlbecher, 68, der in Lederkluft ins Tanzstudio gekommen ist. Überall in der Welt gebe es in Bikerkreisen eine große Verbundenheit, ja eine ganz eigene Kultur. Man verstehe sich auch ohne Worte. Ein stummes Zeichen in der Gemeinschaft: Zeige- und Mittelfinger der linken Hand werden in V-Form zum berühmten Bikergruß ausgestreckt.

Um sich zum Saisonstart wieder an die Maschine zu gewöhnen, rät die Polizei allen Bikern zu einem Fahrsicherheitstraining oder zumindest Fahrübungen auf einem Parkplatz. Außerdem den Zustand der Maschine gründlich prüfen. Häufig werde auch die eigene Fitness unterschätzt, so Koch. Zusätzliche Gefahren lauern im Frühjahr auf der Straße: Reste von Streusplitt, nicht ausgebesserte Schlaglöcher aus der Winterzeit und geringe Haftung durch niedrige Außentemperaturen.

Die Stammtisch-Biker aus Kirchheim zieht es alle paar Jahre in die Ferne. Unter dem Motto "Bike & Music" waren sie zuletzt 2012 in den USA unterwegs. Sie tourten quer durch die Südstaaten - Dallas, New Orleans, am Mississippi entlang bis nach Memphis. Heuer im Herbst soll es wieder in die Vereinigten Staaten gehen. Zenker und Kohlbecher breiten eine Straßenkarte des Nordostens der USA vor sich aus. Abseits der klassischen Motorradstrecken planen sie eine Neuengland-Tour. Einmal die Farbenpracht des Indian Summer und die Niagarafälle live erleben, davon träumen sie. Und eines haben die Biker aus Kirchheim in der Ferne immer dabei: die blau-weiße Bayernfahne am Heck ihres Motorrads. Auch diesmal soll dieses Stück Heimat unbedingt wieder mit.

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