Süddeutsche Zeitung

Kirchheim:Grillfleisch rund um die Uhr

Die Kirchheimer Metzgerei Böltl hat einen vollautomatisierten Selbstbedienungsladen eröffnet. Die Kunden müssen nicht einmal ihre Ware selbst scannen.

Von Claudia Wessel, Kirchheim

Wer drin ist, kann erstmal staunen, was er in den Regalen alles findet: Bolognese-Soße, Winzerpfanne, Rinderbrühe - alles von Metzgerhand gemacht und in Glasbehälter abgefüllt. Man findet aber auch die Dinge, die Vergessliche sonst an der Tankstelle holen: Milch, Eier, Nudeln, Kaffee und sogar kleine Geschenkkörbe, mit Schleifen verpackte Tartufini Dolce, ein Glas Pesto in Geschenkverpackung. Auch eine ganze Reihe Säfte steht im Regal, und dann natürlich das Wichtigste im Sommer: Würste und Grillfleisch aller Art, gewürzt oder ungewürzt, etwa Ochsenhüfte oder Hähnchen.

Die Heimstettener Metzgerei Böltl hat neben der normalen Metzgerei in der Hauptstraße 8 einen rund um die Uhr geöffneten Selbstbedienungsladen eingerichtet. "Eigentlich war der Plan, einen Imbiss einzurichten, mit Sitzplätzen", erzählt Geschäftsführer Bernhard Hermann. Dann aber habe man an die aktuellen Fachkräftemangel gedacht und überlegt, was man beim geplanten Umbau sonst Neues anbieten könnte. Da viele Kunden sich längere Öffnungszeiten wünschten, sei man auf die Idee mit dem automatisierten Laden gekommen. Ein Bekannter empfahl dafür die Friedberger Firma Smart Store 24, die die entsprechenden Konzepte entwickelt.

Betreten kann man das kleine Selbstbedienungsparadies zu jeder Tages und Nachtzeit mit einem QR-Code. Man kann diesen ganz spontan beim ersten Besuch mit dem Smartphone scannen und sich registrieren, dabei eine Zahlungsmethode angeben. Geht man dann hinein, "weiß" der Laden bereits, wer ihn gerade besucht. Zugleich aktiviert sich ein großer Bildschirm an der Kasse. Dort gibt es erst einmal ein kleines Erklärvideo. Die Waren, die alle mit einer Art kleiner Antenne versehen sind - einem Aufkleber mit einem Code - legt der Kunde auf eine Ablage. Dort werden sie automatisch gescannt, das kann am Bildschirm verfolgt werden. "Wenn man dann auf Bestätigen drückt, ist schon bezahlt", sagt Hermann.

Bestellungen, die man in der Metzgerei gleich nebenan für andere Tage oder fürs Wochenende aufgibt, können auf Wunsch im SB-Laden aufbewahrt werden, dort gibt es dafür einen eigenen Kühlschrank. Man kann sich auch die App der Metzgerei Böltl herunterladen und über diese bestellen; sie funktioniert aber nur zu den Öffnungszeiten der Metzgerei - die Waren müssen ja auch besorgt und in den Laden gelegt werden. Bei der Bestellung können Kunden angeben, wo sie die Waren abholen wollen: im Laden oder im SB-Shop. Dafür, dass die Regale im SB-Laden immer gefüllt sind, sorgt Hermann auch abends und am Wochenende. Somit ist garantiert, dass man nie umsonst anreist.

"Der Kunde möchte sich nicht selber abkassieren"

Michael Kimmich, Geschäftsführer von Smart Store 24, erklärt das Kassensystem, das die Firma entwickelt hat: "Jeder Kunde hat einen Account, ähnlich wie bei Amazon", sagt er. Mit diesem ist ein Zahlungsmittel verbunden, sodass man im Laden mit Geld nichts mehr zu tun hat. Um jederzeit das Geschäft betreten zu können, bekommen Kunden einen Code, den sie auf dem Handy speichern oder auch ausdrucken können. Auch das Einscannen der Waren, wie es in manchen Lebensmittelläden an automatischen Kassen für Kunden möglich ist, fällt weg. "Wir haben keine Strichcodes", sagt Kimmich. "Der Kunde möchte sich nicht selber abkassieren", ist er überzeugt.

Die stattdessen verwendete Technologie mit den kleinen Antennen heißt RFID (Radio Frequency Identification) und ermöglicht das automatische und berührungslose Identifizieren und Lokalisieren mit Radiowellen. Die Idee, diese Technologie auch für Kassensysteme anzuwenden, hatte die Firma 2020. Mit Hilfe ihrer Software kann auch Bernhard Hermann leichter den Überblick behalten. "Er kann vom Schreibtisch aus sehen, wie viele Packungen Fleischsalat er noch im Laden hat, wieviel Gramm dieser wiegt, was er kostet und bis wann er haltbar ist", erklärt Kimmich. Rein theoretisch kann der Metzger simultan zuschauen, wie in seinem Laden eingekauft wird, jedenfalls anhand der angezeigten Waren. Einen Tag, bevor ein Produkt das Verfallsdatum erreicht, bekommt er eine Warnung.

"Autonomes Verkaufen wird sich immer mehr durchsetzen", ist sich Kimmich sicher. Seine Firma hat bereits Kunden aus sehr unterschiedlichen Branchen und in ganz Deutschland. Sehr begehrt sind auch die Kühlschränke der Firma. In einem solchen will etwa eine Gärtnerei frische Sträuße anbieten, ein Hotel bietet Speisen zu Zeiten, in denen das Restaurant geschlossen ist.

Wer nun fürchtet, dass die "Antenne" die eingekauften Waren bis nach Hause verfolgt, der irrt. Nur direkt an der Kasse können die Informationen gelesen werden. Außerdem sind die aufgeklebten Zettelchen leicht zu entfernen. Selbst für Menschen ohne Smartphone funktioniert der SB-Laden. Diese müssen sich allerdings vorher eine Kundenkarte ausstellen lassen. "Aber gerade unsere älteren Kunden machen die neue Technik gerne mit", sagt Hermann und lacht.

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