Süddeutsche Zeitung

Kirchheim:Kirsche und Kiefer leiden

Spezielle Sensoren geben Auskunft über den Zustand von Bäumen, die auf der Landesgartenschau präsentiert werden sollen. Den meisten geht es gut, doch einigen hat die Hitze im Sommer zu schaffen gemacht.

Von Anna-Maria Salmen, Kirchheim

Sprechende Bäume, die mit tiefer, ruhiger Stimme ihren Empfindungen Ausdruck verleihen können, gibt es nur in Fantasiewelten, etwa in J.R.R. Tolkiens Mittelerde. Umso schwieriger ist es, von außen nachzuvollziehen, in welchem Zustand Bäume sind - wie sich im Sommer in München gezeigt hat: Im August stürzte in der Feilitzschstraße eine 20 Meter hohe Robinie auf ein Wohnhaus, obwohl der Baum erst wenige Monate zuvor von einem Experten als vital eingeschätzt worden war. Das Problem der herkömmlichen Gutachten: Die Daten können nur den Zustand an einem bestimmten Tag zeigen, Aussagen über längerfristige Veränderungen sind schwer möglich. Genau dafür interessiert sich aber die Gemeinde Kirchheim, die in den kommenden Jahren für die Landesgartenschau 2024 über 700 neue Bäume im Ort pflanzt.

Die Kommune arbeitet daher seit knapp einem Jahr mit dem 2019 gegründeten Münchner Unternehmen Treesense zusammen. Dessen Gründer, der sizilianische Forstwissenschaftler Giancarlo Foderá, hat einen speziellen Sensor entwickelt, der den Gesundheitszustand der Bäume erkennen soll. Foderá wendete dafür eine in der Medizintechnik verbreitete Technologie an, um insbesondere Stress durch Trockenheit feststellen zu können: Der in den Baumkronen angebrachte Sensor misst kontinuierlich den Wasserhaushalt der Bäume. Die aus den Analysen gewonnenen Erkenntnisse sollen Städte und Gemeinden unterstützen, ihre Bäume gezielter zu schützen und zu pflegen.

Kirchheim ist die erste Kommune in Deutschland, die die Treesense-Sensoren in einem Pilotprojekt getestet hat. Insgesamt werden seit knapp einem Jahr neun Bäume im Ort untersucht, darunter fünf der 18 Großbäume, die im November 2020 vom Kirchheimer Oval auf das Gelände der Landesgartenschau verpflanzt worden waren. Je ein Baum in jeder der geplanten Sphären des Parks erhielt einen Sensor.

Die verpflanzten Bäume vom Kirchheimer Oval haben den Umzug heil überstanden

Die erste Auswertung fällt Projektleiter Foderá zufolge positiv aus: "Sieben der neun mit unserer Treesense-Sensorik ausgestatteten Bäume befinden sich in einem allgemein guten Zustand", sagt er. Reaktionen auf Trockenstress oder Frost seien zwar teilweise erkennbar, lägen aber noch in einem vertretbaren Rahmen. Auch die verpflanzten Bäume vom Kirchheimer Oval hätten demnach den Umzug gut überstanden.

Das Forscherteam um Foderá erläutert die gewonnenen Daten anhand einer Linde, die in die spätere Wiesensphäre verpflanzt worden war: Die Grafik ist beinahe vollständig grün eingefärbt. Nur wenige orangefarbene Bereiche sind zu erkennen, zwei dünne, rote Balken zeigen die Tage, die im Juni und Juli aufgrund der extremen Hitze als kritisch für den Baum klassifiziert wurden. Das bedeutet, dass die Linde allgemein gesund ist und sogar die Hitzeperioden des Sommers insgesamt gut überstanden hat, sagen die Experten. Die umliegende Großbaustelle hatte demnach wohl keinen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Baumes - im Gegenteil: Die Treesense-Forscher argumentieren, dass die Bewässerung der in unmittelbarer Nähe neu gepflanzten Bäume auch positive Auswirkungen auf die Linde gehabt habe.

Größere Probleme mit der starken Hitze des Sommers hatten den Forschern zufolge lediglich eine verpflanzte Kirsche in der Gartensphäre und eine Kiefer am Geranienweg. "Beide Baumarten zeigten Trockenstress - die Kiefer noch mehr als die Kirsche", so Foderá. "In künftigen Hitzeperioden sollten sie daher gegebenenfalls zusätzlich bewässert werden." Mithilfe der Messergebnisse soll nun das Pflegekonzept für die neuen Bäume auf dem Gelände der Landesgartenschau verfeinert werden.

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