Kirchheim/Ismaning:Das Dröhnen am Himmel

Fluglärmdemo

Der nahe Münchner Flughafen bringt manchen Kirchheimer und Ismaninger um seine Ruhe.

(Foto: dpa)

Mit Messungen dokumentiert der Flughafen München die Auswirkungen des Fluglärms auf die Bürger im nördlichen Landkreis. Doch es gibt viel Kritik an der Methode - und wenig Hoffnung auf Besserung.

Von Christina Hertel, Kirchheim/ Ismaning

Vogelgezwitscher ist zu hören, ein streitendes Pärchen, irgendwo in der Ferne die Autobahn. Und dann: ein dumpfes Dröhnen. Ein Kondensstreifen zieht sich durch den blauen Sommerhimmel - ein Flieger Richtung Süden. Bernhard Friemer zieht sein Handy aus der Tasche. Er hat eine App, die alle Starts und Landungen am Münchner Flughafen anzeigt. Das Ziel heißt Kos, der Flieger befindet sich 30 000 Fuß über der Wiese, auf der Bernhard Friemer steht. Also in zehn Kilometer Höhe. Ziemlich weit weg eigentlich, aber die Geräusche sind auf dem Boden immer noch zu hören. Und wegen dieser Geräusche ist Bernhard Friemer hier in Kirchheim hinter dem Seniorenzentrum. Friemer misst für den Münchner Flugflughafen den Lärm, seit elf Jahren mittlerweile.

Erst bei dauerhaft 65 Dezibel müssten Schallschutzmaßnahmen erstattet werden

Seine Messstation ist ein kleiner, orangefarbener Bus. Auf seinem Dach ist an einem langen Stab ein Aufnahmegerät befestigt. Sieht ein bisschen nach Science-Fiction aus. Die Audiodateien werden direkt an einen Computer in den Wagen und auch in Friemers Büro im Flughafen geschickt. 41 Dezibel zeigt der Bildschirm an. Der Flieger ist zu hören, aber als Lärm gilt das Geräusch nicht. Erst ab 55 Dezibel kennzeichnet der Computer die Aufnahme. Das ist etwa so laut wie Meeresrauschen, das man vom Hotelfenster aus hört. Gerade ist es 11 Uhr und der Computer hat schon neun solcher "Lärmereignisse", wie Friemer sagt, aufgezeichnet. Denn ob die Geräusche tatsächlich von einem Flieger stammen, oder zum Beispiel von einem Auto, das vorbeifährt, muss er noch nachprüfen.

Im Jahr führt der Flughafen München etwa zehn Messungen durch. Seit der Eröffnung im Jahr 1992 waren es mehr als 200, immer für jeweils um die sechs Wochen. Jede Gemeinde kann so eine Messung anfordern - zum Beispiel, wenn sich Bürger beschweren. Hinterher wertet Friemer die Daten aus, erstellt Berichte. Das Ergebnis ist - zumindest im Landkreis München - immer das gleiche: Es ist nicht laut genug, zumindest nicht im rechtlichen Sinn. Erst bei einem Dauerschallpegel von 65 Dezibel am Tag und 55 Dezibel in der Nacht müssten bauliche Schallschutzmaßnahmen erstattet werden. Doch dieser Pegel wird im Landkreis nicht erreicht.

Ismanings Bürgermeister hofft auf die Bundesregierung

Für den Ismaninger Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) ist klar, warum. Weil am Ende bei der Berechnung bloß die Durchschnitts-, aber nicht die Spitzenwerte berücksichtigt werden. Greulich führt in diesem Jahr die zehnte Messung in Ismaning durch. Verändert hat sich in all den Jahren nichts. "Aber messen", sagt der Bürgermeister, "ist eben das einzige, was wir machen können." Das immer gleiche Experiment führe aber zu keinem anderen Ergebnis. Die Frage ist also, was das Ganze eigentlich soll.

Kirchheim/Ismaning: Das Mess-Mobil in Kirchheim.

Das Mess-Mobil in Kirchheim.

(Foto: Claus Schunk)

Greulich hofft, dass sich irgendwann die Bundesregierung des Themas Lärm annimmt, Gesetze ändert. Zum Beispiel was die Berechnungsmethodik betrifft. Oder was den Lärmschutz im Generellen angeht. Den Bürgern in seiner Gemeinde jedenfalls könne er als kleiner Bürgermeister nicht weiterhelfen. Er könne den Betroffenen auch keine Lärmschutzfenster spendieren, weil er das dann für alle, die an einer lauten Straße wohnen, tun müsste. Gleiches Recht für alle eben.

Andreas Zenner, Sprecher der Grünen in Kirchheim, hat die Sache selbst in die Hand genommen und sich für sein Reihenhaus Lärmschutzfenster gekauft. Eine teure Anschaffung, die sich wohl nicht jeder leisten kann. Etwa 15 000 Euro musste Zenner investieren. Bereut hat er es trotzdem nicht - anders konnte er schlicht nicht mehr einschlafen. Zenner ist überzeugt, dass Lärm zu Gesundheitsschäden führt und setzt sich in Kirchheim für mehr Lärmschutz ein. Auch die Messung sei auf Initiative der Grünen veranlasst worden.

Kirchheim/Ismaning: Bernhard Friemer bekommt die Ergebnisse der Fluglärm-Messungen direkt auf den Computer im Mess-Mobil geschickt.

Bernhard Friemer bekommt die Ergebnisse der Fluglärm-Messungen direkt auf den Computer im Mess-Mobil geschickt.

(Foto: Claus Schunk)

Zenner wohnt ganz in der Nähe der Stelle, wo jetzt die Messung durchgeführt wird. 500 Meter sind es etwa zum Messmobil. Doch die Chancen, dass hier Grenzwerte überschritten werden, sagt Bernhard Friemer, seien gering. Er schätzt, dass in Kirchheim vielleicht ein Durchschnittspegel von 35 Dezibel herauskommt - auch wenn er sagt, dass er natürlich erst das Ende der Messung abwarten muss. Es müsste jedenfalls fast doppelt so laut sein, dass etwas passiert - und zwar durchgehend. Ist es fair, dass nur der Durchschnitt relevant ist? Friemer zuckt mit den Schultern. Irgendwelche Regeln müsse es schließlich geben. Bei Straßen oder Schienenlärm werde nur der Dauerschallpegel berücksichtigt. Und bei Fluglärm sind sogar - zumindest in der Nacht - die Einzelschallpegel, also die einzelnen Lärmereignisse, relevant.

In der Nacht können auch einzelne Lärmereignisse relevant sein

Und da ist es wieder, dieses Dröhnen, ganz leicht diesmal nur. Ein Flugzeug ist keines in Sicht. Und wieder packt Friemer sein Handy aus. Es ist ein Flug von München nach Portugal. Auf dem Handybildschirm zu sehen: Das Flugzeug fliegt direkt über Ismaning, deshalb sieht man es von hier aus nicht. Aber vielleicht sieht es Damian Dillon - hören wird er es bestimmt. Dillon wohnt im Ortsteil Moos und ist in seiner Gemeinde sozusagen der Fluglärmaktivist schlechthin. Vergangenes Jahr sammelte er Unterschriften. Sein Ziel: eine erneute Messung, am Besten bei ihm im Garten oder in der Nachbarschaft.

Zumindest teilweise hat er das erreicht. Im August kommt Bernhard Friemer mit seinem Messwagen nach Ismaning, wohl nicht zu Dillon in den Garten zwar, aber immerhin. 2013 wurde dort schon einmal gemessen. Der Pegel lag unter den Grenzwerten. Allerdings gab es auch Lärmspitzen: So wurden an 34 Tagen 88 Mal ein Pegel von bis zu 79 Dezibel gemessen. Das entspricht etwa dem Lärm in der Disco. Dillon hat das Gefühl, dass die Gemeinde das Thema am liebsten im Sande verlaufen lassen würde. "Aber", sagt er, "das wird nicht passieren." Er werde weiterkämpfen. Und immer weiter messen lassen.

Die Ergebnisse der Fluglärmmessungen sind hier einzusehen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: