Süddeutsche Zeitung

Kirchheim:Bildungspolitik aus Sicht der Schüler

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Die SPD lädt in Kirchheim Experten zur Diskussion über das bayerische Bildungssystem. Doch zwei 15-Jährige stehlen den Erwachsenen die Show.

Von Christina Jackson, Kirchheim

Die Unterhachinger Gymnasiasten Alex Spöri und Luca Zug sind jung, talentiert und redegewandt. Auf dem Podium einer SPD-Veranstaltung zum bayerischen Bildungssystem in Kirchheim stahlen sie den anwesenden Experten aus Politik und Schule die Show. Dabei ist für die 15 Jahre alten Schüler der tägliche Unterricht mehr Last als Lust: "Spaß am Lernen ist wichtig. Aber wir haben aktuell keinen Spaß am Lernen."

Ihre Energie verpufft im Klassenraum beim klassischen Frontalunterricht nach Zeitplan und sucht sich in der Freizeit andere Betätigungsfelder. Mit großem Erfolg haben sich die Teenager in Cineasten-Kreisen einen Namen gemacht. Sie drehten einen Film zur NSA-Affäre und führten Interviews mit Mitarbeitern und IT-Spezialisten des Bundesnachrichtendienstes. Im Oktober 2015 zeigte der Mathäser-Filmpalast ihren Streifen zum Münchner Olympia-Attentat 1972.

Ihr aktueller Film, der am 24. Juli im Mathäser läuft, erzählt von einem Dauerthema zum ersten Mal aus Perspektive der Betroffenen. Spöri: "Das Bildungssystem beschäftigt uns täglich. Allerdings gibt es aus Schülerperspektive kein dokumentarisches Material. Das wollten wir ändern." Auf dieser Spurensuche begegneten ihnen unaufrichtige Politiker, ein sprachloser Pressesprecher des bayerischen Kultusministeriums und überforderte Lehrer, die von multimedialen Angeboten keine Ahnung haben.

Was "Vertretung ohne Lehrer" bedeutet, kann das Kultusministerium nicht erklären

Geschönte Zahlen entdeckten die Dokumentarfilmer in den Statistiken des Kultusministeriums, die von "Vertretungen ohne Lehrer" erzählen. Was darunter zu verstehen sei, wollten Spöri und Zug von der zuständigen Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit wissen und ernteten lediglich "minutenlanges Schweigen". Mit Ernüchterung erinnern sich die Schüler auch an eine Begegnung mit der bildungspolitischen Sprecherin der FDP: "Uns gegenüber hat sie das G 9 gelobt, zwei Wochen später stellte sie auf dem Parteitag einen Antrag auf Beibehaltung des G 8."

Auf Einladung von Vizelandrätin Annette Ganssmüller-Maluche war auch Heinz Durner zur Podiumsdiskussion nach Kirchheim gekommen. Als ehemaliger Schulleiter des Unterhachinger Gymnasiums und Landkreis-Beauftragter für weiterführende Schulen verfolgte er die Ausführungen der Jungfilmer mit besonderem Interesse. Durch sie sah er sich in seiner Ansicht bestärkt, dass "der Unterricht vielerorts auf dem Stand des 18. Jahrhunderts stehen geblieben" sei. Dabei habe sich die Familienrealität grundlegend geändert. Heute arbeiten beide Elternteile, Bauernhöfe und die Feldarbeit, an der sich auch die Kinder beteiligen mussten, haben an Bedeutung verloren. Ein Grund, warum sich Durner schon lange für die Ganztagsschule einsetzt.

Ein weiteres Manko sprach Andrea Lehner an. Als ehemalige Schulamtsdirektorin im Landkreis München wies sie auf Bedeutung regelmäßiger Schulungen für Lehrkräfte hin. "In jedem sozialen Beruf gibt es die Pflichtsupervision. Nur Lehrer bekommen diese nicht." Dabei sei es gerade in diesem Tätigkeitsfeld wichtig, eine regelmäßige externe Begleitung und Fallberatung zu erhalten. Das gelte auch für Fortbildungen zu aktuellen Themen, wie interkulturelle oder Medienkompetenz. "Hier müsste es einwöchige Schulungen geben." Neben den inhaltlichen Voraussetzungen sprach Lehner auch die baulichen Bedingungen für ein gelungenes Miteinander im Unterricht an. "Es braucht Raum für unterschiedliche Lernformen sowie Freizeit- und Bewegungsräume."

Damit kamen auch die Sorgen der 14-jährigen Schülerin Leonie Liebsch zur Sprache. Sie besucht die Realschule Taufkirchen, die als Neubau eigentlich alles mitbringen sollte, was Schüler und Lehrer für ihren Berufsalltag brauchen. Doch weit gefehlt: "Im Sommer funktionieren Klimaanlage und Sonnenschutz nur partiell, die moderne Technik streikt und die großzügigen Glasfronten zersplittern regelmäßig durch Bälle, die vom Hof auf das Gebäude prallen."

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Quelle:
SZ vom 13.07.2016
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