SZ-Serie: Kaum zu glauben - Was junge Leute in der Kirche hält, Folge 1:Jesu junge Jünger

Den Kirchen laufen die Mitglieder davon? Von wegen! Ihre Jugendorganisationen in der Region legen zu

Von Julia Fietz

Eine Schlange von jungen Erwachsenen wartet in der Preysingstraße in München geduldig auf den Einlass. Erst um halb sieben öffnen die Türen, doch viele sind schon eine halbe Stunde früher gekommen. Sie stehen nicht etwa für das neueste iPhone an, sondern - kaum zu glauben - für einen Gottesdienst. Ein Anblick mit Seltenheitswert.

Bei den "Holywood"-Gottesdiensten der katholischen Jugendkirche werden Filme in den Ablauf eingebunden, mit Frodo Beutlin, dem Hobbit aus den "Herr der Ringe"-Filmen, das Evangelium erklärt und Fürbitten auf Papierflieger geschrieben. Was für den durchschnittlichen Gottesdienstbesucher merkwürdig klingen mag, kommt bei der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren an.

Die Jugendkirche steht in Trägerschaft des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in der Region München, wozu auch der Landkreis München zählt. Tobias Hartmann, Präses des BDKJ und Stadtjugendpfarrer, musste schon mal Besucher wegschicken, weil kein Platz mehr übrig war. "Kirche muss mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun haben", sagt der 35-Jährige. Gerade junge Leute fühlten sich von den üblichen Gottesdienstformen oft nicht mehr angesprochen.

Jugendliche brächten andere Bedürfnisse mit als die restlichen Altersgruppen, sagt auch Mirjam Pfeiffer, evangelische Pfarrerin in Unterschleißheim. "Für Jugendliche ist ein Gottesdienst im Grunde der Dienst an anderen." Solange sie selbst etwas gestalten könnten, seien die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Begeisterung dabei.

In den vergangenen Jahren veröffentlichte Studien zeichnen ein düsteres Bild für die beiden großen christlichen Kirchen, ihnen laufen die Mitglieder davon. Bis 2060 werden die katholische und evangelisch-lutherische Kirche die Hälfte ihrer Mitglieder eingebüßt haben. Kirchensteuer, Missbrauchsfälle, die Sexualmoral, die Rolle der Frau, die Einstellung zur Heirat Homosexueller - mögliche Austrittsgründe gibt es viele.

In den Statistiken tauchen sie nicht auf, da sie individuell verschieden und schwer erfassbar sind. Da auch die Altersgruppen nicht unbedingt aufgenommen werden, lässt sich nur mutmaßen, was etwa die 20- bis 30-Jährigen bewegt, die mit ihren Kirchen nichts mehr zu tun haben wollen. Ihnen gegenüber stehen Altersgenossen, die sich in Jugendverbänden ehrenamtlich engagieren, ihren Glauben im kirchlichen Kontext ausleben und Teil der Institution bleiben wollen.

SZ-Serie: Kaum zu glauben - Was junge Leute in der Kirche hält, Folge 1: Klares Statement: Ein junger Gläubiger beim jüngsten Kirchentag in München mit seiner selbst geschriebenen Botschaft.

Klares Statement: Ein junger Gläubiger beim jüngsten Kirchentag in München mit seiner selbst geschriebenen Botschaft.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die 2018 veröffentlichte Studie "Jugend - Glaube - Religion" zeigt, dass 57 Prozent der befragten Jugendlichen die Aussagen der Kirchen kritisch bewerten. Fast ebenso viele finden es aber gut, dass es die Kirchen gibt, meinen jedoch, dass diese sich ändern müssten, wenn sie eine Zukunft haben wollten. Interessant ist, dass 54 Prozent angeben, ihr persönlicher Glaube habe nichts mit den Kirchen zu tun. Eine grundsätzlich negative Einstellung zu den Kirchen ist demnach nicht zu erkennen, eher eine Entfremdung.

"Ich glaube, dass der wichtigste Auslöser die Kirchensteuer ist", sagt Martin Ringhof, der Ende November seinen Einstand als Leiter des Pfarrverbands Vier Brunnen-Ottobrunn feiert. Der Austritt ist ein rein bürokratischer Vorgang auf dem Standesamt: Ausweis vorzeigen, Gebühr zahlen, die Lohnsteuerkarte ändern - fertig. Die Kirchen verschicken in der Regel noch Briefe mit Gesprächseinladungen, bekommen aber in den wenigsten Fällen eine Antwort. Wer sich innerlich längst von der Kirche entfremdet habe, stelle beim Blick auf die Lohnabrechnung meist endgültig den Sinn der ungenutzten Mitgliedschaft in Frage, sagt Ringhof.

Ihre Mitgliedschaft beenden auch in der katholischen Erzdiözese München und Freising pro Jahr zunehmend mehr Menschen. Im vergangenen Jahr hatte sie 22 580 Austritte zu verzeichnen. Das sind gut 25,5 Prozent mehr als im Vergleich zu 2017, als 17 998 Katholiken in der Erzdiözese der Kirche den Rücken kehrten. Im Landkreis gab es 20,6 Prozent mehr Austritte. Aus der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern traten im vergangenen Jahr 27 673 Menschen aus, 4026 mehr als 2017. Die Zahlen von 2018 für das Dekanat München liegen noch nicht vor, 2017 waren es hier 5163 Austritte.

Durch die Austritte entfallen den beiden Kirchen Steuereinnahmen, hinzu kommt weniger ehrenamtlich engagiertes Personal in den Gemeinden. Über zu wenig Engagement können hingegen christliche Jugendverbände wie der BDKJ in der Region München und Freising und die Evangelische Jugend München nicht klagen. In der Erzdiözese steigen beim BDKJ seit Jahren die Mitgliederzahlen leicht an und die Evangelische Jugend bekommt für ihre Jugendleitergrundkurse meistens so viele Anfragen, dass mit Wartelisten gearbeitet wird. Das Engagement in den Jugendverbänden nimmt also in der Region München stetig zu, während die Austrittszahlen trotzdem steigen.

Der zeitliche Rahmen und die Formen von Engagement hätten sich geändert, erklärt Mirjam Pfeiffer. Schule und Hobbys seien umfangreicher geworden und es bleibe weniger Zeit für andere Interessen. Wöchentliche Treffen hätten ausgedient, lieber träfen sich die Jugendlichen zu bestimmten Anlässen.

Für die 37-Jährige ist Jugendarbeit vor allem Beziehungsarbeit. "Viele schätzen besonders, dass sie sich in diesem Kontext nicht ständig beweisen müssen wie beispielsweise in Sportvereinen", sagt Pfeiffer. Der gesellschaftliche Trend über alle Altersklassen hinweg gehe aber immer weniger zu dauerhafter Bindung und mehr zu spontanem, kurzfristigen Engagement. Michael Stritar, evangelischer Dekanatsjugendpfarrer des Dekanats München, zu dem auch der Landkreis zählt, muss nicht lange überlegen, warum sich das Ehrenamt in den Kirchen trotzdem lohnt. "Weil du dann Kirche bist und mitgestalten kannst", sagt der 43-Jährige. In der Jugendkirche sei jeder willkommen, mit all seinen Eigenarten und Schrullen, ob getauft oder nicht. Dabei spiele die Kirche als Institution nur eine untergeordnete Rolle, die Gemeinschaft stehe im Vordergrund.

Die Institution per se mit ihrem Verwaltungsapparat und Vorschriften werde in der Evangelischen Jugend oft kritisch betrachtet. Die eigenen Anliegen trieben sie energisch voran, hat Stritar festgestellt. Seit 2015 sei die Evangelische Jugend jedes Jahr mit einem eigenen Wagen beim Christopher Street Day in München dabei, zeige Flagge und setze sich für die Trauung von homosexuellen Paaren in ihrer Kirche ein. "Obwohl die Ehe eigentlich kein Jugendthema ist, machen wir sie zum Thema", sagt der Dekanatsjugendpfarrer.

"Jugendliche lassen sich nicht abspeisen mit einfachen Antworten", findet auch Tobias Hartmann. Das größte Problem der Kirche sei, dass sie die jungen Leute in vieler Hinsicht nicht ernst genug nehme. Beteiligen dürften sich die Jüngeren zumeist gerne, aber bitte leise und am Rand. "Die Jugend wird jetzt wieder lauter, und das finde ich gut", sagt der katholische Priester.

Julia Fietz, 22, hat sich angesichts der steigenden Zahl an Kirchenaustritten gefragt, was die beiden größten christlichen Glaubensgemeinschaften eigentlich unternehmen, um junge Menschen für sich zu begeistern. Und ob und warum sich Heranwachsende noch in der Kirche engagieren. Zusammen mit Pauline Deichelmann, 21, und Anna-Maria Salmen, 22, hat sie recherchiert, was ihre Generation in der Kirche hält. Über die Ergebnisse berichtet die SZ in den kommenden Wochen in ihrer neuen Serie "Kaum zu glauben". Die nächste Folge erscheint am Dienstag, 19. November. In ihr geht es um die Korbinianswallfahrt.

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