Kirche:Enklave mit königlichem Segen

Die evangelische Kirche in der Gemeinde ist die älteste im Münchner Umkreis. Die ersten Protestanten kamen vor mehr als 180 Jahren auf Initiative von Max Joseph I. und seiner Frau Caroline. Die heutigen Gemeindemitglieder prägen das Leben am Ort nicht nur im Lutherjahr

Von Irmengard Gnau, Feldkirchen

Der Weg zu Gott ist steil. Zumindest in der evangelischen Kirche in Feldkirchen. Wer den Gebetsraum in dem schmucken, weißen Gebäude schräg gegenüber dem Rathaus sucht, muss zunächst die zwei Stufenabsätze in den ersten Stock nach oben steigen; es sei denn, er nimmt den Lift, der 1999 nachträglich eingebaut wurde. Das ist nicht die einzige Besonderheit, die das Gotteshaus auszeichnet. Es ist die älteste intakte evangelische Kirche in weitem Umkreis, auch in München gibt es keine ältere. Bis ins Jahr 1803 reichen die Wurzeln evangelischen Glaubens in der Gemeinde zurück. Die lange Tradition, die damit verbunden ist, ist in Feldkirchen bis heute spürbar - in der christlichen Gemeinde ebenso wie im Ortsleben.

2416 bekennende Protestanten zählt Pfarrer Torsten Bader im Jubiläumsjahr der Reformation im Gebiet seiner Gemeinde, das über Feldkirchen und Aschheim bis in den Landkreis Ebersberg reicht und dort die Ortschaften der ehemaligen Kommune Parsdorf umschließt. Feldkirchen als Zentrum bildet 500 Jahre nach Martin Luthers Thesen einen Schwerpunkt evangelischen Lebens im Landkreis München und ist gleichermaßen eine Enklave. Das bedeutet freilich nicht, dass sich die Kirchenmitglieder von der übrigen Gemeinde oder den katholischen Nachbarn absonderten. Im Gegenteil. "Ich habe das Gefühl, dass wir im Ort gleichberechtigt sind, sei es bei Feiern von Vereinen oder im Empfinden der Feldkirchner", sagt Bader.

Auch in der Vergangenheit habe es weder Unterwürfigkeit noch Feindschaft gegenüber den Katholiken gegeben, erinnern sich die Mitglieder des Kirchenvorstands - höchstens ein wenig natürliche Rivalität, schließlich steht man gewissermaßen auch im Wettbewerb um die Gunst der Gläubigen. Evangelisch und bayerisch, so die Überzeugung, passen jedenfalls wunderbar zusammen. Dieses gesunde Selbstbewusstsein der evangelischen Christen in Feldkirchen lässt sich vielleicht auch darin ablesen, dass die Kirche keinen weiteren Namenszusatz trägt, sondern schlicht die evangelische Kirche heißt.

Dass gerade im Osten des Landkreises bis heute viele Protestanten leben, hat historische Gründe. Und prominente Wegbereiter: Es war eine Königin, die die evangelischen Gläubigen einst in die Gegend holte. Caroline von Baden, die 1797 den damaligen Herzog Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken heiratete, wurde nach dem Ende der Napoleonischen Kriege 1806 als evangelische Frau erste Königin des katholischen Bayern. Um Caroline und ihren Hofprediger, den Theologen Ludwig Friedrich Schmidt, bildete sich eine evangelische Gemeinde. Die Gemahlin des Herrschers veranlasste zudem, dass sich weitere evangelische Familien aus Baden und der Pfalz in der Feldkirchner Gegend niederließen.

Man suchte nach Landwirten, um die kargen Böden der Münchner Schotterebene zu bestellen. Die "Überrheiner", wie die ersten Siedler genannt wurden, brachten dafür die nötige Erfahrung aus ihrer Heimat mit - und ihren evangelischen Glauben. Mit zunehmender Zahl der Familien wuchs rasch der Wunsch nach protestantischen Einrichtungen heran. 1811 wurde die protestantische Schule gegründet, die sowohl der Erziehung der Kinder diente, als auch als Anlaufstelle für die Erwachsenen zum gemeinsamen Lesegottesdienst am Sonntag. Die Prediger mussten allerdings in der Anfangszeit noch von München mit dem Pferdewagen abgeholt werden. Kelche für die Abendmahlsfeier borgte die Gemeinde von der katholischen Kirche.

1833 war die evangelische Gemeinde Feldkirchen auf 260 Mitglieder angewachsen, sodass ein eigenes Pfarrvikariat gegründet wurde. Der bestellte Vikar war zugleich Lehrer, außerdem Organist. Das Schulhaus war allerdings in keinem guten Zustand, sodass man sich um ein neues bemühte: 1837 konnte der Grundstein für die heute noch bestehende Kirche gelegt werden. Im Erdgeschoss befand sich der Schulraum für die Kinder sowie die Wohnung des Vikars, im Obergeschoss traf sich die Gemeinde zum gemeinsamen Gebet.

Heute wohnt Pfarrer Bader nicht mehr direkt in der Kirche. 1911 baute man nebenan ein Pfarrhaus, wo Platz für Besprechungszimmer, Sekretariat und die Familie des Pfarrers ist. Auch seine Rolle als Pfarrer hat sich verändert. "Es gab früher eine sehr enge Verzahnung von spirituellem und realem Leben. Der Vikar hat vielleicht Montag bis Freitag unterrichtet, worüber er am Sonntag dann gepredigt hat", sagt Bader. "Heute besteht unser Leben aus vielen einzelnen Puzzleteilen. Spiritualität und Glaube ist nicht mehr zwingend relevant für unsere Ausbildung - man kann ein guter Ingenieur sein ohne ein guter Christ zu sein. Das war früher, glaube ich, undenkbar." Gleichwohl ist die Kirche auch heute noch in den Schulen mit Religionsunterricht vertreten. "Ich finde es gut, dass die Kirchen da ihren Fuß noch drin haben", sagt Religionspädagogin Franziska Raetsch, die wie Bader in den umliegenden Grundschulen unterrichtet. "Ich möchte auch Brücken schlagen zur politischen Gemeinde."

In für die Kirchen spannenden und wechselvollen Zeiten, in denen die Mitglieder zahlenmäßig weniger werden, ist der evangelische Glaube in Feldkirchen in einer lebendigen Gemeinde noch stets präsent. An das historische Erbe, die Aufbauleistung der Vorfahren, die über den Rhein kamen, erinnern sich viele bis heute mit Stolz.

Und auch der Blick durch den Ort zeigt die Spuren der ersten Protestanten. Nicht nur das seit 1983 denkmalgeschützte Ensemble von Kirche und Pfarrhaus prägt das Ortsbild. Auch das ehemalige Kinderhaus an der Hohenlindner Straße sticht hervor und ist lebendiges Zeichen für das diakonische Wirken der evangelischen Gemeinde. In den 1850er Jahren eröffnete es der damalige Pfarrvikar Otto Schamberger, um "verwahrloste" Kinder aus der Münchner Pfarrgemeinde und Konfirmanden aus weiter entfernten Orten unterzubringen. Nach einer langen Geschichte als "Erziehungs- und Rettungsanstalt" ist heute die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen in dem Gebäude zuhause.

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