Süddeutsche Zeitung

Kiosk an der Braunauer Eisenbahnbrücke:Guter Geist vom Isarufer

Seit 30 Jahren führt Christa Fingerle den Kiosk an der Braunauer Eisenbahnbrücke. Der Betrieb ist von den Behörden nur geduldet. Aber ihr größtes Ärgernis ist ein anderes.

Von Jürgen Wolfram

Schnell noch die Stehtische in den Kies geschoben und die Eis-Fahne rausgehängt, dann kann er beginnen, der nächste Hochsommertag. Die ersten Jogger, Radler und Hundeherrchen ziehen ihre Bahnen, als Christa Fingerle den Kiosk an der Braunauer Eisenbahnbrücke herrichtet. Wie so oft in diesem Jahr wird die Untergiesinger Versorgungsstation von 10 bis 22 Uhr in Betrieb sein. Die konditionsstarke Hüterin des Häuschens am Ufer badet also nicht im Fluss, eher schon im Umsatz.

Ob Traum oder Albtraum, das ist in Anbetracht saunaartiger Temperaturen hinter dem Verkaufstresen die Frage. Allerdings nur für Außenstehende. Christa Fingerle kennt's nicht anders. Als sie zum ersten Mal die Isar sah, war sie drei Jahre alt. Denn den häufig dicht umlagerten Kiosk führten von 1951 an schon ihre Eltern. Er ist längst eine Münchner Institution. Fingerle nennt ihn "meine zweite Heimat".

Warum die Institution von den Behörden nur geduldet wird

Zur Freude der Kioskbetreiberin haben sich die Geschäfte mit den Jahren ähnlich erfreulich entwickelt wie die Flusslandschaft inmitten der Stadt. Die Renaturierung mit dem Abflachen der Ufer sei ein Segen gewesen, sagt die Kauffrau, sogar die Züge rollten heute lärmgedämmt über die Gleise der Braunauer Brücke. Allein der Status ihrer Raststation, die auf Bahngrund im Landschaftsschutzgebiet liegt, ist noch immer nicht endgültig geklärt.

Die Oase wird behördlich "geduldet", sie ist als "Trink- und Imbisshalle" konzessioniert, darf aber keine alkoholischen Getränke ausschenken, wohl aber solche verkaufen. Hört sich ziemlich verwirrend an, hat auch schon zu Konflikten geführt, ist Fingerle inzwischen aber egal: "Hauptsache, man lässt mich in Ruhe."

Für die illustre Laufkundschaft an der Isar gilt das freilich nicht. Publikum ist stets willkommen, jedenfalls wenn es sich zu benehmen weiß. Wer die Landschaft vermüllt, herumpöbelt oder betrunken ist, lernt Fingerle von ihrer resoluten Seite kennen. "Schwieriges Klientel schicke ich weiter, da bin ich konsequent", sagt sie - und man glaubt es ihr sofort. Ein flüchtiger Blick genügt, um festzustellen, dass sie es penibel auch mit der Sauberkeit hält. Allein zehn Müllkörbe, die täglich geleert werden, stehen rings um den Kiosk.

Bei ihrem ausgeprägten Ordnungssinn kann Fingerle mit dem Vorschlag von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wenig anfangen, zur Belehrung der "Isar-Saubären" einfach mal ein paar Tage lang den Abfall liegen zu lassen. "Die Folge wäre, dass wir Ratten und Ungeziefer anziehen", zweifelt die ausgewiesene Kennerin der Verhältnisse am Fluss.

Wenig Chancen haben bei Fingerle Einbrecher und Diebe. Ihr Kiosk ist massiv gebaut und gesichert wie ein Bunker. Einmal hat jemand versucht, über das Dach einzusteigen. Er scheiterte, nachdem er fein säuberlich Ziegel für Ziegel abgetragen hatte, an der Betondecke. Bleiben als Ärgernis die Graffiti, die dem Eis- und Getränkestützpunkt das Aussehen einer kunterbunten Kiste verleihen. "Das sind nichts als Schmierereien", klagt Fingerle, "so künstlerisch wie am Viehhof betätigen sich die Sprayer bei mir leider nicht".

Das ewige Überstreichen der Hinterlassenschaften von Narrenhänden ist sie herzlich leid. Wirklich abgeschreckt fühlen sich die Kunden von der Kleckserei offenbar nicht. Dafür ist ihnen ihr Verpflegungsstopp zwischen den großen Brücken der Stadt viel zu wichtig.

Wo sonst kann man am Sonntag am Wasser Brotzeit mit Käsesemmel oder Schnitzel machen? Wo sonst darf sich der Kunde sicher sein, dass die Vorräte niemals ausgehen, weil Lieferanten "Gewehr bei Fuß" stehen, wenn Fingerle Bedarf anmeldet? Beim Wochenendeinkauf die Milch vergessen - kein Problem.

Dass sich Verlässlichkeit auszahlt, liegt auf der Hand. Nicht, dass Fingerle Zahlen ausbreiten möchte; aber: "Wer von uns Kioskbetreibern in diesem Sommer kein Geschäft macht, der macht vermutlich keines mehr." Die meisten Menschen stellen sich den Betrieb einer Verkaufsstelle in der Natur wahrscheinlich als ermattend schlichte Beschäftigung vor.

Zumindest im Falle Fingerles liegen sie damit deutlich daneben. Der gute Geist vom Isarufer reicht ja nicht nur Würstl über den Tresen; vielmehr ist Christa Fingerle eine Art Rundumversorgerin, die im Notfall Erste Hilfe leistet, Polizei und Feuerwehr bei Unfällen verständigt, traurigen Gestalten Mut zuspricht.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2015
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