Kings of Leon: Tourneestart in München:Die Gotteskrieger

In Stahlwollgewittern: Irgendwer behandelt ein Reibeisen dann auch mal mit Vaseline. Und irgendwer hat für die richtige Beleuchtung gesorgt. Und sowieso für die angemessene Lautstärke. Die "Kings of Leon" starten ihre Deutschlandtour in München.

Bernd Graff

Man muss sich das so vorstellen: Da gibt es eine spirituell-religiös vorbelastete Familienbande. Alles Jungs. Sie heißen Followill und tragen biblische, unbedingt alttestamentarisch klingende Mittelnamen, haben einen leider Gottes wanderpredigenden Vater zum Vater. Die drei Brüder Followill sind Caleb, Nathan und Jared. Hinzu kommt Vetter Matthew. Ein Followill auch er.

Kings of Leon in Concert

Unverwechselbar heiser: Caleb Followill, Sänger der Kings of Leon

(Foto: dpa)

Die Geschwister werden von Muttern relativ wohlerzogen, während Gevattern für die United Pentecostal Church in höherer Mission quer durch die USA, vor allem im Süden des schönen nordamerikanischen Landes unterwegs ist. Jedenfalls, es wird mächtig gesungen und gepriesen. Bis der Vater die Mutter verlässt und die Jungs in einem Alter sind, das alles auch nicht mehr so toll zu finden und ihren Vetter zu fragen, ob man nicht zusammen, also so vielleicht, eine Band gründen könnte, die - Andenken an den Vater - Kings of Leon genannt werden könnte. Leon war der Mittelname des Vaters.

Der Vetter spielt, das muss man dazu sagen, die schönste Southern-Rock-Leadgitarre nördlich des Rio Pecos. Und, gesagt getan, die Herren gründeten in Nashville, Tennessee ihre so benannte Band und schrummelten im Stile der dort damals immer noch ganz Großen: Thin Lizzy, die Allman Brothers, die Stones natürlich und - man höre - The Clash. Das war um 1997 herum. Und das konnte nur gutgehen.

Denn Caleb hat eine wirklich unverwechselbare Stimme, der man alle Heiserkeit der Welt unter Vermeidung eines Lautstärkeverlustes attestieren muss. Nathan ist ein unfassbarer Trommlergott, den Vater Leon auch mal hätte anrufen können, Jared ist ein ordentlicher Bassist, der draufhauen kann, wenn es darauf ankommt. Und Vetter Matthew ist wie gesagt ein Gitarristengeschenk für jede Band, die es sich südlich rockend vorgenommen hat. Seitdem spielte der Südstaatenfamilienklüngel so vor sich hin, erst vor herbeigezwungenen Gästen, nahm aber mit dem Jahr 2003 so richtig Fahrt auf.

Fünf Alben sind in den sieben Jahren seither entstanden. Und Kings of Leon sind mittlerweile eine richtig große Nummer im Rockbiz geworden, nicht nur für Freunde der südrockenden Folklore. Ihr letztes Album erschien im letzten Monat: Come Around Sundown. Und wer KOL noch nicht kennt, tut sich einen Gefallen, dieses Album kennen und lieben zu lernen.

Man hat KOL inzwischen fast schon vorgeworfen, einen mengenkompatiblen Rock zu spielen und in große Stadien vordringen zu wollen. Das böse Wort von der U2-Ähnlichkeit grassiert inzwischen in der internationalen Presse.

Humbug. Mit dem Gekrähe von Bono hat Calebs Reibeisenorgan nichts zu tun. Auch wenn er laut wird, und er wird es, kräht er nie. Sie spielen harten schnellen Southern Rock. Die Allman Brothers in wenig versöhnlich, wenn man so will. Mit Pathos, das ja, aber ohne Sentiment.

19 Songs haben sie zum Auftakt ihrer Deutschlandtournee mit nach München gebracht. Die Olympiahalle, kein Ort zum Träumen, Schmusen oder Verweilen, ist gutgefüllt: mit Menschen mittzwanzigen Alters im Wesentlichen, aber auch Mittdreißiger, wenn sie denn Karohemden und die guten Innenraumwollmützen im Ballonschlumpfstil tragen können.

Es sind, das ist erkennbar, mehr Damen als Herren, die den Weg durch die schneeverregnete Münchner Nacht gefunden haben. Kein Wunder, die vier Followills sind durchaus vorzeigbar, auch Schwiegermüttern. Sänger Caleb etwa, auf den das Spektakel etwas zu sehr zuungunsten von Vetter Matthew ausgerichtet ist, der, sagten wir das?, vorzüglich an der Leadgitarre ist, dieser Caleb trägt zum Christenkreuz, das um den Hals hängt, ein schönes weißes V-Neck-T-Shirt und, weil doch Winter ist, einen eng geschnittenen Strick-Cardigan, ein kamintaugliches Ensemble, wie man es aus der H&M-Werbung kennt.

Das geht auf keine Südstaatenkuhhaut

Dann geht's los: Crawl, ein harter Schmeißer von ihrer ersten wirklich erfolgreichen Einspielung: Only by the Night, der vorletzten Platte. Es kommt kurz und ernst gemeint rüber. Die Herren haben also noch was vor heute Abend. Ja, haben sie. Denn danach bringen sie Molly's Chambers zu Gehör, eine Nummer ihres Debüt-Albums: Youth & Young Manhood. Damit ist klar - und das Versprechen wird auch wirklich eingelöst: Hier wird nicht die letzte Platte runtergeschrummelt, weil die ja noch ein paar Käufer finden soll, hier werden Highlights des Œuvres zur Darbietung gebracht. Es folgen etwa die Knaller Radioactive von der letzten Platte, Fans aus der Vergangenheit und Four Kicks von Aha Shake Heartbreak, ebenfalls zum Frühwerk zählend.

Die Auswahl ist stimmig. Denn sie bringt die besonderen Qualitäten der Band zum Funkeln, allen voran das Zusammenspiel von Leadgitarre und Drums. Was Trommler Nathan da zusammenschlägt, geht auf keine Südstaatenkuhhaut. Das muss man gehört haben.

Dennoch sind die Kings of Leon keine Stadionband, obwohl sie Bombast durchaus bedienen können. Sie könnten auf kleineren Bühnen genauso - im Wesentlichen statuarisch - gestanden haben wie in der immer unterkühlt wirkenden Olympiahalle. Sie spielen hier, das mag auch betrüben, ihre bekannten Nummern überraschungslos und professionell runter, geben artig Zugaben, und wer sich auch nur ein bisschen mit ihnen befasst hat, wird genau diese erwartet haben: Closer, ein epochaler Song um Verlassensein und unwirkliche Bedrohung, und natürlich Sex on Fire, ein Lied, das allen Radiostationen der Welt gut zu Antenne stünde. Kein Vorwurf.

Man wippt gerne mit bei manchen ihrer Lieder, manches, was Caleb aus seinen Stimmbändern holt, regt auch zum Staunen über die menschliche Vorrichtung Stimmband als solches an. Denn so authentisches Kratzen hört man leider zu selten.

"God bless you very much", sagte Caleb zum Schluss. Das war nach gut eindreiviertel Stunden vor den Zugaben. Die, man muss sich das bei diesen kaum effektheischenden Musikern einmal vorstellen, mit billigstem Pyrozauber zum Abschluss gebracht wurden. Das kann jeder Amateurzirkus besser. Aber um Effekte geht es ja nicht. Und eben darum ist man diesen melancholisch-harten Gotteskriegern, die hart, ehrlich, sauber und effizient genau das abliefern, was man von ihnen erwartet, richtig dankbar.

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