SZ-Kulturpreis Tassilo:Ein Gefühl wie ewiger Sommer

SZ-Kulturpreis Tassilo: Tausende kommen jedes Jahr nach Garching zum Open-Air-Festival "Schall im Schilf", um zur Musik der verschiedenen DJs zu tanzen - wie hier in einer Aufnahme von 2017.

Tausende kommen jedes Jahr nach Garching zum Open-Air-Festival "Schall im Schilf", um zur Musik der verschiedenen DJs zu tanzen - wie hier in einer Aufnahme von 2017.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Kellerkind" aus Garching begannen einst mit einer Abschlussparty für Gymnasiasten. Heute sind ihre Elektro-Festivals "Schall im Schilf" und "Back to the Woods" weit über die Region München hinaus bekannt.

Von Irmengard Gnau, Garching

Es gibt diesen Moment, meistens kurz nach 20 Uhr, wenn sie zum ersten Mal durchschnaufen können, sich in die Menge stellen und die Musik durch ihre Körper und Köpfe fließen lassen. Wenn klar ist, dass um sie herum alles läuft, das Wetter hält, die Menschen tanzen, die Lichter leuchten, die Bässe brummen. Dann, sagt Leo Rebay mit einem Lächeln auf den Lippen, dann komme es auch mal zu ein paar Umarmungen. Seit 13 Jahren gestalten Rebay und seine Kollegen für Tausende Menschen einen Tag im Jahr, der sich im Idealfall anfühlt wie ein ewiger Sommer. Wogende elektronische Klänge, die die Hüften wippen und die Beine tanzen lassen auf einer Wiese am See, umrahmt von Hängematten, Essen und Getränken sowie einer Lichtshow.

Genau genommen sind es zwei Tage, die Rebay und seine Kollegen Gabriel Schneider und Alexander Hofmann jedes Jahr gestalten: im Juli das Festival "Schall im Schilf" am Garchinger See und im August das "Back to the Woods" auf dem Forschungsgelände der Technischen Universität (TU) in Garching. Beides sind Open-Air-Festivals, auf beiden wird elektronische Musik gespielt und beide sind inzwischen eine feste Größe für Elektro-Fans in der Region. Etwa 10 000 Karten für das "Schall im Schilf" gehen am 19. Februar in den Vorverkauf.

Dass sie einmal so große Veranstaltungen verantworten würden, damit hatte wohl niemand aus dem Team gerechnet, das im Jahr 2010 eine private Abschlussparty für die Absolventen des Werner-Heisenberg-Gymnasiums in Garching auf die Beine stellte. "Wir hörten damals schon gern House und Techno, das war aber noch nicht so verbreitet", sagt Rebay. Also organisierten die Freunde ihre Partys selbst. Und zum Abitur durfte eine Party natürlich nicht fehlen. Weil die erste große Sause auf der lokalen Festwiese so viel Anklang fand und die Musikfans merkten, wie viel Spaß ihnen das Organisieren machte, gab es 2011 eine Wiederholung - dieses Mal auf dem größeren Gelände am See, wo das "Schall im Schilf" bis heute stattfindet.

Von 300 auf 10 000 Besucher in zehn Jahren

Von damals etwa 300 Besuchern wuchs das Festival Schritt für Schritt bis auf seine heutige Dimension an. 2013 kam der zweite Termin, das "Back to the Woods" hinzu, auf einer Wiese zwischen den Forschungsgebäuden der TU. Anfangs mussten die jungen Veranstalter noch einige Überzeugungsarbeit leisten bei den städtischen Behörden und auch der Universität, erinnert sich Rebay. Heute haben sie sich einen guten Ruf erspielt, sowohl bei den Musikfans wie auch bei den Mitarbeitern im Garchinger Ordnungsamt. Ein Lehrstuhl der TU hat das Festival sogar einmal als Forschungsobjekt genutzt - um Personenströme zu untersuchen.

Mit der steigenden Zahl der Festival-Besucher erkannten die Organisatoren um Rebay, dass sie sich auch als Veranstalter fester aufstellen mussten: 2015 gründeten sie die Kellerkind GmbH. Drei der Gründer bilden heute noch den Kern, insgesamt zählen etwa acht Menschen zum festen Organisations-Team der Festivals. Ein Festival für 10 000 Leute auf die Beine zu stellen, sei heute gar nicht mehr so einfach, sagt Rebay. Denn keiner der Kellerkind-Mitglieder hat das Eventmanagement zu seinem Hauptberuf gemacht. Mehr als ein Hobby sind die Festivals dennoch. "Es ist eine Herzenssache, und es macht immer noch Spaß." Als Bauingenieur kann der 32-Jährige sein Fachwissen bei der Organisation voll ausspielen.

SZ-Kulturpreis Tassilo: Kellerkind-Geschäftsführer Leo Rebay im Einsatz.

Kellerkind-Geschäftsführer Leo Rebay im Einsatz.

(Foto: Ewelina Bialoszewska/Kellerkind GmbH/EWELINA_BIALOSZEWSKA)

Die Vorbereitungen für das nächste Festival beginnen eigentlich schon im November mit Anfragen an die DJs, dem Buchen von Lieferanten, dem Gestalten der Homepage. Die Woche vor dem "Schall im Schilf" nehmen sich die drei Geschäftsführer frei von ihren Hauptberufen, um den Aufbau zu koordinieren. Von Montag bis Freitag packen Dutzende Helfer mit an, um die Wiese an dem kleinen Badesee in ein Festivalgelände mit drei voll ausgestatteten Bühnen, liebevoll gestalteter Dekoration, Essensständen, Toiletten und Rückzugsorten zu verwandeln. Etwa drei Lastwagen umfasst allein die Technik für die Bühnen, zwei Lastwagen das Tonequipment. Am Samstag kommen dann die DJs, ab Mittag die Besucher. "Das Geheimrezept ist, glaube ich, langsam reinzuwachsen in so eine Organisation", sagt Rebay. "Nicht gleich mit einer Party für 5000 Leute zu starten, sondern sich langsam zu steigern." Kellerkind sind mit dieser Methode gut gefahren.

SZ-Kulturpreis Tassilo: Für den Aufbau der Technik und Dekoration für die Festivals braucht es eine große Crew wie hier beim "Back to the Woods" 2022.

Für den Aufbau der Technik und Dekoration für die Festivals braucht es eine große Crew wie hier beim "Back to the Woods" 2022.

(Foto: Kellerkind GmbH)

Bei der Auswahl der Musik achten sie auf eine Mischung. "Wir versuchen, alle Geschmäcker zu treffen", sagt Rebay. Einen großen, berühmten Headliner gibt es traditionell nicht, dafür wäre laut Rebay auch das Budget gar nicht hoch genug. In diesem Jahr werden beim "Schall im Schilf" stattdessen lokale Größen wie die Münchnerin Sophie Pschorr auftreten, DJs aus anderen deutschen Städten wie der Berliner Fadi Mohem, der unter anderem im Club "Berghain" auflegt und internationale Namen wie Job Jobse aus Amsterdam. Gespannt sei er, wie die Besucher auf die erhöhten Preise reagieren, sagt Rebay. Auch die Veranstalter spüren die Kostensteigerungen durch Inflation, Krieg und Pandemie. Ein Festivalticket kostet inzwischen knapp 40 Euro. Aber das soll der Stimmung keinen Abbruch tun, hoffen die Veranstalter. "Unser Publikum ist ziemlich gemischt, es kommen auch Leute, die nicht unbedingt in einen Techno-Club gehen würden", sagt Rebay. Sondern einfach einen schönen Sommertag haben wollen.

Bis Mitte Februar stellen wir Ihnen die Kandidatinnen und Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis 2023 vor. Alle Nominierten finden Sie unter sz.de/tassilo.

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