Moosach: Proteste gegen Katzenquäler:Wo soll das enden?

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Seit ein Anwohner den Kater einer Nachbarsfamilie gequält und getötet hat, kennt der Zorn der Katzenfreunde kaum noch Grenzen. Es gibt Protestzüge, Steckbriefe, sogar Morddrohungen. Manch einer fragt sich, wo das alles enden soll.

Bernd Kastner

Es sind die Katzen, die einem sofort ins Auge springen. Aber nicht die schwarzen und nicht die getigerten, sondern die Raubkatzen. Löwen wachen vor vielen Hauseingängen in diesem Viertel, Löwen aus Stein. Von den echten Katzen ist nichts zu sehen, obwohl alle über sie reden. Man trifft Tigerlilly und Max und Delgado erst später, in den Wohnungen, wo sie auf der Fensterbank schlafen oder am Herd herumturnen und sich ins Spülbecken kuscheln. Die Menschen sind froh in diesen Tagen, wenn ihre Lieblinge daheim bleiben. Die Menschen haben Angst, seit Heiligabend.

"Katzenmörder" - Seit ein Anwohner in Moosach den Kater einer Nachbarsfamilie gequält und getötet hat, kennt der Zorn der Katzenfreunde kaum noch Grenzen. (Foto: Symbolbild). (Foto: APN)

"Auge um Auge, Zahn um Zahn." So beschreibt eine Frau die Stimmung, die sie neulich wahrgenommen hat. Als gut 200 Bürger auf die Straße gingen mit Kreuzen und Grablichtern und forderten: "Höchststrafe für den Katzenmörder." Moosach ist im Ausnahmezustand.

Ein "Katzenparadies" nennt der Vorsitzende des Tierschutzvereins die Gegend abseits der Dachauer Straße. Hier gibt es viele Gärten und Bäume, große Wiesen und wenig Autos. Auch die Menschen scheinen sich wohl zu fühlen, es stehen Bobbycars vor den Reihenhäusern, viele Familien leben hier, manches Garagentor ist bemalt, manche Mülltonne bunt beklebt.

Eine Biotonne soll es gewesen sein, in der Rocco starb. Gequält in einem Marderkäfig, ertränkt mit dem Wasser aus einem Gartenschlauch. Eine Nachbarin hat die Polizei zu einem Rentner gerufen, der ein großer Vogelfreund sei und deshalb Katzen nicht möge, wie es heißt. Er wurde wohl auf frischer Tat ertappt. Am 29. Dezember vermeldete die Polizei das Geschehen, seither geben sich Reporter und Kamerateams die Klinke in die Hand. Und am Samstag dann diese Aktion, die manche an Selbstjustiz denken lässt. "Es ist gut, dass die Polizei da war", meint eine Demonstrantin.

"Es ist das Letzte, was man tun kann für so ein Tier", sagt Maria Roth. Sie sitzt am Esstisch in einer sehr aufgeräumten Wohnung, in der Küche steht ein eingerahmtes Katzenfoto. Sie war auch auf der Demo, natürlich, denn sie ist auch Opfer. Vor drei Jahren fand sie ihren Romeo tot auf einer Wiese, vergiftet. Das war in jener Zeit, als eine Hundertschaft Polizei das Gebiet durchkämmte auf der Suche nach weiteren Giftködern. Die lagen damals herum, sie sagt, vor zehn Jahren habe das schon angefangen. Ein Hund hat so ein Stück Wurst, in dem Rohrreiniger versteckt war, fast gegessen. Schwer verletzt hat er überlebt, auch dieser Hund war auf der Demo. Frau Roth sagt, man müsse die Kinder ermahnen, bloß nichts vom Boden aufzuheben. Und natürlich hätten sie alle eine Vermutung, wer es war. Wer braucht schon noch Beweise nach dem Tod von Rocco?

Es lastet ein furchtbarer Verdacht auf diesem Viertel, in dem ein alter Mann durch seine mutmaßliche Untat zum Ausgestoßenen geworden ist. Gewiss, keiner, den man trifft, will, dass diesem Rentner körperlich etwas angetan wird, keiner findet die Drohungen gegen ihn gut, und auch nicht die Zettel mit seinem Bild, seinem Namen und seiner Adresse, die an den Laternenmasten hingen. Aber die Menschen zwischen Rangierbahnhof und S-Bahntrasse haben etwas angestoßen, und fast hat man den Eindruck, dass viele über die möglichen gefährlichen Folgen der Demonstration, die der Tierschutzverein initiierte, erst jetzt nachdenken, da man sie darauf anspricht.

Die Hauptpersonen in diesem tragischen Stück wollen nicht mehr reden. Der Familienvater, dessen schwarzer Kater getötet wurde, sagt nur, dass Rocco ihnen sehr fehle, und dass er sich freue über die Solidarität im Quartier. "Toll."

Der Rentner, 73, gegen den sich diese Solidarität richtet, öffnet nur kurz die Tür. Man möchte mit ihm sprechen über die Vorwürfe und darüber, wie es ihm jetzt so geht. "Hundsmiserabel" sagt er nur, das könne man sich ja wohl vorstellen, und dass "alles verdreht" worden sei in den Medien. Dann schließt er die Tür. Sein Haus befindet sich in einem unsichtbaren Belagerungszustand. Er hat die Polizei eingeschaltet, die sich jetzt auch um den Mann sorgt, gegen den sie wegen Tierquälerei ermittelt. Polizeisprecher Wolfgang Wenger kann die vermeintlichen Gewissheiten, die durchs Viertel geistern, nicht bestätigen: Nein, man habe keine Hinweise darauf, dass der Rentner für die Giftköder von früher verantwortlich sei; nein, man habe kein Gift in seinem Keller gefunden; ja, der Rentner "war beim Erstzugriff sehr unkooperativ und uneinsichtig", sagt Wenger. "Aber das hat sich total geändert. Er ist sehr nachdenklich geworden."

Im Mittelalter war es, als sie Verbrecher an den Pranger gestellt haben. Man spürt ein wenig von dieser alten Zeit, wenn man sich in Moosach mit den Menschen unterhält, und genau das wollte der Vorsitzende des Tierschutzvereins auch erreichen: Den mutmaßlichen Katzentöter an den Pranger stellen, das hat Kurt Perlinger freimütig erklärt. Man wisse ja nicht, was so einer als nächstes tue, wenn er jetzt nicht ordentlich bestraft werde. Er hat von der Sorge um Kinder gesprochen, wie man überhaupt oft diesen Vergleich zwischen Verbrechen an Katzen und Kindern hört.

Der oberste Tierschützer tut wenig, um einer möglichen Hatz auf den Tierquäler vorzubeugen. Er spielt mit dem Feuer, das Hans-Dieter Kaplan, Schatzmeister im Verein und SPD-Stadtrat, gar nicht entzündet hätte, wenn es nach ihm gegangen wäre: Demo ja, angesichts dieser grausamen Tat, politische Forderungen natürlich auch, sagt er, aber auf keinen Fall eine Aktion neben dem Haus des mutmaßlichen Täters: "Um diese Person kümmert sich die Justiz." Allein, daran glauben die Demonstranten nicht. Mit ein paar hundert Euro Geldstrafe werde er davon kommen, meinen sie, dabei sollte man ihn einsperren, drei Jahre gibt das Gesetz her. Genau dazu wollen sie die Richter drängen. "Höchststrafe!"

"Dass man ihn wie ein rohes Ei behandelt, finde ich nicht in Ordnung", sagt Frau Roth. "Uns wäre es am liebsten, wenn er die Koffer packt und woanders hingeht." Weg aus dem ruhigen Quartier mit seinen vielen Haustieren und den Spielstraßen. München ist hier noch nicht so geschleckt wie anderswo, hier parken die Autos am Straßenrand schon mal im Schlamm, hier wächst englischer Rasen, und nebenan verwildern verlassene Grundstücke. Es ist keine unsympathische Gegend, und auch die Katzenfreunde sind es nicht. Wer würde nicht verstehen, wenn einem wie Frank Bayer, einem gestandenen Mann von 60 Jahren, der mit Hund, Meerschwein und Vogel aufgewachsen ist, die Tränen kommen, wenn er an seinen vermissten Tommy denkt. Er fasst die Stimmung mit drei Worten zusammen: "Wut. Ärger. Ohnmacht."

Die Menschen lieben ihre Tiere. "Das sind Gottes Geschöpfe, die zu uns gehören", hat der Tierschutz-Chef gesagt. Doch wie weit darf sich diese Sorge um das Tier gegen einen Menschen richten?

Die Demo war etwas, "wo ich nicht mitmachen muss", sagt eine Frau, die man zufällig vor ihrer Haustür trifft. Sie wohnt beim mutmaßlichen Täter um die Ecke, ist voller Abscheu angesichts der Tat, aber die Aktion erinnere doch zu sehr an Selbstjustiz. Ein Mann führt gerade dort seinen Hund aus, wo die Leute am Samstag ihre Tafeln in den Schnee gesteckt hatten: "Den Opfern des Tierquälers in tiefer Anteilnahme." Der Hundebesitzer war auch auf der Demo, findet sie gut, aber er fragt auch: Was ist, wenn demnächst wieder eine Katze verschwindet? Was passiert dann mit dem Rentner, auch wenn er's dann gar nicht war? "Wahrscheinlich muss er wegziehen."

Gleich nebenan bringt eine Frau mittleren Alters ihren Müll raus. "Wenn ein Kind stirbt, gibt es keine Demo", sagt sie. Nie würde sie einem Tier was antun, so was gehört bestraft, aber bitte nicht übertreiben. Dann erscheint ihre Mutter in der Tür, recht aufgebracht ist sie. Psst, mahnt die Tochter, "nicht so laut", und die beiden Frauen erzählen, was die Katzen aus der Nachbarschaft so alles treiben in ihrem Garten: Den Goldfischteich hätten sie leer gefischt, hinter den Vögeln seien sie auch immer her, und erst dieser Kot überall, pfui! Auch in dieser Ecke Moosachs lieben nicht alle Katzen.

Bei Familie Fischer trifft man Max. Der Kater liegt vor dem Tisch, der zwölfjährige Sohn streichelt ihn, erschrickt, als das Tier niesen muss. Tommy ist nicht mehr da. Tommy ist der Bruder von Max, und Tommy ist verschwunden, seit November. Bernd Fischer, 46, Ingenieur von Beruf, kann nachfühlen, wie es der Nachbarfamilie gehen muss, die um Rocco trauert. Sie wissen, wie es ist, wenn man Vermisstenplakate aufhängt und Radiosender um Suchmeldungen bittet. Die Fischers haben viele Interviews gegeben in diesen Tagen, sie haben eine dezidierte Meinung zum Tierquäler von nebenan. Sie sind keine Scharfmacher, vielmehr wird in ihnen die Ambivalenz des Viertels sichtbar. Hier das Zeigen mit dem Finger auf den mutmaßlichen Täter, dort der Wunsch, dass die Wut nicht ausartet.

"Das Ganze hat seinen natürlichen Lauf genommen", sagt der Vater. Zuerst der Polizeieinsatz, dann das Lauffeuer durch die Nachbarschaft, dann die Pressemitteilung der Polizei, dann die Medienberichte, dann die Demo. Sie finden nicht gut, dass inzwischen weniger über die grausame Tat diskutiert werde als über die Reaktion darauf. Sie wollen keine Selbstjustiz, aber Fischer hatte selber auch schon überlegt, ob er Warnhinweise aushängen soll für die Tierhalter aus der Nachbarschaft, ohne Namen des mutmaßlichen Täters natürlich, aber andere waren schneller. Sie haben es mit Namen und Adresse gemacht. Und dann auch noch die Morddrohungen. "Für den Tierschutz", sagen Bernd Fischer und seine Frau, "ist das Gift." (Namen der Moosacher Bürger geändert.)

© SZ vom 13.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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