Kandidat für den Tassilo 2018:Der Mutmacher aus dem Theaterwagen

Kandidat für den Tassilo 2018: Weil er etwas mit seinem Theater bewegen will, bewegt Wilfrid Grote das Theater und erzählt Kindern märchenhafte Geschichten.

Weil er etwas mit seinem Theater bewegen will, bewegt Wilfrid Grote das Theater und erzählt Kindern märchenhafte Geschichten.

(Foto: Robert Haas)

Wilfrid Grote wollte eigentlich Pfarrer werden, doch dann gelangte er über Umwege zur Bühne und schreibt seitdem Stücke für Kinder. Mit den Geschichten will der heute 77-Jährige aus Garching Gefühle stärken und Ängste abbauen.

Von Gudrun Passarge, Garching

Wer weiß, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn Wilfrid Grote nicht über den viel zu großen, geliehenen Pfarrers-Talar gestolpert wäre, um in der Kirche der Länge nach auf dem Bauch zu landen. Keiner der Gottesdienstbesucher half ihm, und Grote wusste: "Es ist ein Zeichen. Du bist nicht dafür geeignet." Er brach sein Theologiestudium ab und wurde stattdessen Regieassistent und schrieb Theaterstücke für Kinder. Immer auch mit politischem Impetus. "Es geht darum, ihre Gefühlswelt zu stärken, aber auch darum, gegen die Unterdrückung anzugehen."

Der 77-Jährige, der seit fünf Jahren in Garching heimisch ist, blickt auf ein buntes Leben zurück. Selbst an Kriegserlebnisse kann sich Grote noch erinnern, obwohl er da noch ein Knirps war. "Ich habe den roten Himmel gesehen, das war wunderschön", berichtet er vom letzten Angriff auf seine Heimatstadt Hannover, wobei ihm heute natürlich bewusst ist, dass die Erwachsenen um ihr Leben bangten. Grote erzählt trotzdem von einer unbeschwerten Kindheit in Gronau bei Hannover, von seinem Großvater - nach dem Tod des Vaters sein Ersatzvater - , der ihm von seinen Abenteuern aus Argentinien erzählte, von seinen Familien, mütterlicherseits die Schausteller, väterlicherseits Schauspieler und Opernsänger. Er hatte Freiheiten, erlebte die Natur, aber auch die Bühne und lernte den Satz kennen: "Auf der Bühne wachsen die Bäume in den Himmel."

In Griechenland wollte er den Kopf freibekommen

Sein Weg zum Theater war allerdings nicht geradlinig. Irgendwann ging er "in Opposition zu allem", er wollte etwas Anderes als seine Familie machen und wählte die Kirche. Glücklich wurde er damit nicht. "Es gab zu viele Widersprüche in der Theologie." Er brach das Studium der evangelischen Theologie ab und ging nach Griechenland, den Kopf freibekommen. Zurück kam er mit einer Griechin als Frau. Es folgten Stationen in Berlin, Frankfurt und München, wo Grote mit dem Schreiben begann und erste Jobs hinter der Bühne bekam. Vor allem aber geriet er in den Strudel der 68er, "den Schwung, den die Gesellschaft durch die Studenten bekommen hat, da konnte ich mich einreihen".

Das blieb weltanschaulich nicht ohne Auswirkungen. "Die starke magische Bedeutung, die der Glauben für mich hatte, wurde umgewandelt in konkrete politische Arbeit." Er lernte den Theatergründer Oskar Ballhaus kennen, später dessen Tochter Verena, mit der er in München viele Jahre verbandelt war nach dem Aus seiner griechischen Ehe. Verena Ballhaus hat auch mehrere Kinderbücher Grotes illustriert.

"Es war eine irre Zeit", sagt er über die Jahre damals. Demos gegen die Bild-Zeitung und den Schah, Arbeiten für TV und Hörfunk, "Maria Stuart", seine erste Regiearbeit, besonders die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Intendant Jürgen Flügge, der 1979 die Schauburg, das Theater der Jugend in München, übernahm. Grotes Anspruch: "Wenn ich irgendwo etwas verändern kann, dann muss ich bei den Kindern anfangen." Und er wollte ihre Gefühle stärken, Ängste abbauen.

"Schnauzhaltersheim" gefiel den Erwachsenen nicht

Nicht immer traf er damit auch den Nerv der Erwachsenen. Wie beim Stück "Aufruhr in Schnauzhaltersheim". Die Inhaltsangabe zeigt die Herangehensweise Grotes, der Wert auf gute Sprache legt und gern Humor beifügt: "In Schnauzhaltersheim leben Kleinmunde, Großmaul und Zungenschlag. Kleinmunde und Großmaul heiraten, aber nach der Hochzeit entpuppt sich Großmaul als Tyrann. Mit Hilfe von Zungenschlag kann sich Kleinmunde von Großmaul befreien." Die Emanzipationsgeschichte kam nicht überall gut an. "In Hannover haben es die Lehrer wegen des Titels nicht gebucht", erzählt Grote. Doch dann lief dieselbe Inszenierung unter dem Titel "Sturm auf der Herzallee". "Die Lehrer haben es gebucht wie verrückt." Noch heute amüsiert ihn der Coup.

Ganz gleich, ob Grote Anti-Kriegs-Geschichten erzählt oder die Gleichstellung von Mädchen thematisiert, oft nutzt er für die Umsetzung eine märchenhafte Welt. Um neue Ideen ist der Autor nie verlegen. Ein Besuch im Stadtmuseum bescherte ihm etwa das "Gretl-Theater". "Da waren mindestens 100 Kasperl und nur eine oder zwei Gretl", erzählt er. Das ließ ihm keine Ruhe, er machte Nägel mit Köpfen. 16 Stücke hat er schon geschrieben, alle nach dem selben Strickmuster. Eine Schauspielerin mimt die Gretl, der Kasperl und die anderen sind Puppen. Themen sind kindliche Ängste, Außenseiterdasein und die Lust, die Welt zu entdecken. "Mutmachtheater" nennt er das. Auch mit seinen 77 Jahren hat er noch viel zu erzählen, vielleicht mehr denn je. Mit Heinrich Führmann hat er das Theater für Kinder in Garching (Thea) gegründet. Mit dem Theaterwagen des Vereins will er herumfahren, um so die Bühne zu den Kindern zu bringen. "Die Spuren, die du in einen Kinderkopf legst, bleiben ein Leben lang haften."

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