Kamerafahrten:Ottobrunn in Zentimetern

Kamerafahrten: Das Fahrzeug, mit dem Christoph Dubs unterwegs war, wurde von manchen für ein Google-Auto gehalten.

Das Fahrzeug, mit dem Christoph Dubs unterwegs war, wurde von manchen für ein Google-Auto gehalten.

(Foto: Claus Schunk)

Die Schweizer Firma Inovitas erstellt für die Gemeinde vermessbare Panoramaaufnahmen der Straßen. Damit kann das Bauamt zum Beispiel Baustellen am Bildschirm berechnen. Die Daten sind nicht öffentlich

Von Anna Degenhart

Wie kann die Straßenreinigung schnell herausfinden, wo sich die Gullydeckel befinden, wenn auf der Fahrbahn Schnee liegt? Die Gemeinde Ottobrunn hat sich für Fälle wie diesen eine hochmoderne, technologische Lösung geholt: Vergangene Woche fuhr einen Tag lang ein weißer Transporter mit Kameras auf dem Dach über die Ottobrunner Straßen inklusive Parkfriedhof. Das Fahrzeug war nicht von Google Street View, sondern von der Schweizer Firma Inovitas. Sie erstellt im Auftrag der Gemeinde dreidimensional kartografierte Panorama-Straßenbilder.

Die Aufnahmen ähneln denen von Google Street View. "Dort ist aber gar nichts messbar", sagt Christoph Dubs von Inovitas, der mit dem Vermessungsfahrzeug in Ottobrunn unterwegs war. Die Gemeinde erhält geografisch verortete Aufnahmen. Mit einem fotogrammetrischen Verfahren werden aus den Fotografien die Form und Lage von Gegenständen bestimmt werden. Dubs erklärt das Prinzip dahinter. Auf dem Transporter ist ein Kamerasystem und ein Navigationssystem verbaut. Jede Sekunde wird der GPS-Standort aufgezeichnet, synchron dazu lösen die Kameras alle drei Meter aus. "Indem wir wissen, wie jede Kamera ausgerichtet ist, wie die Kameras zueinander stehen, und wie das ganze Kamerasystem zur Navigationslösung steht, ist jedem Pixel eine 3D-Koordinate zurechenbar." Werden diese noch mit Messpunkten vom Vermessungsamt eingepasst, sind sie bis auf zwei Zentimeter genau, sagt Dubs.

Michael Gruber von der Abteilung für Bautechnik sagt, dass die Gemeinde die Aufnahmen für Planungszwecke nutzen wird. Bisher gibt es nur Satellitenbilder von oben, auf denen man aber nicht alles sieht, was sich auf der Straße befindet. Straßenmarkierungen liegen beispielsweise oft unter dem Laub von Bäumen. "Wir sind dann immer selbst rausgefahren und haben gemessen", so Gruber. In Zukunft können er und seine Kollegen das bequem vom Computerbildschirm aus tun: "Alles, was auf dem Foto aufgenommen wird, kann man messen. Wie breit ist die Straße, wie lang ist die Markierung, wie hoch ist das Verkehrsschild, was für einen Durchmesser hat der Baum?"

Über ein Terabyte Daten, schätzt Dubs, wurden bei der Vermessungsfahrt auf Festplatten im Laderaum des Transporter gespeichert. Sobald die Daten aufbereitet sind, werden sie auf einem "gesicherten" Server von Amazon bereitgestellt, sagt Reinhold Tritschler, Geschäftsleiter von Inovitas Deutschland. Die Gemeinde könne sich dabei zwischen dem Serverstandort Frankfurt am Main oder Irland entscheiden. Dann kann die Verwaltung per Internetverbindung über ein geschlossenes System auf die vermessbaren Aufnahmen zugreifen. Sie werden nicht öffentlich zugänglich sein. Neben der Gemeinde habe nur Inovitas ein Zugriffsrecht. "Es kann ja sein, dass wir etwas für den Kunden tun müssen", sagt Tritschler. Er ist sich der Sensibilität des Themas bewusst. "Die Bevölkerung soll wissen, dass das ausschließlich und nur für die Gemeinde gemacht wird. Das hat nichts mit Google zu tun. Die Messkampagne ist nur zur Unterstützung der täglichen Arbeit der Gemeinde", betont er und weist darauf hin, dass Inovitas freiwillig den Datenschutzkodex für Geodatendienste des Vereins Selbstregulierung Informationswirtschaft (SRIW) unterzeichnet hat.

Der Verein SRIW setzt sich nach eigenen Angaben "für den Einsatz von alternativen Regulierungsinstrumenten wie der Ko-Regulierung ein", also für die freiwillige Selbstkontrolle von Unternehmen beim Datenschutz anstelle von gesetzlichen Regulierungen. Auch der Geodatenkodex des Vereins beruht auf diesem Prinzip. Neben Inovitas haben auch die Deutsche Post DHL AG, die Deutsche Telekom AG und Google LLC den Kodex unterzeichnet und sich damit selbst verpflichtet, "größtmögliche Transparenz über die Dienste herzustellen" und "eine zentrale Informations- und Widerspruchsstelle einzurichten". Berechtigte haben laut Kodex die "unbefristete Möglichkeit, die Unkenntlichmachung ihres Hauses, ihres Kfz-Kennzeichens oder ihres Gesichts ganz oder teilweise zu verlangen". Das betrifft auch die Rohdaten, also die "Datensätze, die dem über das Internet zum Abruf bereitgestellten Bildmaterial zugrunde liegen". Inovitas macht laut Tritschler alle Gesichter und Autokennzeichen unkenntlich, die auf den Bildern zu sehen sind. "Die Fassaden von Gebäuden werden aber nur verpixelt, wenn es ins Internet geht. Das geht es aber nicht, nie", sagt Tritschler.

"Die Häuser interessieren uns nicht, nur der öffentliche Grund. Das ist rein für den Straßenbau", sagt Gruber. Er hofft, das neue System schon einsetzen zu können, wenn von 18. bis 20. Juli die Ottostraße auf Höhe Bergstraße bis Hohenbrunner Straße neu asphaltiert wird. Dann könnte die Bauverwaltung beispielsweise am Computerbildschirm bestimmen, ob der Verkehr zweiseitig am Laufen gehalten werden kann oder ob dafür der nötige Sicherheitsabstand von der Baustelle nicht ausreicht.

Ottobrunn hat er als sehr ruhigen Ort erlebt, erzählt Dubs. "Einige Menschen dachten, dass wir von Google sind. Wenn wir erklärt haben, dass es für die Gemeinde ist, dann war das für sie okay. Also, es war niemand aufgebracht." Die breiten Straßen seien sehr angenehm zu befahren gewesen. Bei den engeren Straßen in der Schweiz müsse man mehr schauen, etwa, dass kein Ast gegen die Kamera schlägt. Wäre das passiert, hätten sie zurück zum Firmensitz nach Dättwil fahren müssen, um dort die Kameras wieder auszurichten.

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