Süddeutsche Zeitung

Kallmann-Museum:Schön blau und nahrhaft

Der Algenfarmer Jörg Ullmann weist in der Ismaninger Ausstellung "Arten und Elemente" auf das Potenzial der Wasserlebewesen wie Spirulina hin

Von Andreas Sommer

Die Wakame-Alge ist mit uns enger verwandt als mit der Spirulina-Alge." So beginnt der Vortrag von Jörg Ullmann im Kallmann-Museum Ismaning, er ist studierter Biologe und Geschäftsführer einer der größten Algenfarmen weltweit. Sie steht in Klötze, Sachsen-Anhalt, und besteht aus etwa 500 Kilometern Glasröhren, in denen ein Dutzend verschiedene Algenarten heranwachsen. Ullmann betont das Potenzial, welches in diesen Bewohnern fast aller Gewässer der Erde steckt und sagt, warum er ein Problem mit der dem Sammelbegriff "Alge" hat. Der bezeichnet in etwa alles, was im Wasser lebt und Fotosynthese betreibt.

Die negativen Eigenschaften der Algen kennt man zum Beispiel von vergifteten Seen nach einer Blaualgenblüte. Wegen der Nährstoffe, die vor allem durch die Landwirtschaft in großen Mengen in Flüsse und Seen gespült werden, aber auch durch die ansteigenden Durchschnittstemperaturen werde dieses Phänomen in Zukunft häufiger vorkommen, befürchtet Ullmann. Die historische Vorlage zu Alfred Hitchcocks Thrillerklassiker "Die Vögel" war auch Folge einer Vergiftung. Tausende Vögel fraßen an der Küste das Nervengift einer Alge und flogen dann orientierungslos gegen Fenster und Häuser.

Und doch sei Leben auf der Erde ohne Algen undenkbar. Nicht nur, weil wohl alle Landpflanzen aus Grünalgen hervorgingen, auch heute noch komme jedes zweite Sauerstoffmolekül von diesen Wasserlebewesen. Das Phytoplankton bilde außerdem ein Grundnahrungsmittel in den Meeren, ein Primärproduzent, der die Nahrung für Kleinstlebewesen darstelle. Denn Algen seien keineswegs nur vielzellige Wasserpflanzen, die aus komplexen Strukturen bestehen. Einen großen Teil der Algen bilden sogenannte Mikroalgen, die einzeln nur mit dem Mikroskop zu erkennen sind. Unter den Begriff Algen fallen sogar einige Einzeller und Bakterien.

Auch für uns Menschen könne in der Zukunft die Ernährung mit Algen ein wichtiger Baustein werden. Die Weltbevölkerung wächst, aber die bebaubare Ackerfläche ist limitiert. Algenfarmen könnten ein Teil der Lösung sein, meint Ullmann. Mit Algen könne man Flächen bebauen, die sich nicht für konventionelle Landwirtschaft eignen, beispielsweise Küstenstreifen, aber mittels Glasröhren wären sogar Wüstengebiete denkbar. Außerdem sei bei der richtigen Nutzung der Süßwasserverbrauch in der Algenzucht weit geringer als bei Feldfrüchten wie Weizen oder Soja.

Für Algen in der Nahrung brauche man aber gar nicht in die Zukunft zu blicken - ein aufmerksamer Blick auf die Inhaltsangaben vieler Produkte zeigt: Sie dienen bereits heute als Stabilisator, Emulgator oder Verdickungsmittel, als veganes Geliermittel oder Farbstoff. Spirulina, ein Cyanobakterium, ist beispielsweise in Lebensmitteln mit natürlichem Blaufarbstoff enthalten. Egal ob in Gummibärchen, Schokolinsen oder Eis oder in der frisch zubereiteten Schlumpfmilch, die Ullmann serviert. Und neben der starken blauen Färbung kann Spirulina auch Mangelernährung bekämpfen. Jörg Ullmann arbeitet an einem Spirulina-Projekt in Kolumbien, um die Ernährung von Kindern in dieser Region zu verbessern. Bereits bei den Azteken habe die Blaualge schon auf dem Speiseplan gestanden, ebenso im Tschad. Dort sei in Regionen, die Zugang zu Blaualgen haben, die Mangelernährung geringer als in anderen Gebieten. Neben einem Proteingehalt von, je nach Stamm, bis zu 60 Prozent enthalten viele Arten verschiedene Vitamine und ungesättigte Fettsäuren, so der Biologe. Mit dieser Kombination aus Sauerstoff- und Nahrungsmittelproduktion haben es die Algen sogar schon auf die Internationale Raumstation geschafft - bisher im kleinen Stil, aber auch hier weiß man um die Möglichkeiten.

Jörg Ullmann selbst kocht sehr gerne mit Algen. Sie seien sehr vielfältig, man könne in der Küche sehr gut mit Algen experimentieren. 2016 veröffentlichte er mit seiner Frau ein Kochbuch mit Algenrezepten. In Japan handeln Kenner mit manchen Algenarten wie mit gutem Rotwein: Aus welchem Anbaugebiet kommt sie? Wie lange wurde sie auf welche Weise gelagert?

Der Vortrag im Kallmann-Museum ist eingebettet in eine Ausstellung des Münchner Künstlers Markus Heinsdorff. Unter dem Titel "Arten und Elemente" werden noch bis zum 15. September Sammlungen, Maschinen und Installationen gezeigt. Ein Raum gehört dabei auch ganz der Alge. Dort steht eine Zuchtstation für die Wasserbewohner, gleichzeitig Ästhetik und Wissenschaft. Auch andere Objekte behandeln in vielfältiger Art und Weise Naturphänomene wie Tornados, das Artensterben und den häufig verheerenden Eingriff des Menschen in die Natur. Aber ebenso der Reichtum der Arten, die Ästhetik und der Zauber natürlicher Systeme werden thematisiert.

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SZ vom 08.08.2019
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