Ausstellung:Ich und Selbst im Spiegel von Zeit und Form

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Johanna Freises "Gang", ein Doppelselbstporträt. (Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Die aktuelle Werkschau im Kallmann-Museum präsentiert Porträts und Körperbilder aus der Sammlung Klewan. Neben großen Namen sind die Werke weniger bekannter Protagonisten aus dem 20. und 21. Jahrhundert zu sehen. Ein Schwerpunkt liegt auf Kunst aus Österreich.

Von Udo Watter, Ismaning

Wer sich selbst verachtet, achtet sich dabei immer noch als Verächter. Sagt Nietzsche. Wer sich selbst beobachtet, achtet sich dabei immer auch als Beobachter. Könnte man mit Blick auf die kleinen und großen Meister des Selbstporträts hinzufügen. Selbst wenn er (oder sie) an dem leidet, was sie sieht. Wenn der Körper als Träger einer verletzten Seele wahrgenommen wird. Als abstraktes Formenfragment eines geschundenen Wesens. Wenn die Deformation in Physis wie Psyche gleichermaßen wohnt, es keine Grenzen zwischen Außen und Innen gibt. Wenn, wie in Maria Lassnigs "Herzselbstporträt im grünen Zimmer" das Herz an die Hüfte oder den Hintern gerutscht ist. Der Kopf in die Breite gezerrt wird. Das Gesicht nur rudimentär dargestellt. Das Ölbild der österreichischen Malerin (1919 bis 2014) ist einer der Hingucker in der Ausstellung "Bilder des Menschen - Die Sammlung Klewan", die jetzt im Kallmann-Museum in Ismaning zu sehen ist.

Lassnig, prägend für das Informel in Österreich, war eine der ersten, die sich mit Körperbewusstsein beschäftigte, sie gilt als Vorläuferin der feministischen Body-Art und des Wiener Aktionismus. Nicht die Gegenständlichkeit, sondern Empfindungen waren der Künstlerin, die zahlreiche schwierige Lebensphasen durchlitt, wichtig. "Sie hat sich viel mit dem eigenen, gefühlten Körper auseinandergesetzt", sagt Rasmus Kleine, der Leiter des Kallmann-Museums.

Maria Lassnig: "Herzselbstporträt im grünen Zimmer". (Foto: Maria Lassnig Stiftung / VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Von Lassnig sind in Ismaning etliche Werke zu sehen, die den Zwiespalt zwischen Eigen- und Fremdbild thematisieren und der quasi immer auch Sexualität und Gewalt als Sujet immanent sind. Großartig auch die Arbeiten von drei ihrer talentiertesten Schülerinnen, die im Raum links vom Eingangsbereich hängen, dort, wo der Rundgang durch die Werkschau endet. Beeindruckend die ungewöhnlichen Perspektiven und steilen Blickwinkel bei den Bildern von Mara Mattuschka und Johanna Freise, denen eine filmisch-dramatische Prägung innewohnt. Das Prinzip der Mehrfachdarstellung ("Doppelselbstporträt") akzentuiert noch die soghaft-dämonischen Momentaufnahmen, hinter der offenbar traumatische Erlebnisse stecken. Berührend auch das hoch sensible und zärtlich-verstörende "Messerbild" von Regina Götz, die wegen einer Krebserkrankung am Kehlkopf ihre Stimme verloren hat - in dem Gemälde ist die Künstlerin als nackte Frau zu sehen, die sich mit einem Messer die Haut am Kehlkopf abschält: sanft, nicht brutal.

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Die Ausstellung - es ist die letzte vor einer langen Umbau-Pause am Kallmann-Museum - ist noch einmal sehr sehenswert, gerade auch weil sie neben großen Namen Überraschendes birgt. Dass hier Arbeiten eines privaten Sammlers gezeigt werden, der sich nicht am Kanon der Kunstgeschichte orientiert, sondern stets seinem Geschmack folgte, ist ja kein Nachteil, sondern ermöglicht Entdeckungen. Helmut Klewan war lange Kunstsammler in Wien, unter anderem befreundet mit Arnulf Rainer und ein früher Förderer der Wiener Aktionisten. Später ging er als Galerist nach München, wo er prägende Ausstellungen inszenierte und heute noch lebt. Kunsthistorikerin Karin Koschkar schreibt in ihrem Begleittext zur Ausstellung: "Um die unterschiedlichen Qualitäten der einzelnen Exponate erfassen zu können und sie in diesen spannenden Kontext einzubetten, muss man bereit sein, die Augen zu öffnen, zu staunen und zu entdecken. Dann gewährt uns diese Wunderkammer einen etwas anderen Einblick in die Moderne."

Max Beckmann: Selbstbildnis. (Foto: Veranstalter, Sammlung Klewan)

Die Exkursion durch die Wunderkammer beginnt chronologisch mit einem Raum, in dem fast ausschließlich Selbstporträts hängen. Vornehmlich Radierungen von Malern der klassischen Moderne, darunter Prominenz wie James Ensor, Marc Chagall (der sich mit Grimasse malte) oder Paul Cezanne sowie Max Beckmann, Christian Schad oder Lovis Corinth. Eine besondere Entdeckung hier ist eine Reihe von Bildern des gebürtigen Belgiers Armand François Henrion, der sich in diversen Gemütsverfassungen als Pierrot porträtierte.

Der kleine Rundgang durch das 20. Jahrhundert führt im nächsten Raum den Betrachter zu einer ganz anderen Art der Porträts und des Angesehen-Werdens: Dort hängen Werke von Jean Dubuffet, die von der Bildsprache von psychisch Kranken, anderen gesellschaftlichen Außenseitern und Kindern geprägt sind. Zudem Arbeiten der "Art Brut"-Vertreter Gaston Chaissac und Louis Soutter sowie frühe Pop-Art-Arbeiten von Michael Langer. Spannend auch die Zeichnungen von Martina Küngler, die an Schizophrenie litt. Es sind Werke, die quasi "alle akademische Regeln zurückweisen", wie Kleine es ausdrückt. Werke, die unmittelbar wirken und eine mitunter kindliche Perspektive einnehmen.

Helmut Klewan ist über viele Jahrzehnte immer wieder auf "Fischzug" gegangen, wie er es in einem im Museum gezeigten Film ausdrückt, und er war etwa einer der ersten, die Alberto Giacometti entdeckten. Dessen bekannte, extrem lange und schlanke Skulpturen sind in Ismaning zwar nicht zu sehen, aber dafür diverse großartige Zeichnungen und Grafiken. Neben Selbstporträts, in denen sich der 1966 verstorbene Schweizer quasi mit feinem, kreisenden Strich einer Auflösung des Ich annäherte, ist das Werk "Stehender Akt" eine unaufdringliche Augenweide: Die Kunst, eine fragile, durch Weglassungen elegant-zerbrechliche Figur in ein dreiviertel-leeres, weißes Bild hinein zu komponieren.

Three Studies of the Male Back von Francis Bacon. (Foto: The Estate of Francis Bacon/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Ein anderer, ganz großer Name des 20. Jahrhunderts ist hier auch vertreten, der 1909 in Dublin geborene Francis Bacon: Verzerrte Körper, deformierte Gesichter, originelle Bildkompositionen und starke Farben zeichnen seine Arbeiten aus. "In seinen Gemälden stehen die brutal verzerrten, verrenkten und entblößten Körper für das schmerzhafte Verlangen, das Innerste nach außen zu kehren", so Kroschkar. Bacons malerische Kraft, das qualvolle Leiden unbekannter Körper zu visualisieren, trifft und verstört. Zu lange sollte man vielleicht nicht vor diesen Bildern stehen.

Ähnliches gilt auch für die ein oder andere Arbeit in einem, vornehmlich der österreichischen Aktionskunst und Pop-Art gewidmeten Raum. Mit Günter Brus ist da ein Künstler darunter, der gleichsam auch gegen den eigenen Körper gewütet hat, in sein hier präsentiertes Werk ist eine Rasierklinge eingearbeitet, und es gibt Nähspuren, die von der Zerrissenheit des Körpers und dessen notdürftiger Reparatur zeugen. Auch Otto Muehl hat sich viel mit dem Körper, Sexualität und Exkrementen auseinandergesetzt. Als Kommunengründer und Vertreter der freien Liebe wurde er später wegen Verführung Minderjähriger angeklagt und war einige Jahre lang im Gefängnis. Sein Porträt entfaltet eine starke physische Abgründigkeit.

Für die Augen schmeichelhafter sind die bunten Pop-Art-Bilder des Künstlers Attersee (eigentlich Christian Ludwig), welche die Welt des Kitsches touchieren, aber beim genaueren Hinschauen auch ihre tieferen Anspielungen haben. Mit Attersee verbindet Klewan eine Freundschaft, ebenso mit Arnulf Rainer, der ja vor allem für seine Übermalungen berühmt ist. Eine schönes, großes Exempel für diese Kunst ist in Ismaning zu sehen: eine Tennisspielerin, die hinter hinzugefügten, dicken Farbvorhängen zu verschwinden droht.

Attersee, Rainer, auch Giacometti oder Dubuffet - Helmut Klewan hat seine Lieblinge. Maria Lassnig ist ebenfalls darunter - 1981 organisierte er die erste Maria-Lassnig-Ausstellung in München. Die Resonanz in der Kunst- und Museumswelt war damals noch dürftig, später wurde sie ein Weltstar der Szene.

Die Ausstellung "Bilder des Menschen - die Sammlung Klewan" im Kallmann-Museum, Ismaning, Schloßstraße 3b, läuft bis 11. Juni.

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