Malerei:Ticket zur Realitätsflucht

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Aneta Kajzer präsentiert im Kallmann-Museum ihre erste Einzelausstellung. (Foto: Catherina Hess)

Kallmann-Preisträgerin Aneta Kajzer zeigt in Ismaning unter dem Titel "Fließende Wesen" farbenfrohe Bilder, die viel Interpretationsspielraum lassen.

Von Franziska Gerlach, Ismaning

Keine Hexe, nirgends. Nur tiefrote Flächen in Öl, die sich an Weiß und Grün schmiegen. Doch halt! Da schälen sich ja die Züge einer weißhaarigen Frau aus den Farben heraus. Und ist das nicht eine Schlange, die über ihren Kopf hinweg züngelt? "Witching hour" heißt das Bild von Aneta Kajzer, also Hexen- oder Geisterstunde. Die frisch prämierte Gewinnerin des Kallmann-Preises 2022 schmunzelt. Sie habe schon immer eine Affinität zu Geistern verspürt, zeitweise auch ein Faible für Vampire gepflegt. Auch die polnischen Märchen ihrer Oma hätten sie inspiriert, denn in diesen trieben schon mal unheimlichere Wesen ihr Unwesen als die hierzulande üblichen Figuren.

Dem Genre des Horrorfilms dagegen hat Kajzer abgeschworen, seit sie als Stipendiatin in Südkorea ein solcher einmal um den Schlaf gebracht hat. Kajzer ist eine, die den Grusel liebt und fürchtet zugleich. "Schon als Kind wollte ich immer in die Geisterbahn, habe mir dann aber die Augen zugehalten", sagt die 33 Jahre alte Künstlerin. Und vielleicht ist es genau dieses bewusste Auskosten der Ambivalenz, diese unverhohlene Freude am Ungewissen und Rätselhaften, das genüssliche Spiel mit dem Vagen, das ihre Kunst so außergewöhnlich erscheinen lässt.

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"Fließende Wesen" lautet der Titel der Ausstellung, die bis 29. Januar zu sehen ist und natürlich nicht wirklich gruselig ist. Wer sich allerdings einlässt auf den ungewöhnlichen Stil der Malerin, der meint tatsächlich davonzufließen - in eine Realität, in der Krieg und Energiekrise einmal Sendepause haben. Die Schau in Ismaning ist die erste Einzelausstellung der 1989 in Kattowitz geborenen Künstlerin, die in Würzburg aufgewachsen ist und an der Kunsthochschule Mainz studiert hat. Für Rasmus Kleine, den Leiter des Kallmann-Museums in Ismaning, stellt sie "eine besonders spannende Position" in der deutschen Malerei dar, "weil sie das Malerische verbindet mit einer Aussage über das Menschliche".

Das erste Mal sei ihm Kajzers Arbeit bei der Gruppenausstellung "Jetzt! Junge Malerei in Deutschland" im Kunstmuseum Bonn aufgefallen, sagte Kleine bei der Vernissage. Ihre Bilder waren bereits in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen. 2019 verbrachte die Berliner Künstlerin im Zuge des Stiftung-Kunstfonds-Arbeitsstipendiums drei Monate am MMCA Goyang in Südkorea.

Aneta Kajzer malt keine Porträts im eigentlichen Sinne. (Foto: Catherina Hess)

Der Kallmann-Preis war diesmal in der Kategorie Porträt ausgeschrieben. Knapp 400 Bewerbungen sichtete die siebenköpfige Jury in diesem Jahr, in der neben Kleine unter anderem Monika Bayer-Wermuth saß, die Kuratorin des Museums Brandhorst in München. Und weil das Porträt eben auch im Werk von Hans Jürgen Kallmann eine wichtige Rolle spielt, zeigt das 1992 gegründete Museum in Ismaning unter dem Titel "Köpfe der Bundesrepublik" parallel zu Kajzers Arbeiten eine Auswahl an Porträts von berühmten Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Beamtentum und Kunst. Franz Josef Strauß hat Kallmann im Profil erfasst. Berthold Brecht und Konrad Adenauer scheinen den direkten Blickkontakt mit dem Betrachter geradezu zu suchen. Vornehmlich waren es Männer, die Hans Jürgen Kallmann nach dem Zweiten Weltkrieg verewigte. Aktuell sind in Ismaning aber auch Porträts von drei Frauen zu sehen: Eine von ihnen ist die Schauspielerin Therese Giehse, die Kallmann 1972 mit Filzstift auf Papier zeichnete.

"Das ist wie beim Wolkengucken."

Preisträgerin Kajzer hingegen verfolgt in ihrer Malerei einen völlig anderen Zugang zum Menschlichen, sie malt keine Porträts im klassischen Sinne. Klare Konturen, markige Gesichtszüge, die das Leben hinterlassen hat - die möglichst detailgenaue Wiedergabe des Charakteristischen findet bei ihr nicht statt. Die Künstlerin hat sich für den schwierigen Balanceakt zwischen Gegenständlichem und Abstraktion entschieden, ihre Bilder wirken frei und ungezwungen, nahezu absichtslos, und schon aus diesem Grund sollte man willens sein, ein wenig Zeit in die Betrachtung ihrer Kunst zu investieren.

Denn wer sich einlässt auf die farbgewaltigen Kompositionen, die in jüngeren Phasen ihres Schaffens von zartem Rosa, hellem Orange oder freundlichem Türkis abgelöst werden, der wird darin eben nicht nur Farben sehen, sondern auch Kajzers wundersame Wesen. Hunde, Geister, Kobolde, Hexen - nur wenige geben sich eindeutig zu erkennen. "Das ist wie beim Wolkengucken", sagt die Künstlerin. Mal dominiert die Kinnpartie, dann ist nur ein Auge sichtbar, beim nächsten Bild ist es ein zufällig an der Leinwand hängen gebliebenes Pinselhaar, das später zu einem Körperteil wurde.

Kajzers Gestalten wirken finster und fröhlich, grotesk und niedlich und manchmal erinnern sie an Comicfiguren. Was nicht weiter verwundert, wenn man weiß, wie gerne die Künstlerin einmal das Studio Ghibli in Japan besuchen und dort ein Foto mit Totoro machen würde, der kultigen Hauptfigur des Anime-Films "Mein Nachbar Totoro".

Die Künstlerin liebt das Spiel mit dem Grusel. (Foto: Catherina Hess)

Statt an einer Staffelei malt Kajzer auf dem Boden. Meistens, so sagt sie, wisse sie zu Beginn auch noch nicht, welche Seite einmal oben oder unten darstellen werde. Sie fertigt niemals Skizzen an, hat kein fertiges Bild im Kopf. Ihre Kunst ergibt sich quasi aus den Farben heraus, die auf der Leinwand teils stark verdünnt aufeinander treffen. Und gerade mit dieser Offenheit bietet Kajzer dem Betrachter ihrer Gemälde das Beste, was er sich in diesen unsympathischen Zeiten wünschen kann: eine Projektionsfläche für Sehnsüchte, ein Ticket zur Realitätsflucht, eine Auszeit von dieser Welt. Was man mit diesem Angebot anfängt, bleibt wieder einmal jedem selbst überlassen. Kajzer formuliert das so: "Ein Bild ist nicht vorhersehbar. Selbst wenn ich einen Apfel male, sieht jeder etwas anderes darin."

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