Süddeutsche Zeitung

Kälberversteigerung:Spitzenfresser zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten verkauft

Zweimal im Monat wird in Kirchheim versteigert, was es in Deutschland an keinem anderen Ort zu kaufen gibt: junge Bullen des typisch bayerischen Fleckviehs.

Von Christina Hertel, Kirchheim

Alle zwei Wochen holt Paul Overhoff seinen Trachtenjanker aus dem Schrank. Dann macht er sich auf den Weg einmal quer durch Deutschland. Von Lingen in Niedersachsen nach Kirchheim bei München, 800 Kilometer.

Er kommt hierher, um Geschäfte zu machen. Kirchheim ist der einzige Ort in ganz Deutschland, an dem die Ware angeboten wird, die er sucht. Paul Overhoff ist Viehhändler. Mehr als 70 000 Euro wird er an diesem Tag ausgeben - für junge Rinder, die er dann weiterverkauft. Solche männlichen Jungtiere, die etwa ein halbes, dreiviertel Jahr alt sind, werden jeden zweiten Montag in Kirchheim versteigert - von der Mangfalltaler Jungbullen Erzeugergemeinschaft. Jungbullen sagt hier niemand, sondern bloß Fresser: Die Tiere trinken in diesem Alter keine Milch mehr, sondern nehmen schon feste Nahrung zu sich. Nur in Kirchheim kann man sie ersteigern, manchmal mehr als 500 bei einer Auktion. Die Käufer ziehen sie anschließend etwa ein Jahr groß, bis sie schwer genug sind, um geschlachtet zu werden.

Die Auktion hat etwas von Wildem Westen und Cowboys. Die Fresser laufen - mal zu acht, mal zu sechst oder alleine - in eine Manege. Viehtreiber in grüner Arbeitsmontur helfen mit Plastikstöcken schon mal ein bisschen nach, wenn die Tiere nicht weiterlaufen wollen. Auf einem Podest steht der Auktionator - mit Hut, Bart und Mikrofon. "Acht Fresser, Spitzenfresser", ruft er und klingt wie die Kerle, die einen zum Mitfahren im Autoscooter überreden wollen. Bei 800 Euro geht es los. Die Landwirte heben nacheinander ihre weißen Schilder, auf denen eine Nummer steht. Es geht ganz schnell, in Fünfer-Schritten. Und bei 920 Euro ist Schluss, es ist das Höchstgebot an diesem Montag. Doch das ist erst der Preis für einen Fresser - bezahlen muss der Käufer alle, die zusammen einlaufen. Bei acht Tieren macht das mehr als 7000 Euro.

Fest in Männerhänden

Viel Sprechen muss man während der Versteigerung nicht, also fällt Paul Overhoff, der Niedersachse im Trachtenjanker, nicht weiter auf. Er will heute 80 Tiere ersteigern und mit ihm bieten ungefähr 40 Landwirte - die meisten aus Bayern, die meisten Männer mit grauen Schnauzern und weißen Schläfen. Ihr Kleidungsstil ist praktisch - feste Schuhe, Anorak. Das Geschäftliche, das spürt man sofort, liegt fest in ihren Männerhänden. Vier, vielleicht fünf Frauen sitzen noch auf der Holztribüne. Aber die schauen nur zu. Die Szenerie wirkt ein bisschen aus der Zeit gefallen. Und doch kann man hier viel über die moderne Landwirtschaft erfahren.

Der Hof liegt abgeschieden zwischen Feldern. In der Nähe fahren Traktoren und in der Ferne die Lastwagen auf der Autobahn. Bis zur nächsten Wohnsiedlung ist es von hier ein Kilometer. Jeden zweiten Montag werden nachts um vier die Fresser angeliefert - aus ganz Ober- und Niederbayern, aus Höfen, die zwischen 15 und 75 Kilometer weit entfernt liegen. Es ist nicht die erste Reise, die die Tiere hinter sich haben und es wird nicht ihre letzte sein. Schnell nach der Geburt wurden sie verkauft - an Bauern, die sich auf die Aufzucht von Kälbern spezialisiert haben. In Kirchheim bleiben sie nur einen Tag für die Versteigerung, dann geht es weiter zu Landwirten, die sie mästen. Etwas mehr als die Hälfte bleibt in Bayern, der Rest kommt nach Ost- und Norddeutschland.

Landwirte und Geschäftsmänner

Alle Fresser, die in Kirchheim versteigert werden, stammen aus der Erzeugergemeinschaft. Die hat sich schon vor 40 Jahren gegründet, mehr als 30 Höfe in Bayern sind in ihr zusammengeschlossen, es gibt auch eine eigene Tierärztin, die von Stall zu Stall fährt. In Kirchheim ist der zentrale Umschlagplatz für die Tiere. Der Vorteil: Die Verkäufer müssen nicht selbst nach einem Abnehmer suchen. Und die Käufer nicht nach einem Händler. Sie müssen nicht recherchieren, keine Preise vergleichen. Außerdem wird in Kirchheim der Transport organisiert und dafür ein Logistikunternehmen angeheuert. "Damit die Wagen auf dem neusten Stand sind - mit Tränke, Belüftung, genug Platz", sagt Bernhard Schönacher. Er ist der Geschäftsführer der Mangfalltaler Jungbullen EG - seitdem er 23 ist, seitdem sein Vater plötzlich starb. Damals war er vor jeder Versteigerung aufgeregt. Mittlerweile sei das Routine. Wenn die Fresser einlaufen, sagt er manchmal Sachen wie: "So schöne Tiere" - oder er schüttelt nur den Kopf.

Bevor die Versteigerung um 12 Uhr losgeht, gibt es Brotzeit in einer Stube - mit Holzwänden, Holztischen, Holzbänken. Die Männer essen Würste und Leberkäse. Mit der Presse wollen hier viele lieber nicht reden. Die Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit mit den Medien gemacht haben, seien zu schlecht gewesen. Tatsächlich geriet die Landwirtschaft - gerade wenn es um junge Kälber ging - in letzter Zeit immer wieder in die Kritik. "Wegwerfkuh", "Ramschkälber" lauteten die Schlagzeilen. Der Vorwurf: Landwirte würden männliche, schwarz-weiße Kälber bewusst vernachlässigen und - so das Gerücht - sie sogar absichtlich töten. Denn männliche Rinder geben freilich keine Milch, die schwarz-weißen setzen aber auch kaum Fleisch an. Deshalb sind solche Kälber kaum etwas wert - oft nicht einmal 100 Euro. Und das ist weniger als der Tierarzt kostet. Für die Bauern also ein Draufzahlgeschäft.

In Kirchheim werden keine schwarz-weißen Jungbullen versteigert, sondern Fleckvieh. Das ist weißbraun und in Bayern das Standard-Rind, anders als im Norden, wo es eher die schwarz-weißen Tiere gibt. Das Fleckvieh ist sozusagen der Allrounder unter den Rinderrassen: Die Kühe geben viel Milch, die Bullen viel Fleisch. Und deshalb lohnt sich für Leute wie Paul Overhoff der Weg aus dem Norden nach Bayern. Er hat selbst einen Betrieb mit etwa 1000 Rindern. Sein Hauptgeschäft ist aber der Verkauf: Jede Woche verkauft er etwa 1000 Tiere an Landwirte in ganz Bayern. Ohne so eine Spezialisierung, sagt er, gehe es heute nicht mehr in der Landwirtschaft. "Ein Hof mit Kuh, Schwein, Huhn und Hund lohnt sich einfach nicht mehr." Und ohne eine bestimmte Masse werde es schwierig. Theoretisch sei ihm alles eine Nummer kleiner auch lieber. Praktisch müsse sich das Ganze am Ende aber noch rechnen.

Gesunkene Preise für Rindfleisch

Tatsächlich sind die Preise für Rindfleisch laut dem Bayerischen Bauernverband in den vergangenen Jahren zurückgegangen - um etwa 25 Cent pro Kilo Schlachtfleisch. Für ein Kilo bekamen die Landwirte 2016 im Schnitt 3,70 Euro, 2012 waren es noch 3,95 Euro. Hört sich nach keinem großen Unterschied an, ist aber eine Menge: Aus einem Rind lassen sich etwa 410 Kilo Fleisch erzeugen. 25 Cent mehr oder weniger machen bei dem Gewicht etwa 100 Euro pro Tier. Wie der Verfall zustande kommt, ist für die Landwirte in Kirchheim klar: Sie sind von den großen Händlern - wie Aldi, Edeka, Rewe abhängig. Und die drückten den Preis.

Auch Bernhard Schönacher, der Geschäftsführer in Kirchheim, kennt die Zahlen. Er rechnet das Ganze so schnell vor, auf einem weißen Blatt Papier und mit Kugelschreiber, dass einem fast ein bisschen schwindelig wird. Die nächsten Tiere kommen in die Manege. "Acht Fresser, acht Spitzenfresser", ruft der Auktionator wieder. Und man versteht: ein Landwirt muss auch ein Geschäftsmann sein.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2017/belo
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