Süddeutsche Zeitung

Junger Flüchtling:Gefangen in der Bürokratie

Malick Faye aus dem Senegal kann seinen Ausbildungsplatz in Kirchheim nicht antreten, weil er keinen Pass hat. Um den zu bekommen, müsste er nach Paris, Mailand oder Madrid reisen - doch das erlauben die deutschen Behörden nicht.

Von Christina Hertel, Kirchheim

Er habe viel Stress in seinem Kopf, sagt Malick Faye. Der Flüchtling aus dem Senegal sitzt auf einer weißen Couch in einem Wohnzimmer eines Reihenhauses in Kirchheim, dem Zuhause seiner Asylhelferin Brigitte Hartmann, und starrt auf einen weißen Teppich. Draußen ist es grau, drinnen stehen ihm die Schweißtropfen auf der Stirn. Faye ist 23, trägt einen roten Kapuzenpulli und dicke weiße Sneaker. Hartmann war früher Lehrerin und ist heute Rentnerin, eine Frau mit wuscheligem Haar, ganz in rot gekleidet, die im Geiste der 68er sozialisiert wurde, wie sie sagt, und auch heute noch die Dinge nicht einfach hinnehmen möchte, wenn diese für sie keinen Sinn ergeben.

Und so geht es ihr auch mit der Geschichte von Malick Faye: Der 23-Jährige weiß nicht, wie er die Tage füllen soll, sie bestehen für ihn aus schlafen, essen, Fitness, Deutschkurs - dabei könnte er arbeiten und Geld verdienen. Faye hat einen Ausbildungsvertrag bei einer Spenglerei in Kirchheim. Doch ihm fehlt die Erlaubnis, um die Ausbildung zu beginnen, und ein Pass, um diese doch irgendwie zu bekommen.

Seine Geschichte ist eine, die von Bürokratie, Willkür und zerstörten Hoffnungen handelt und eine, die so oder so ähnlich wohl jeden Tag irgendwo in Bayern vorkommt, die Flüchtlinge, Helfer und Unternehmer frustriert und die den Staat viel Geld kostet.

Faye floh 2012 aus dem Senegal, damals war er 17 Jahre alt. Er reiste nach Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen. Von dort brachte ihn ein Boot nach Italien, 2015 kam er in Kirchheim an. Senegal gilt als Musterland in Afrika. Es ist demokratisch stabil, Grundrechte wie Meinungsfreiheit werden gewährleistet. In Deutschland zählt Senegal deshalb zu den sicheren Herkunftsländern.

Die Bleibeperspektive ist gering, trotzdem wird kaum ein Senegalese abgeschoben, denn die Regierung in dem westafrikanischen Land weigert sich, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Gleichzeitig haben senegalesische Flüchtlinge kein Anrecht auf einen Deutschkurs und für sie ist es besonders schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen.

In Kirchheim sei es trotzdem mit viel Aufwand und Hartnäckigkeit gelungen, vier senegalesischen Flüchtlingen eine Ausbildung zu beschaffen, sagt Brigitte Hartmann. Bei Malick Feye allerdings riet eine Mitarbeiterin der Regierung von Oberbayern einen anderen Weg zu gehen: Er sollte in den Senegal ausreisen und danach mit einem Ausbildungsvisum wieder nach Deutschland kommen. Vorher sollte er sich bei der deutschen Botschaft um eine Zustimmung für dieses Procedere kümmern. Dann würde er ohne Probleme auch wieder nach Deutschland einreisen dürfen, so habe es ihnen eine Sachbearbeiterin vermittelt, sagt Brigitte Hartmann.

Das Problem: Faye besitzt keinen Pass - und ohne Pass sei es unmöglich, vorab eine Zustimmung für das Ausbildungsvisum bekommen. Doch ohne will Faye nicht in den Senegal ausreisen - zu groß sei die Gefahr, dass er möglicherweise nicht wieder zurückkehren darf.

Die Botschaft in Berlin hilft ihm nicht weiter

Faye verließ bereits als Jugendlicher sein Land - zuvor, so sagt er es, habe er nie einen Pass bekommen. Freunde im Senegal halfen ihm allerdings dabei, eine Geburtsurkunde zu beschaffen. Mit der fuhr er im Oktober nach Berlin zur senegalesischen Botschaft, um dort einen Pass zu beantragen. Doch die lehnte ab. Er solle zur Passbeschaffung nach Mailand, Paris oder Madrid fahren - das steht auf einem Dokument, das ihm die Mitarbeiter in der Botschaft aushändigten.

Warum er ausgerechnet dort hin soll, ist Faye ein Rätsel - in keiner dieser Städte hat er je gelebt. Er würde die Zeit und das Geld für die Reise auf sich nehmen, sagt Faye. Weil er ohne Pass Deutschland jedoch nicht verlassen beziehungsweise wieder einreisen kann, bräuchte er von der Regierung von Oberbayern eine Erlaubnis für einen Grenzübertritt. Doch auch diese Behörde lehnte ab.

Eine Reise nach Paris sei für den Asylbewerber nicht erforderlich beziehungsweise zielführend, schreibt Kerstin Kerscher, eine Mitarbeiterin der Pressestelle. Der Betroffene könne vielmehr bei der senegalesischen Botschaft in Berlin einen Heimreiseschein beantragen, mit dem er auch ohne Pass in den Senegal ausreisen kann. Nur lässt sich so, ohne Ausweis, keine Vorabzustimmung der Botschaft für das Ausbildungsvisum bekommen. Faye hätte also nichts in der Hand, dass er wieder nach Deutschland zurück dürfte.

Claudia Köhler, Landtagsabgeordnete der Grünen und Gemeinderätin in Unterhaching, brachte selbst 130 Flüchtlinge in Arbeit. Sie sagt, sie erlebe häufig solche Situationen, bei denen es an der Bürokratie oder an dem Willen der Sachbearbeiter scheitert: "Man bekommt den Eindruck, dass die Behörden die Menschen möglichst schnell wieder heimschicken möchten. Dabei geht es nicht um Barmherzigkeit, sondern auch um unsere Wirtschaft."

Tatsächlich findet der Kirchheimer Unternehmer, der Faye einen Arbeitsvertrag für seine Spenglerei ausstellte, niemanden sonst, der Lust auf den Job oder die nötigen Fähigkeiten dafür hätte. Faye machte bei ihm ein paar Tage eine Hospitanz, die Kollegen lobten ihn, er habe das nötige Verständnis für den Job. Im Senegal arbeitete Faye als Fliesenleger.

Köhler hat die Erfahrung gemacht, dass das Landratsamt München bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen weniger restriktiv vorgeht als die Regierung von Oberbayern. Tatsächlich hat das Landratsamt 2018 von neun Anträgen auf eine Ausbildungsgenehmigung alle neun erteilt.

Die Regierung von Oberbayern kann darüber keine Angaben machen. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass diese Bilanz schlechter ausfällt: Die Behörde ist vor allem für Flüchtlinge zuständig, die weniger große Chancen haben, in Deutschland bleiben zu dürfen - etwa Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Menschen, die schon in einem anderen EU-Land registriert wurden oder Geflüchtete, die in einem so genannten Ankunfts- und Rückführungszentrum leben oder gelebt haben.

Dass Flüchtlinge aus dem Balkan zurück in ihr Heimatland reisen und dann von dort mit einem Visum zurückkommen, habe sie ein paar Mal erlebt, sagt Köhler. Bei Senegalesen sei ihr das neu. Tatsächlich kann auch die Regierung von Oberbayern nicht sagen, wie viele Flüchtlinge aus dem Senegal mit einem Ausbildungsvisum wieder zurückgekommen sind. Nennen kann die Behörde nur die freiwilligen Ausreisen: zehn waren es 2018, 2017 circa zwanzig. Köhler beobachtet indes, wie junge Senegalesen, die teilweise sehr gut Deutsch sprechen würden, immer frustrierter werden. "Es ist furchtbar mit anzusehen, wie sie ihre besten Jahre mit Warten vertun, weil sie immer noch hoffen, dass sich irgendetwas verändert", sagt sie.

Bleibt Malick bloß die Hoffnung, dass sich bei der Regierung von Oberbayern doch noch ein Mitarbeiter findet, der die Genehmigung für den Grenzübertritt nach Frankreich erteilt. Sonst kann er nicht zur Passbeschaffung nach Paris.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2018
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