Süddeutsche Zeitung

Junge Poeten:Rhythmus, Reim und Regenschirm

Lesezeit: 3 Min.

Die Junior-Wortakrobaten aus Unterschleißheim gibt es seit 2018. Beim Abend "Poetry und Musik" zeigen sie ihr poetisches Talent mit Hilfe von diversen Accessoires. Die Veranstaltung ist vom "Gleis 1" in die "Heimatliebe" verlegt worden

Von Gudrun Passarge, Unterschleißheim

Wie kreativ die jungen Leute der Junior-Wortakrobaten sind, zeigt eine kleine Übung. Ein Blatt Papier, ein Stift, das Wort Osterglocke, zwei Minuten Zeit. Die Jugendlichen sind konzentriert, ab und zu raschelt eine Hand über das Papier. Danach lesen sie ihre Poesie vor, wie Quirin, mit 18 Jahren der älteste in der Gruppe: "Blüht die Wiese früh am Morgen/ Osterglocken Enzian/ Summt das Feld/ die Bienen bringen/ für des Honigs gold'ne Bahn." Perfektes Versmaß und Reime bei den einen, witzige oder nachdenklich stimmende Ideen bei den anderen. Eine Mischung, so bunt wie der Frühling, so vielschichtig wie das Leben.

Die Gruppe gibt es seit September 2018. Sie entstand eher zufällig, erzählt die Leiterin der Junior-Wortakrobaten, Sophie Kompe. Die 34-Jährige schreibt selbst. Sie hat Kinderbücher verfasst, etwa "Anna auf dem Erdbeerfeld", eine Reimschule für Kinder und sie hat sich beim Poetry-Slam versucht. Anfangs machte ihr das auch Spaß, aber dann, so berichtet sie, habe sie zunehmend die Konkurrenz untereinander und eine kühle Atmosphäre hinter der Bühne als etwas empfunden, dem sie sich nicht länger aussetzen wollte. Deswegen ist sie auch froh, dass sich die Junior-Wortakrobaten zu einem Team entwickelt haben, in dem das Miteinander zählt. Zustande kam die Gruppe anlässlich der Ehrenamtsmesse, die das Landratsamt in Unterschleißheim veranstaltete. Kompe, die für die Nachbarschaftshilfe und das Familienzentrum die Öffentlichkeitsarbeit macht, erkundigte sich nach den Modalitäten und wurde gleich dazu verpflichtet, einen Poetry-Slam-Workshop abzuhalten. Kompe sagte zu, denn sie schreibt und spricht gern. Genau das wollte sie auch den Schülern vermitteln, "die Freude am Sprechen und an der Sprache, fernab vom Deutschunterricht, und es geht auch nicht darum, die Orthografie zu prüfen". Der Workshop war ein großer Erfolg, die Eltern sprachen sie hinterher an, ob sie nicht weitermachen könne. Tatsächlich sind einige der jungen Wortakrobaten von Anfang an dabei.

Die jungen Poeten bereiten gerade wieder einen Auftritt vor, diesmal mit Musikbegleitung von einigen Realschülern. Die Gruppe trifft sich im Jugendhaus Gleis 1. Erstmal werden Pommes bestellt und Getränke, gegessen wird in einem Kellerraum. Die Poeten, sie besuchen bis auf Julius, der aus München-Allach kommt, alle das Carl-Orff-Gymnasium, müssen sich noch die Reihenfolge ihrer Auftritte überlegen, denn am 13. März werden sie ihre Werke präsentieren. Dafür haben sie sich schwarze Hoodies besorgt und Regenschirme, die eine Rolle spielen werden.

Die Auftritte sind eine wesentliche Motivation der Gruppe. Julius, 16, berichtet von einem Führungskräfteseminar bei der Caritas. Die jungen Leute machten sich Notizen, während verschiedene Redner referierten, und sie bauten Situationskomik in ihren Auftritt ein. Julius erinnert sich noch an seinen Schlusssatz: "Bestaunt unsere schönen Pullis und danke für die Gratis-Kulis", er sprach's und zog dabei Kugelschreiber mit Caritas-Aufdruck aus der Hosentasche, die er zuvor eingesteckt hatte. Sophie Kompe lacht. "Julius ist unser Meister des Reims." Der Angesprochene findet indes, dass so ein Reim dazugehöre, egal, ob er sich über etwas lustig macht oder gesellschaftskritisch äußert. Seit Neuestem hat er immer ein kleines Büchlein bei sich, da kann er sofort seine Gedanken notieren. Lucie, 14, dagegen hat es mit der Zettelwirtschaft. Sie arbeitet ohne Reim, dafür mit Wiederholungen. Beispiel Osterglocke: "Mit der Zeit ändert sich alles. Kinder werden geboren / Kinder werden älter/ Kinder hören auf Kinder zu sein. Aber die Glocken hören nie auf zu klingen Menschen finden sich, Menschen verlieren sich. Aber die Glocken hören nie auf zu klingen."

Viktoriya, 17, sagt, sie schreibe manche Texte auch nur für sich. Wie den, den sie jüngst verfasst hat, nachdem sie Menschen auf der Straße beobachtet hat. Bei allen ist der Spaß zu spüren, sich mit Worten auseinanderzusetzen, lautmalerische Bilder zu entwerfen. Für Marie, 17, jedenfalls ist die Zusammenkunft am Mittwoch "das Highlight der Woche". Die Leute in der Gruppe seien zu Freunden geworden. "Wir essen viel Pommes und reden viel miteinander", sagt Gabriel, 14. Das Schreiben laufe eher nebenbei und da finde er es gut, sich kreativ auszuleben. "Ich kann aus Emotionen heraus am besten schreiben, wie Wut, Liebe oder Trauer", sagt Viktoriya. "Ich stehe gerne auf der Bühne", ergänzt Julius. Marie sieht noch einen anderen Vorteil: "Wenn man so viele Gedanken hat, kann man sie mit dem Schreiben in Ordnung bringen und damit abschließen."

Die Junior-Wortakrobaten haben noch einiges vor sich. So sollen sie etwa beim Unterschleißheimer Stadtfest auftreten und auch ein Überraschungsauftritt ist geplant. An diesem Freitag steht erst einmal der Abend "Poetry und Musik - Worte ohne Grenzen" an. Da der ursprünglich vorgesehene Veranstaltungsort, das Jugendkulturhaus "Gleis 1" in Lohhof, allerdings jetzt erst mal bis einschließlich 17. März geschlossen ist - eine Vorsichtsmaßnahme auf Grund der Schließung der naheliegenden FOS/BOS Unterschleißheim wegen des Coronavirus - ist der Poetryabend in die Bar "Heimatliebe" im Ortszentrum verlegt worden. Da wollen die jungen Dichter ihren neuen Namen vorstellen, denn sie wollen nicht länger mit den Wortakrobaten in Unterschleißheim verwechselt werden - in dieser Gruppe haben sich erwachsene Autoren zusammengefunden. Wie sie künftig heißen werden, das wollen die Schüler aber noch nicht verraten. Kreativ wird der Name allemal sein.

Die Veranstaltung "Poetry und Musik - Worte ohne Grenzen" findet am Freitag, 13. März, in der Bar "Heimatliebe", Rathausplatz 7, Unterschleißheim, statt. Beginn ist um 19 Uhr, der Eintritt ist frei.

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Quelle:
SZ vom 13.03.2020
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