Süddeutsche Zeitung

Junge Filmemacher:Aus der Schule geplaudert

Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums in Unterhaching drehen einen Film über das Bildungssystem. Sie können sich sogar Schauspieler leisten.

Von Christina Hertel, Taufkirchen/Unterhaching

Ludwig Unger, der Pressesprecher des Kultusministeriums, schaut mit großen Augen in die Kamera und schweigt - ein paar Sekunden lang. Dabei guckt seine Zunge heraus, seine Haare sind verstrubbelt. Irgendwann atmet er ein und fragt: "Was soll ich jetzt dazu sagen?" Er klingt gereizt. Dabei war er nur gefragt worden, ob ihm der Begriff "Vertretung ohne Lehrer" etwas sage - und zwar von einer Gruppe 15-Jähriger.

Alexander Spöri, Luca Zug, Julian Heiß, Colin Maidment und Lukas Faltenbacher sind zusammen Movie-Jam-Studios. Sie drehen gerade ihren zweiten Film, der im Sommer ins Kino kommt. Er heißt "Das (Bildungs-)System". Mit ihm wollen die Jugendlichen zeigen, wie es wirklich zugeht an Bayerns Schulen und wie es besser laufen könnte.

Der Hobbykeller ist das Studio der fünf Schüler

Alexanders Eltern haben einen Hobbykeller in Taufkirchen. Er ist das "Studio" der fünf Schüler, hier schneiden sie ihre Filme, auch wenn man das dem Raum erst einmal gar nicht ansieht. Poster von den FC-Bayern-Spielern Thomas Müller und Franck Ribéry hängen an der Wand. Ein riesiger Flachbildschirm steht herum, ein Sofa und ein Computer. Es ist ein bisschen dunkel - Keller eben. Um zu erkennen, was die Fünf hier machen, muss man schon genau hinschauen. An eine Pinnwand haben sie ihr Konzept gehängt. "Szenischer Einstieg" steht auf einem kariertem Blatt. Daneben "Opening Title" geschrieben mit Kugelschreiber in Jungsschrift.

Bis auf Lukas Faltenbacher gehen alle in die neunte Klasse des Lise-Meitner-Gymnasiums in Unterhaching. Schule, das ist für sie, wie wohl für die meisten Jugendlichen, ein Reizthema. "Aber wenn sich keiner beschwert, wird sich auch niemals was ändern", sagt Luca. Also beschweren sie sich jetzt und zwar heftig. Vertretung ohne Lehrer ist dabei nur ein Punkt.

Was ist, wenn der Lehrer krank ist und es keinen Ersatz gibt?

"Also das steht immer dann auf dem Vertretungsplan, wenn ein Lehrer krank ist und es eigentlich keinen Ersatz gibt", erklärt Luca. Die Schüler dürfen dann aber nicht einfach heimgehen, sondern sie müssen im Klassenzimmer warten - bis die nächste Stunde beginnt oder die Schule offiziell vorbei ist. Kontrolliert werde das aber nicht. "Im Erdkundeunterricht schauen wir Videokassetten", sagt Julian. "Die Fakten stimmen bei denen bestimmt schon lange nicht mehr. Abgefragt werden sie trotzdem."

Mit solchen Beispielen wollen sie die Zuschauer zum Lachen bringen. Trotzdem soll es kein Quatsch-Film werden, der bloß die Lehrer aufs Korn nimmt. Eigentlich geht es den Schülern um die großen Themen: Pisastudie, G 8, Chancengleichheit. Dafür führten sie Interviews mit Direktoren, Politikern, Bildungsexperten und mit Vertretern des Kultusministeriums. Insgesamt zehn Stunden Material haben sie schon gesammelt. Abgeschlossen sind die Dreharbeiten noch nicht ganz. Momentan warten sie auf Antwort von Kultusminister Ludwig Spaenle. "Hundertprozentig hat er noch nicht zugesagt, aber mal sehen", sagt Luca. Er hat dunkle Haare und dunkle Augen, sein Lachen ist breit und für seine 15 Jahre wirkt er ziemlich selbstbewusst. Aber das sind eigentlich alle in der Gruppe.

Ihren ersten Spielfilm drehten Alexander und Luca schon in der dritten Klasse. Es ging um eine Entführung. Alexander erzählt die Geschichte viel zu schnell und viel zu kompliziert. Schon noch ein paar Sätzen unterbricht ihn Luca. Das Ganze ist ihm wohl etwas peinlich. "Wir waren jedenfalls total stolz drauf und wollten weitermachen." Also produzierten sie in der siebten Klasse eine Dokumentation über die NSA-Affäre und vergangenes Jahr eine über das Olympiaattentat 1972.

Der Film über das Oympiaattentat 1972 war ein kleiner Durchbruch

Dieser Film war für die Schüler sozusagen ein kleiner Durchbruch. Er wurde im Kino gezeigt und erhielt vor Kurzem beim Filmfestival "Flimmern & Rauschen" einen Preis als Münchens zweitbester Jugendfilm 2016.

Noch während der Dreharbeiten dazu lernten die Fünf auf Facebook den Filmemacher Rodney Sewell kennen. Er dreht schon seit mehr als 30 Jahren Filme unter anderem für ARD und ZDF. Für die Jungs ist er so etwas wie ein Mentor. Für den Feinschnitt dürfen sie sein professionelles Studio benutzen. Er hat ihnen gezeigt, wie das Schnittprogramm funktioniert und wie sie mit so viel Filmmaterial überhaupt umgehen sollen.

Bis zur Premiere am 24. Juli gibt es noch viel zu tun. Außer dem Trailer (http://bildungssystem.moviejam.de) ist noch nichts geschnitten. Und für den Beginn des Films wollen sie noch eine gespielte Szene drehen, in der ein Schüler seinem Direktor erklärt, dass er die Schule hinschmeißen will. Wer das spielen soll? "Na ein Schauspieler", sagt Luca.

Wegen des Titelsongs haben sie bei Peter Gabriel angefragt

"Ein erwachsener, professioneller Schauspieler." Luca meint das völlig ernst. Schließlich haben sie eine 1000-Euro Filmförderung bekommen. Davon könnten sie einen Schauspieler engagieren. Beim vergangenen Film genügte es aber, dass sie die Anfahrt aus Duisburg bezahlten. "Wir schreiben die Leute einfach an und nach zehn Mails bekommt man schon eine Antwort."

Für ihren Titelsong haben sie übrigens bei Peter Gabriel angefragt. Sie würden gerne seinen Song "Big Time" verwenden. Das Lied ist eine kleine Kampfansage. Es handelt davon, wie er aus der miefigen Kleinstadt in die große Welt hinauszieht, weil er es allen zeigen will. Er wird Erfolg haben - ein großes Auto, ein großes Haus, ein dickes Konto.

Für die Premiere am 24. Juli im Mathäser Filmpalast in München können unter www.moviejam.de/fuer-bildungssystem-premiere-reservieren/ Karten reserviert werden.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2016
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