Julian Nida-Rümelin:Der Selbstbewusste

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Warum der Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin nicht mehr davon träumt, OB von München zu werden, sich aber ein Comeback in der Bundespolitik durchaus vorstellen kann.

Peter Fahrenholz

Wenn der Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin im September in München einen großen Philosophen-Kongress eröffnen wird, könnte er gut und gerne am eigenen Beispiel in das Thema einführen. Denn die 400 Philosophen, die für fünf Tage in München zusammenkommen werden, beschäftigen sich mit der "Welt der Gründe". Kurz gesagt, geht es dabei darum, dass es für alles Gründe und Gegengründe gibt. Und ob diese Gründe logisch sind oder nicht, ob sie rational sind oder auf mentalen Prozessen beruhen, ob sie objektiv oder subjektiv sind - das ist ein höchst komplexes Feld.

"Es läuft wunderbar": Julian Nida-Rümelin fühlt sich momentan sehr wohl in seinem Beruf als Philosophie-Professor. Dass er eines Tages aber noch einmal in die Politik geht, will er nicht ausschließen. (Foto: Stephan Rumpf)

So komplex wie die Gründe, Gegengründe und Hintergründe, die mit der Frage zusammenhängen, in welchem Maß der Philosoph Nida-Rümelin ein denkbarer Nachfolger von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude gewesen wäre und warum er es jetzt nicht mehr ist. Nida-Rümelin hat sich kurz vor Weihnachten aus dem Rennen der möglichen Kandidaten genommen, und er hat dies in dieser Woche noch einmal bekräftigt.

Aber hat er damit eigentlich überhaupt nein gesagt? Für Julian Nida-Rümelin ist eine OB-Kandidatur immer nur "eine Option" gewesen. Und insofern hat er jetzt auch nicht nein gesagt, ganz einfach, weil er vorher auch nicht definitiv ja gesagt hat. Sondern er hat aus seiner Sicht die Gründe nebeneinander gelegt, die für und gegen eine Kandidatur sprechen.

Und weil Julian Nida-Rümelin ein Mann ist, dem es weder an Selbstbewusstsein noch an der Fähigkeit gebricht, sich selbst ins rechte Licht zu rücken, legt er Wert auf die Feststellung, dass ein Grund ganz bestimmt nichts mit seinem Rückzug zu tun hat. Dass er sich nämlich keine Chancen mehr ausgerechnet habe. Das sei "eine massive Fehleinschätzung". "Wenn morgen SPD-Parteitag wäre und Reiter, Reissl und ich anträten, würde ich vermutlich gewinnen, das schätze nicht nur ich so ein", sagt Nida-Rümelin. Und unterstreicht es mit einer Geste, die ausdrückt, dass der Sieg eher deutlich ausfallen würde.

Ude will "Schwergewicht" als Nachfolger

Wer sich in der Münchner SPD zu Nida-Rümelin umhört, bekommt, wie man heute so sagt, ein durchaus positives Feedback. Gewiss, die politische Ochsentour war nie sein Ding, um ein Mandat hat er sich nie bemüht. Aber er hat durchaus Parteifunktionen übernommen, war Vorsitzender eines Kreisverbandes und für mehrere Jahre auch stellvertretender Münchner SPD-Chef. Und dass einer, der von Berufs wegen schwer verständliche Bücher schreibt, die Titel tragen wie Kritik des Konsequentialismus oder Strukturelle Rationalität, bei Veranstaltungen so anschaulich und allgemeinverständlich formulieren kann, dass es jeder versteht, das hat den Genossen an der Basis schon immer gefallen.

Warum also der Rückzug? Wo doch Christian Ude selber ausdrücklich ein "Schwergewicht" als Nachfolger gefordert hat? Julian Nida-Rümelin hat, wie er selber sagt, seine Bereitschaft immer an Bedingungen geknüpft. Die wichtigste davon war, dass eine zweite Amtszeit möglich sein müsse. Er wäre bei der Wahl 2014 fast 60, im Jahr 2020 dürfte er kein zweites Mal mehr antreten, weil er die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten hätte.

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Das ist zweifellos ein plausibler Grund. Neu ist er indes nicht, das Geburtsdatum des möglichen Kandidaten Nida-Rümelin ist kein Geheimnis, und ob der Landtag die Altersgrenze irgendwann heraufsetzt, ist ungewiss.

Aber die Welt der Gründe ist eben sehr komplex. Es gibt Gründe, die offen zutage liegen. Und es gibt Gründe, die sind verborgen, werden auch nicht offen kommuniziert. Es sind eher Schwingungen, die einer wahrnehmen muss. Und die Udologen in München haben spätestens seit dem Sommer die Schwingung wahrgenommen, dass die Begeisterung des Oberbürgermeisters für Nida-Rümelin, der lange als sein Wunschnachfolger galt, nachgelassen hat. "Es gab da eine gewisse Abwendung", sagt einer aus dem engeren Zirkel.

Sie könnte auch mit einem Alleingang Nida-Rümelins zu tun haben, den die meisten in der SPD bis heute nicht verstehen. Er hatte im Frühjahr zum Präsidenten der Münchner Universität kandidiert und gegen den erfolgreichen und allgemein hoch geschätzten Amtsinhaber Bernd Huber verloren. Bei der Wahl bekam Nida-Rümelin nur die Stimme der Studentenvertreter. Von der aussichtslosen Kandidatur habe keiner gewusst, sagt ein hochrangiger Münchner SPD-Mann, sie sei "eine Eselei" gewesen.

Nida-Rümelin sieht das ganz anders. "Das war völlig richtig", sagt er. Sein Ziel sei es gewesen, die Studienbedingungen zu verbessern. Und auf Grund seiner Kandidatur sei es zu einer massiven Veränderung der Studienordnung in vielen Fächern gekommen, er habe sein Ziel also erreicht. "Ich wollte ein Signal setzen, und dieses Signal ist angekommen", sagt er und hebt hervor, wie sehr sich die Studenten für ihn eingesetzt hätten. Dass eine Niederlage auch ein Sieg sein kann, wäre wahrscheinlich wieder ein Thema für einen Philosophen-Kongress.

"Ich bin ja nicht irgendein Nischenprofessor"

Dennoch hängen die Präsidenten- und die Kandidatengeschichte irgendwie zusammen. Nida-Rümelin hat möglicherweise gemerkt, dass man seine akademische Karriere nicht so leicht vorantreiben kann, wenn man zugleich als möglicher OB-Kandidat gehandelt wird. Es könnte ja sein, dass einige an der Uni ihn auch deshalb nicht gewählt haben, weil sie seinen baldigen Absprung fürchten mussten. Vielleicht hat Nida-Rümelin auch deshalb die Notbremse gezogen. Er könne nicht jahrelang als Kandidat durch die Medien gehen, sagt er, "ich bin ja nicht irgendein Nischenprofessor".

Und dann gibt es auch noch die persönliche Komponente. Oberbürgermeister, das sei schon ein "hochattraktives Amt", gibt Nida-Rümelin zu - einerseits. Andererseits ist es ein Amt mit unzähligen Verpflichtungen. Ob ihm das überhaupt gefallen hätte? Nida-Rümelin hat zwei kleine Mädchen, vier und sieben Jahre alt. Als Professor hat man Freiheiten, die die meisten anderen nicht haben. "Ich kann auch mal zwei Tage mit den Kindern in die Berge fahren", sagt er. Als Oberbürgermeister ginge das nicht mehr.

Julian Nida-Rümelin ist keiner jener weltfernen Professoren, die in ihrem Elfenbeinturm leben; er ist ein politischer Mensch. Aber ins Raster der Parteipolitik passt er nicht. Schon gar nicht in der SPD, wo man es mit Paradiesvögeln nicht so hat, sondern eher eine solide Graumäusigkeit schätzt. Nida-Rümelin ist ein Wanderer zwischen den Welten. "Mein Leben hatte immer die zwei Pole", sagt er, "Politik und Wissenschaft".

Im Moment geht es ihm am Wissenschafts-Pol ziemlich gut. "Es läuft wunderbar." Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Philosophie und als solcher für die Ausrichtung des Philosophen-Kongresses verantwortlich. Und weil Nida-Rümelin eben nicht nur ein gut aussehender Professor ist, sondern stets das Politische im Auge hat, soll der Kongress nicht so ablaufen wie andere.

Nida-Rümelin will die Anwesenheit von 400 Philosophen nutzen, um das Interesse der Bürger an tieferen Fragen zu wecken. "Philosophie in der Stadt" heißt der Programmpunkt. Schulen, Kulturvereine oder andere Institutionen können sich an seinem Lehrstuhl melden, sie könnten dann einen der Kongressteilnehmer als Gesprächspartner vermittelt bekommen. "Es gibt bereits konkrete Wünsche", sagt Nida-Rümelin. Er selbst wird in nächster Zeit nicht so viel in München sein, sondern viel Zeit unter südlicher Sonne verbringen können - dank eines dreimonatigen Lehrauftrages in Cagliari auf Sardinien.

Das alles heißt freilich nicht, dass der andere Pol, die Politik, nicht irgendwann wieder angesteuert werden könnte. Nida-Rümelin ist Mitglied im SPD-Bundesvorstand, er hat von Wolfgang Thierse den Vorsitz der Grundwertekommission übernommen, in der SPD-Welt eine wichtige Institution. Auf Bundesebene ist er gewissermaßen der ranghöchste Münchner Sozialdemokrat.

Und er ist einer der wenigen Intellektuellen, mit denen die SPD renommieren kann. "Es ist ja ganz klar, dass ich mich für das Thema Wissenschafts- oder Bildungspolitik interessiere", sagt er. Eine Rückkehr in die Bundespolitik, das würde ihn reizen. "Vielleicht ergibt sich ja noch mal die Möglichkeit, mitzumachen", sagt er.

© SZ vom 29.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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