Süddeutsche Zeitung

Jugendkulturhaus "Gleis 1":Melancholie in Mundart

Lesezeit: 3 min

In seinem Programm "Herbstwindwischpara" präsentiert Norbert Göttler, begleitet von der Sängerin Kathrin Krückl und dem Gitarristen Martin Off, wehmütige und humorvolle bairische Gedichte in Unterschleißheim

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Schwellenzeit, Zeit der Veränderung, Abgesang, Melancholie, Herbst. Das Bewusstsein von der Vergänglichkeit allen Seins kriecht in die Seele wie ein Novembernebel. Die Tage werden kurzatmiger, das Licht milchiger, die alten Eichen muten im Nebel wie "graue Eminenzen" an. Oder um Norbert Göttlers mundartlicher Diktion näher zu kommen: die Wolken werden "gwamperter, die Bleamal verwelken, die Zeit stirbt schwaar" (schwer).

Göttler, Schriftsteller, Regisseur und Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, stellte am Donnerstag im Unterschleißheimer Jugendkulturhaus "Gleis 1" sein Buch "Herbstwindwischpara" mit bairischen Gedichten vor - begleitet von der Sängerin Kathrin Krückl und Gitarrist Martin Off, war die musikalische Lesung gleichzeitig auch der (Indoor-)Auftakt der Kulturspielzeit in der Stadt. Rund 30 Besucher lauschten den Worten des gebürtigen Dachauers, der nicht nur aus seinen Gedichten las, sondern auch über spezielle Wortbedeutungen sowie historische und kulturelle Hintergründe erläuterte und zudem die Frage nicht umging, wie sinnvoll es überhaupt sei, im Dialekt zu dichten.

Eine wahnsinnig lange Tradition dazu gebe es nicht, erklärte er, erst im 19. Jahrhundert hätten auch bayerische Schriftsteller, etwa Franz von Kobell, angefangen, mundartliche Poesie zu schreiben. Ein wesentliches Problem ist natürlich, dialektale Ausdrücke in schriftliche Form zu gießen, klare Regeln gibt es nicht. Dass mundartliche Ausdrucksweise bei manch Edelfeuilletonisten oder Bildungsbürger noch immer Naserümpfen hervorruft, ist bei aller jüngeren Aufwertung des Dialekts nicht selten und kommt hinzu. Freilich könnte man denen Goethes gern zitierten Spruch entgegenhalten: "Der Dialekt ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft."

Göttler, der nicht zuletzt in seinem Amt als Bezirksheimatpfleger immer wieder sowohl mit den negativen Facetten des Sepplbayerntums als auch dem "Mia san-Mia"-Bewusstsein konfrontiert wird, schätzt genau das: dass man im Dialekt gewisse Dinge viel plastischer, farbiger, unmittelbarer auszudrücken vermag. Und bei seinem kultivierten bairischen Zungenschlag sind selbst derbere Wörter nicht zu viel für sensible Ohren.

"Es kippt gerade", sagte er, "es verändert sich was". Der Bruch der Jahreszeiten, der Übergang zu stilleren, dunklen Tagen, zeitigt Wehmut und Nachdenklichkeit - so ist der Herbst mit seinem "Memento Mori"-Charakter eine Lieblingsjahreszeit für Lyriker. Freilich ging es in Lohhof nicht nur um den "Doud" (Tod) oder nahende "Wintergspenster", wobei das bairische Timbre Göttlers schon besonders gut mit dem melancholisch-philosophischen Inhalt korrespondiert, der einige seiner Gedichte auszeichnet. Der Herbst wird bei ihm aber schon auch in seinen bunten Farben zelebriert, man bekommt als Zuhörer quasi einen Drehwurm vom Flirren der Ahornblätter, der Herbstwind wischpert und dreht sich um sich selbst wie ein Chopin-Walzer, und beim Feiern hat keiner Lust, "z'haus zu gehen".

Atmosphärisch wunderbar dazu passend sind die musikalischen Beiträge von Krückl und Off. Die beiden haben etliche von Göttlers Gedichten vertont, teils die Verse eins zu eins übernommen, oder auch mehrere Gedichte zu einem Liedtext verwoben. Krückls warmes Timbre entfaltet nicht nur eindrücklich die klanglich-dunkle Schönheit des Bairischen, sie überzeugt auch mit kraftvoller Stimme in der Höhe. Dabei dialogisiert sie schön mit der leisen Melancholie der Gitarre. Während bei Liedern wie "Nachtspaziergang" oder "Kloa beigeben" (da geht es um den Sommer!) naturgemäß meist die Sängerin dominiert, zeigt Off auch sein Können bei zwei Solostücken für Akustik- und Lap-Steel-Gitarre, die horizontal auf dem Schoß gespielt wird. Sehr schön ist auch das poetische Zwiegespräch zwischen Sommer und Herbst, dass die beiden klangvoll inszenieren.

Auch wenn es ein Gedichteabend ist, gereimt wird bei der Veranstaltung insgesamt eher selten. Ausnahmen sind ein paar-bairisch-französische Wortpaare, die Göttler vorträgt, wie "Potschamperl, drauf auf Stamperl". Wer es nicht weiß: Potschamperl kommt von Pot de chambre, und bedeutet Nachttopf. Man erfährt auch, was genau "hoibscharig" bedeutet, das kommt nämlich von der Pflugschar, die der Bauer früher mit ganzer Kraft in den Ackerboden drücken sollte, und nicht nur halb. Mitunter wechselt Göttler auch in standardsprachliche Prosa und erklärt die existenzialistische Tiefe, die in manch bairischem Volksbonmot steckt ("Denk dir nix"), aber auch entlarvend-boshaft die Herkunftsvielfalt des scheinbar so homogenen Stammes.

Wer übrigens das Streitgespräch zwischen Sommer und Herbst gewonnen hat? Nun, "im Winter gehören beide der Katz".

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SZ vom 26.09.2020
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