Jonathan Franzen in München:Die Freiheit nimmt er sich

Das Publikum verehrt ihn wie einen Filmstar: In der ausverkauften Aula warten 850 Fans auf den Auftritt des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen. Der gibt sich charmant. Und offenbart Persönliches.

Christian Mayer

Offenbar ist der deutsche Literaturbetrieb eine ermüdende Sache, er beansprucht Körper und Geist, und wenn man dann noch ein so begehrter, hochverehrter Autor ist wie Jonathan Franzen, geht die Arbeit am Leser manchmal in die Knochen. Es ist Montagabend in der Ludwigs-Maximilians-Universität, Rektor Bernd Huber wartet im schwarzen Anzug im Lichthof auf seinen Ehrengast. Wo ist Franzen?

Jonathan Franzen in München: Erst wirkt er unbeholfen, aber das ist nur Show: Der amerikanische Autor Jonathan Franzen bei seiner Lesung in der Ludwigs-Maximilians-Universtität.

Erst wirkt er unbeholfen, aber das ist nur Show: Der amerikanische Autor Jonathan Franzen bei seiner Lesung in der Ludwigs-Maximilians-Universtität.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Autor nimmt sich die Freiheit, mal kurz von der Bildfläche zu verschwinden; er hat sich eingeschlossen im Nebenzimmer, um ein Nickerchen zu machen, ausgestreckt auf einer Tischplatte. Schuld ist die Frankfurter Buchmesse - zu viele Menschen, zu viele Kameras, zu viele Einladungen. Dabei ist dieser Abend an der LMU erst der Anfang einer Lesereise, die Franzen nach Berlin, Köln und Hamburg führen wird.

Seit der Veröffentlichung der "Korrekturen" hat er auch in Deutschland eine feste Fangemeinde. 850 Franzen-Liebhaber sitzen in der ausverkauften Großen Aula.

Ein schüchternes Lächeln, ein Räuspern, eine angedeutete Verbeugung, Franzen zieht sich das Sakko aus, und er wirkt zunächst etwas unbeholfen, aber da darf man sich nicht täuschen. Franzen beherrscht die ganze Show, er ist ein Profi des Betriebs, und er traut sich was. Es ist dreißig Jahre her, dass er als amerikanischer Germanistikstudent in München die Klassiker und das Leben studierte, viel Goethe, möglichst wenig Schiller (Franzen fand ihn nervig und viel zu pompös), vor allem das bayerische Bier.

Seitdem ist er der Sprache treu geblieben - auch diese Lesung bestreitet er fast vollständig auf Deutsch, wobei sich im Lauf des Abends herausstellt, dass dies durchaus ein Kampf ist. "Ich muss lesen", sagt er, der Meister der Mehrdeutigkeit. "Ich fühle mich ein bisschen wie ein Hund auf einem Fahrrad mit der deutschen Sprache. Es macht Spaß, das anzusehen." Ein Seufzer. Und noch ein Schluck Wasser.

Jonathan Franzen liest das Kapitel, in dem die Hauptfigur Patty ihren Eltern von der Vergewaltigung im College berichtet. Es ist eine beklemmende, geradezu groteske Situation, weil die Eltern der jungen Frau eigentlich gar nichts davon wissen wollen: Der Vergewaltiger ist nämlich der Sohn eines demokratischen Parteifreundes, also spricht die Mutter ganz seltsam falsche Sätze aus, um ihre Tochter davon zu überzeugen, dass alles nicht so schlimm ist. Das Unglück der Hauptfigur steht schon früh fest.

Franzen ist ein gewissenhafter Psychologe der amerikanischen Gegenwart und Tiefenanalytiker seiner eigenen Figuren, das macht das Vorlesen in einer fremden Sprache nicht leichter. Gleichwohl ist es fabelhaft, wie er den Dialog zwischen Tochter und Mutter vorträgt - so wird ein Bühnendrama daraus, bei dem er nur gelegentlich stolpert, etwa beim Versuch, "nachäffen" auszusprechen oder das heimtückische Wort "Zündschloss".

Nach einer Dreiviertelstunde ist der Autor sichtlich erschöpft, aber da warten noch Fragen auf ihn, die Leser der Süddeutschen Zeitung in einer gemeinsamen Aktion mit dem Literaturhaus eingeschickt haben. Es ist nicht gerade leicht, einem hintersinnigen Wortkünstler wie Franzen, der durch das Stahlbad unzähliger Interviews gegangen ist, hintersinnige Fragen zu stellen. Ein paar Versuche schmettert er brüsk ab, dafür beantwortet er charmant alle Fragen über Vögel.

An dieser Stelle, die seine zweite Leidenschaft neben dem Schreiben betrifft, wechselt er doch mal ins Amerikanische: Wie gerne wäre er ein Rohrvogel, ein schwereloses Luftgeschöpf, das ohne Besitz, ohne Erwartungen über den Dingen kreist - "ein Adler oder Falke wäre schon wieder zu sehr wie ein Mensch."

Der Mensch Franzen musste sich eine "dicke Haut" zulegen, wie er erzählt. Ein "gewisser Selbstbetrug" sei einfach notwendig, wenn man den eigenen Erfolg überleben will - zum Beispiel die Ehre, als Großintellektueller auf dem Cover von Time oder auf dem Sofa von Oprah Winfrey zu posieren. Noch ein Versuch: Wie halten Sie es, lieber Herr Franzen, mit dem elektronischen Buch? Große Entrüstung, Augenrollen. "Sehe ich aus wie ein Mensch, der ein iPad hat? Das ist das Problem anderer Leute, ein großes Nichts - ich suche Substanz in der Literatur."

Die Substanz liegt in seinen Büchern, deshalb signiert Franzen nach der Lesung noch anderthalb Stunden lang seinen Roman. Für jeden Leser hat er noch ein wenig Zeit, ignoriert aber elegant die Zettel mit Handynummern, die ihm zugesteckt werden. Am Ende haben ein paar hundert Fans sein Autogramm. Der Schriftzug sieht aus wie ein Schmetterling.

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