Johanniter:Das Ehrenamt ist für alle da

Johanniter: Nancy Kestler und ihr Kollege Reza Bagherzadeh werben um Mitglieder mit Migrationshintergrund.

Nancy Kestler und ihr Kollege Reza Bagherzadeh werben um Mitglieder mit Migrationshintergrund.

(Foto: Jakob Berr)

Hilfsdienst wirbt um Migranten - um diese zu integrieren und Lücken im Helfernetz zu schließen

Von Sophie Kobel, Ottobrunn/Hohenbrunn

Nancy Kestler, 41, trägt ihre rot-weiße Einsatz-Uniform, ihr Kollege Reza Bagherzadeh, 18, Jeans und blaues Hemd. Beide sind ehrenamtlich bei den Johannitern. Durch ihre Kleidung möchten sie zeigen: Johanniter zu sein, bedeutet nicht automatisch, in Einsatzfahrzeugen zu sitzen. Hausaufgabenhilfe oder die Arbeit mit Tieren und Senioren sind ebenfalls wichtige Bereiche der Hilfsorganisation, die meist für ihre Unfallhilfe bekannt ist.

Die beiden Ehrenamtlichen vom Ortsverband Ottobrunn-Riemerling haben noch mehr gemeinsam als ihr Ehrenamt: Sie haben beide ausländische Wurzeln. Und besonders solche Helfer möchten die Johanniter in Zukunft verstärkt einsetzen. Bis 2019 will das Hilfswerk in Bayern 300 weitere Freiwillige mit Migrationshintergrund engagieren, so wünscht es sich auch das Staatsministerium für Inneres und Integration. "Wir merken, dass sich der Urbayer am ehesten ehrenamtlich engagiert. Aber das Ehrenamt ist für alle da, deshalb wollen wir aktiv rausgehen", sagt Gerhard Bieber, der Pressesprecher des Münchener Regionalverbandes der Johanniter.

Nancy Kestler ist in Guatemala geboren, nach Garmisch kam sie mit 21 Jahren. Bei den Johannitern arbeitet sie als Ehrenamtskoordinatorin. "Als ich hier hergezogen bin, hatte ich auf einmal keine Großfamilie mehr um mich herum", erklärt sie ihr Engagement. "Der Halt der vielen kleinen sozialen Aufgaben hat mir oft gefehlt." Schnell sei ihr aufgefallen, dass Ehrenämter in anderen Kulturen eher privat und innerhalb der Familien ausgeübt werden. "Für manche Kulturkreise ist das Ehrenamt wie wir es kennen neu. Manchmal rufen ausländische Eltern hier an und fragen, was ihre Kinder denn überhaupt bei uns machen."

Um zukünftigen Helfern mit Migrationshintergrund den Einstieg zu erleichtern, gibt es seit April einen bayernweiten Online-Ehrenamtsfinder. "Man gibt dabei verschiedene Dinge an: Wo wohnt man? Möchte man lieber drinnen oder draußen sein? Hat man einen Führerschein? Ist man minderjährig? Will man mit Tieren, Senioren, Kindern oder doch im Sanitätsdienst arbeiten? Wie viel Zeit hat man überhaupt?", erklärt Johanniter-Sprecher Bieber das System auf www.bring-dich-ein.de, mit dem Helfer für das breite Netz an Angeboten gefunden werden sollen.

Ist das richtige Ehrenamt gefunden, finden Schulungen durch Mentoren statt, die oftmals selbst einen Migrationshintergrund haben. Sie helfen neuen Mitgliedern, in die Aufgaben hineinzufinden. Wichtig ist dabei auch der sensible Umgang mit neuen Themen. Zum Beispiel der Frage: Wie gehen andere Kulturen mit Trauer um?

Bagherzadeh kann sich selbst gut vorstellen, wieso Menschen mit Migrationshintergrund oft Hemmungen haben, sich ehrenamtlich zu engagieren. Sein Vater kam aus dem Iran nach München. "Viele Ausländer haben Sprachprobleme oder vieles um die Ohren, um das sie sich erst einmal kümmern müssen. Wir müssen die Leute mit unseren Projekten direkt ansprechen." Er selbst kam durch seine Schwester zu den Johannitern und engagiert sich im Sanitätsdienst, seit er 16 Jahre alt ist. Hauptberuflich arbeitet er bei Siemens im Außendienst. "Ich finde es schön, mit Leuten zu reden und nicht immer vor Geräten zu stehen."

Ein Meilenstein für die Johanniter in München war das Jahr 2015. Als Tausende Flüchtlinge am Hauptbahnhof ankamen, meldeten sich besonders viele junge Menschen bei dem Verein. "Die Leute waren da, sie wollten helfen. Das war für uns eine wichtige Erkenntnis. Wir dürfen Freiwillige nicht verschrecken, indem wir ihnen den Einstieg schwer machen." Fahndungszeugnis, Verschwiegenheitserklärung, Datenschutzerklärung, Mitgliedsantrag - das schreckt schon Deutsche schnell ab, vor allem Menschen mit Sprachbarrieren.

Eben diese aufwendigen bürokratischen Strukturen werden in der Zukunft mehr und mehr vereinfacht, ist sich Kestler sicher: "Denn eigentlich ist das Ehrenamt eine der schönsten Gelegenheiten, um die Kultur, Sprache und Struktur einer neuen Gesellschaft kennenzulernen."

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