Joe Jackson in München:"Berlin ist cool"

Vor zehn Jahren schrieb er seine Memoiren, am Sonntag spielt er in der Muffathalle: Joe Jackson über musikalische Moden, politische Macht und warum er lieber im Trio als solo auftritt.

Michael Zirnstein

Joe Jackson ist mit 56 Jahren immer noch ein Rastloser. Er wohnt eigentlich in Berlin, aber auch in seiner Heimat England und in den USA, dazwischen reist er unermüdlich von Konzert zu Konzert. "Verrückt" sei das Musikerleben, aber auch "großartig", sagt er beim Interview in Rouen, gerade aufgewacht im Hotelzimmer, nachmittags um drei. So pendelte Jackson, der nach einer von Lieblosigkeit und Asthma geplagten Jugend an der Royal Academy of Music in London Komposition studierte, auch zwischen den Stilen: Rock, New Wave, Blues, Jive, Punk, Klassik, Soul. Gerade spielt er wieder mit alten Freunden aus den siebziger Jahren im Trio (am Sonntag, 14. November, in der Münchner Muffathalle).

KONZERT JOE JACKSON

Vor zehn Jahren schrieb Jackson seine Memoiren, die zu dem Zeitpunkt enden sollten, als er sein erstes Album aufnahm. Wie immer kam alles anders.

(Foto: dpa)

SZ: Ihrem ersten Hit "Is she really going out with him" haben Sie auf Ihrem frühen Live-Album als Rocknummer, a Capella und akustisch mit Akkordeon veröffentlicht. Können Sie sich inzwischen für eine Version entscheiden?

Joe Jackson: Die Versionen waren alle so verschieden, da dachte ich, das ginge schon in Ordnung. Aber, nein, ich habe keine Lieblingsversion. Das Stück ist wie ein Bruder. Wie jemand, der immer da war.

SZ: Sie zogen vor drei Jahren nach Berlin, wohnen aber auch in Portsmouth und New York. Was ist Ihre erste Adresse?

Jackson: Wenn ich das nur wüsste! Genau das versuche ich ja herauszufinden. Unglücklicherweise kann ich manche Orte nicht vollkommen hinter mir lassen. Portsmouth ist meine Heimatstadt, in New York habe ich sehr lange gelebt und mir viele Kontakte aufgebaut, und Berlin liebe ich - so lange es sich nicht zu sehr verändert. Dann könnte ich vielleicht dort ein Plätzchen für immer finden.

SZ: In welchem Stadtteil leben Sie?

Jackson: Das verrate ich Ihnen nicht!

SZ: Ost- oder West-Berlin?

Jackson: Ist das noch wichtig? Wie man über Berlin denkt und wie man es sieht, hängt sehr damit zusammen, wann man zum ersten Mal dort war und wie alt man da war. Ich kannte es gut, als es noch geteilt war, ich habe das noch in meinem Kopf.

SZ: Haben Sie den Osten besucht?

Jackson: Ich war im Osten damals, als Tourist, das war sehr skurril. Ich war mit einem polnischen Führer dort, der irgendwie aus Polen geflüchtet war. Er war voller Hass auf das kommunistische System. Sein einziger Grund, mich durch Ost-Berlin zu führen, war, mir zu zeigen, wie schlecht es ist. Wir kamen an einer Kneipe vorbei und er sagte: Ah, sie mögen also deutsches Bier. Ja, das bekommen sie in Ost-Berlin nicht. Das war alles surreal.

SZ: Was hat Sie nach Berlin gezogen?

Jackson: Es verbindet viele Dinge, die man in anderen Städten nur einzeln bekommt. Es ist sowohl sehr intensiv als auch sehr entspannt. Es ist eine Metropole, aber man fühlt sich nie von Menschen bedrängt. Sehr widersprüchlich. Sehr kulturell, aber auch sehr dekadent. Sehr cool.

SZ: REM haben dort gerade aufgenommen in den Hansastudios, und auch viele andere internationale Künstler kommen dorthin. Treffen Sie sich manchmal, so wie David Bowie, John Cale, Iggy Pop und all die anderen in den Achtzigern?

Jackson: Ja, manchmal trifft man Leute von überallher. Das ist schon großartig. Aber wir machen uns auch Sorgen über die Zukunft von Berlin. Verliert es nicht das, was wir an ihm lieben? Wird es nicht zu sehr wie London? Das ist ein schrecklicher, gesichtsloser Platz gerade.

SZ: Ist Berlin ein Ort der Kreativität?

Jackson: Auf jeden Fall. In New York und London hat das Geld schon die Kreativität herausgequetscht.

SZ: Was war ihr letzter Konzertbesuch in Berlin?

Jackson: Ein atemberaubendes Konzert mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern: Mahler. Einfach phänomenal. Und die Pogues habe ich gesehen.

SZ: Das spiegelt in etwa die Extreme Ihrer Musik wider: Sie haben sich an Punk gewagt und an symphonische Werke.

Jackson: Ich habe nie Musik gemacht, die zu einem besonderen Genre gehört. Das war alles ein Mix von Stilen. Ich plane das nicht, ich mache das nicht, weil ich denke, es sei clever, das passiert einfach. Ich folge meinen Instinkten. Das ist sehr intuitiv, kein intellektueller Prozess. Ich versuche immer etwas zu finden, das für mich selbst aufregend ist. Und ich hoffe, dass meine Begeisterung ansteckend ist.

SZ: Junge Bands sind gerade verrückt nach dem Synthiepop und New Wave der Achtziger, von denen Sie ein Teil waren.

Jackson: Das ist so irre, weil das war das schlimmste Musikjahrzehnt aller Zeiten. All diese schrecklich kitschigen Synthesizer und Drumcomputer, der Schwulst! Die Siebziger waren viel interessanter. Auch die Neunziger wurden dann besser.

SZ: Ihre Musik war immer sehr speziell. Man konnte nie vorhersagen, was als nächstes von Ihnen kommen würde.

Jackson: Das ist ein großes Kompliment. Sie haben mich gerade an etwas erinnert, das ich von Leonard Bernstein über Beethoven gelesen habe. Beethoven ist mein Lieblingskomponist. Bernstein sagte: "Ich habe mich lange gefragt, was Beethovens Musik so großartig macht. Jetzt bin ich draufgekommen: Sie ist zugänglich, ohne gewöhnlich zu sein." Das ist so simpel wie fundiert. Musik sollte die Leute berühren, darf aber nicht klingen wie irgendwas, das sie vorher gehört haben.

SZ: Die Musik, die sich am besten verkauft, ist sehr vertraut und vorhersagbar.

Jackson: Ja, aber sie hat ein sehr kurzes Leben.

SZ: Sie wollen gar nicht viel verkaufen?

Jackson: Ach, das würde mich nicht stören, wenn's passiert. Aber das ist total jenseits meiner Kontrolle. Natürlich könnte ich versuchen, Hits zu schreiben, viele Kollegen tun das, und viele Leute glauben, wir als Künstler können uns entscheiden, ob wir Hits haben wollen oder nicht. Aber diese Wahl haben wir nicht. Viele da draußen geben sich verdammt viel Mühe, den Leuten zu gefallen und Hits zu haben - und haben überhaupt keinen Erfolg. Und es gibt Leute, die sich um nichts scheren und nur Musik machen, die sie selbst lieben, und vielleicht haben die großen Erfolg. Man sollte also nur das machen, was man liebt.

SZ: Vor ein paar Jahren spielten Sie im Münchner Circus Krone zuerst solo am Klavier und dann gemeinsam mit Todd Rundgren und Streichern. Warum sind Sie danach wieder mit dem Bassisten Graham Maby und dem Schlagzeuger Dave Houghten zusammengekommen, mit denen Sie vor fast 35 Jahren spielten?

Jackson: Das sind gute Jungs, wir sind immer noch Freunde, sie sind großartige Musiker, und sie sind sehr vielseitig. Als wir diese Trio-Geschichte probierten, hatten wir so viel Spaß, wir sagten immer: Okay, noch ein Jahr. Und dann noch eins. Dann haben wir einfach weitergemacht. Wir finden immer noch Neues, was wir tun können. Zum Beispiel spielen wir jetzt auf dieser Tour ein paar Songs von "Blaze of Glory" von 1989, einem Album, das wir mit einer 16-Mann-Band aufgenommen hatten. Wir haben einen Weg gefunden, das als Trio zu spielen.

SZ: Das Trio bringt Ihnen also mehr Spaß und mehr Möglichkeiten?

Jackson: Sehr viel mehr Möglichkeiten. Solo kann ich nur ein paar Songs spielen. Nach einer Dreiviertelstunde wird's hart fürs Publikum. Und langweilig für mich. Mit dem Trio haben wir ein Repertoire von 60 Songs und können jede Nacht etwas anderes spielen. Das ist Freiheit!

SZ: Fehlt nur Gary Sanford, Ihr alter Gitarrist. Wo steckt der?

Jackson: Das weiß ich nicht. Wir haben keinen Kontakt mehr.

SZ: Brauchen Sie keine Gitarre? Sie haben immer noch so etwas wie eine Rockband?

Jackson: Ich weiß nicht, welche Art von Band wir sind, aber wir kommen ganz gut ohne Gitarre zurecht.

SZ: Wofür steht der Titel "Rain" Ihres Albums, das Sie zu dritt in Ihrer Wohnung in Berlin aufgenommen haben?

Jackson: Als ich die Songs geschrieben habe, regnete es ständig, und ebenso, als wir das Album aufnahmen. Ich mag Regen. Regen verbinde ich nicht mit Traurigkeit. Dann ist da noch der Song: "A Place in the Rain". Es geht darin darum, dass einen die Welt ankotzt, und man möchte an einen besonderen Ort gehen, der friedlich ist, und das vielleicht mit einer einzigen anderen Person teilen. Und ein Platz an der Sonne ist doch nur ein Klischee. Ein Platz im Regen ist doch schöner.

SZ: Im Song "Citizen Sane" beschweren Sie sich über den Gesundheitswahn...

Jackson: Moment, ich habe nichts dagegen, gesund zu sein. Das Thema wird nur benutzt, um Menschen zu ängstigen und zu kontrollieren. Und das ist ganz und gar nicht gesund. Die Leute, die früher das Sagen hatten, mussten, um die Macht zu behalten, behaupten, dass Gott auf ihrer Seite ist. Oder Karl Marx. Aber das funktioniert heute nicht mehr. Der einzige Weg, Macht zu behalten, ist heute, die Leute zu ängstigen. In Großbritannien hat uns die Regierung nichts Positives mehr zu geben. Alles was sie können, ist Ängste zu schüren und zu behaupten, sie könnten uns beschützen. Das verwandelt Erwachsene zurück in Kinder. Und es nimmt dem Leben den ganzen Spaß.

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