Süddeutsche Zeitung

Jazz-Konzert:Minimalismus mit furiosen Finalen

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Das renommierte David-Helbock-Trio Random/Control schwelgt in Pullach

Von Ulrich Möller-Arnsberg, Pullach

Die Bühne im Bürgerhaus sieht aus wie ein Labor für instrumentale Experimente. Links ein Flügel, in der Mitte eine Sammlung von Saxophonen und Klarinetten, rechts ein Teppich, auf dem sich allerlei Spielzeug tummelt - vom elektrischen Schlagzeug, über Trompete, Flügelhorn und Tuba bis zum riesigen Sousaphon. Und ganz hinten liegt auch noch ein Alphorn für den späteren Einsatz bereit. So eine maximale Anordnung ist auch nötig, wenn das David-Helbock-Trio Random/Control zu Gast ist. Aber erst mal beginnt der Abend minimalistisch. Holzbläser Andreas Broger greift zur Bassklarinette, spielt einen sich wiederholenden einfachen Lounge-Groove. Pianist David Heldbock wechselt immer wieder seine Stellung zwischen Tastatur und Resonanzkasten, um vereinzelte Geräusche hervorzuzaubern, und Blechbläser Johannes Bär steuert ein paar Echos aus dem Effektgerät bei. Erst nach einer Weile legt das Trio unvermittelt los, schwelgt volltönend symphonisch, um sich schließlich wieder im Minimalismus zu verlieren. Ein Auftakt, der typisch ist für die drei Musiker und gleichzeitig nur eine Facette in einem vielseitigen Programm.

Kreuz und quer geht es durch das Repertoire verschiedener Alben, die Helbock als Künstler des Münchner Jazzlabels ACT in den vergangenen Jahren veröffentlicht hat. Zunächst geht es um die CD "Tour d`Horizon", die die drei Musiker 2018 aufgenommen haben. Standards sind das, denen sich die Österreicher raffiniert durch die Hintertüre nähern. Bei "Mercy, Mercy" etwa, 1966 von dem legendären Jazzrock Keyboarder Joe Zawinul für die Sängerin Esther Marrow geschrieben, zäumen Helbock, Broger und Bär dermaßen das Pferd von hinten auf, dass im Kopf erst ankommt, worum es geht, nachdem die Füße es schon längst kapiert haben. Ihre Interpretationen sind dramaturgisch zudem klug gesetzt. Auf druckvolles Spiel folgt sphärische Entspannung bei der Miles Davis-Nummer "Blue in Green". Bei "African Marketplace" von Dollar Brand klingen Helbock und seine Kollegen erst wie eine marschierende Brass Band, bevor das Stück in einem kolossalen Alphorn-Solo von Johannes Bär endet. Nach der Pause schaltet das Trio von Experiment einen Gang zurück auf eine Shuffle-Jazz-Nummer, bevor Helbock die Kuhglocken rausholt und sich das Trio in einen Blues verliert. Dann wird`s ein bisschen politisch. Der Pianist zitiert den Schriftsteller Erich Fried und dessen Text über Freiheit. "Zu sagen, hier herrscht Freiheit", sei ein Irrtum, Freiheit herrsche nicht. Die drei Jazzmusiker können sich das gut erlauben, denn in ihrem Trio scheint sich spielerisch zu lösen, wann wer ein Solo spielt, wann wer im Hintergrund wirkt, und wann wer vom anderen das musikalische Motiv in die Hand nimmt, um damit zu führen. An dieser Stelle wechselt das Programm auch passend zu Helbocks jüngstem Album "The new cool", das eine Hymne an die Freiheitskämpferin Sophie Scholl enthält. Der Abend entspannt sich noch einmal mit einem Soul-Titel, bevor mit "Spain" von Chick Corea ein furioses Finale folgt, mit Anklängen an Flamenco-Elemente. So aufzuhören geht natürlich nicht, vor allem, wenn im Publikum begeisterte Fans sitzen, die zum Teil selbst Musiker sind und noch zwei Zugaben herausklatschen. Wie wichtig solche Konzerterlebnisse gerade jetzt sind, nachdem kulturelle Angebote lange Zeit ausgefallen sind, dies wurde einmal mehr durch die Reihe Jazz & More deutlich. Der Hunger auf mehr war spürbar.

Nächster Termin in der Reihe Jazz & More: Die US-Sängerin Norisha Campbell und ihre Band, 17. November, 20 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2021
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