Der Anblick der gelb-schwarz gestreiften, lächelnden Figur auf Rollen weckt schlagartig Erinnerungen. „Jedes Kind hat diese Bücher gehabt“, sagt Holger Weinstock von der Galerie Kersten in Brunnthal. Tigerente, Bär und Tiger haben zahlreiche Generationen beim Aufwachsen begleitet. Mit dem Älterwerden landeten die Bücher wohl allerdings meist im Keller. Doch das ist kein Grund, ihren Schöpfer abzuschreiben.
Janosch hat viel mehr zu bieten als die vor allem bei Kindern beliebten Figuren, wie eine Ausstellung in der Galerie Kersten zeigt. Wer sich darauf einlässt, kann in den Werken des mittlerweile 93-jährigen Illustrators mitunter sarkastische, gesellschaftskritische oder gar erotische Facetten entdecken.
Letztere zeigen sich vor allem in der „Ecke der Rothaarigen“, wie Weinstock sie nennt. „Janosch hat auch die Frauen geliebt.“ Eben insbesondere diese Rothaarige, seine Muse, oft Marie genannt. Auf mehreren Grafiken blickt sie in Brunnthal dem Betrachter entgegen. Um wen es sich dabei handelt, ist bis heute ein Geheimnis. Janoschs Ehefrau heißt jedenfalls Ines. Liebe – nicht nur zu Marie oder Ines – oder Familienleben sind wiederkehrende Themen in Janoschs Werken, ebenso wie die gelb-schwarz gestreifte Tigerhose. „Die Elemente wiederholen sich“, sagt Weinstock, „sind aber doch immer wieder individuell gestaltet“.
Seit mehr als 25 Jahren arbeitet der Galerist eigenen Worten zufolge mit Janosch zusammen. Zu einer Ausstellung im Jahr 2015 war der Künstler, der mit bürgerlichem Namen Horst Eckert heißt, persönlich in Brunnthal zu Besuch. Eine weitere Schau gab es 2018, die bislang letzte schließlich vor drei Jahren anlässlich des 90. Geburtstags des Illustrators in der Filiale am Viktualienmarkt. Eigens dafür gestaltete Janosch eine Grafik mit dem Titel „München in seiner Pracht“. Konventionen waren nie Janoschs Sache, das merkt man schnell, wenn man durch die Ausstellung streift. An der Kunstakademie sei dem angehenden Grafiker einmal gesagt worden, er könne keine geraden Linien malen, erzählt Weinstock. Stattdessen entstand der „berühmte Zitterstrich“, der für den Galeriechef mindestens genauso interessant ist: „Wenn alles ganz akkurat wäre, wäre es langweilig.“
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Weinstock selbst faszinieren an Janoschs Werk am meisten die besonders verrückten Kreationen. Er zeigt auf ein Bild, das auf den ersten Blick aussieht, als hätte ein Kind sich mit dem Farbkasten ausgetobt. In grellbunten Farben ist eine Vogelgestalt ausgemalt, darüber sind in krakeliger Schrift Satzfetzen notiert, scheinbar unzusammenhängende Gedanken: „Dann kam eine fatale Denkperiode über mich“, ist zu lesen, oder „Ende der Sonate“. Solch rätselhafte Andeutungen findet man immer wieder in Janoschs Werken. In mehreren Grafiken etwa tauchen mysteriöse Zahlen auf, deren Bedeutung sich dem Betrachter nicht erschließt.
Diese Vielschichtigkeit ist für Weinstock nur einer von vielen Gründen, Janosch nicht nur auf sein Werk als Kinderbuchautor zu reduzieren, sondern auch als Künstler für Erwachsene zu betrachten. Seine Bilder und Zeichnungen strotzen vor Witz, sein Humor ist manchmal frivol, ironisch, sarkastisch. Kinder würden zwar die bekannten Figuren wie den Tiger und den Bären auf den Bildern erkennen, interpretieren könnten sie die Texte, die das Gemalte oft begleiten, jedoch noch nicht. „Das Verständnis ist erst bei den Erwachsenen da“, sagt Weinstock. Etwa auch für die Bedeutung der vielen kirchenkritischen Grafiken des Künstlers. Der wuchs in Oberschlesien auf, seine Mutter war streng katholisch. In einer jesuitischen Jugendgruppe machte er laut Weinstock mit den Glaubensleuten schmerzhafte Erfahrungen – Erlebnisse, die er nie ganz überwand und immer wieder in seiner Kunst verarbeitete.
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So lässt Janosch auf einer Grafik einen Priester als „Soldat Gottes“ mit Stahlhelm marschieren oder lässt einen Geistlichen sich wortwörtlich „aufs Kreuz legen“. Trotz der kaum übersehbaren Kritik: „Janosch ist nie nur böse“, wie Weinstock sagt. Auch ernst zu nehmende Themen verarbeite er immer mit Leichtigkeit. „Er ist ein Künstler, der einen ganz besonderen Witz hat.“
Die Janosch-Ausstellung ist bis zum 6. Juli in der Galerie Kersten in Brunnthal zu sehen. Geöffnet hat sie montags bis freitags von 9 bis 12.30 Uhr und von 14 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 13 Uhr.