Hasenbergl: Hans-Jochen Vogel:"Die Menschen haben sich dort wohl gefühlt"

Der Ruf des Hasenbergls ist mies - zu Unrecht, findet Münchens Alt-OB Hans-Jochen Vogel. Im SZ-Gespräch erzählt er über die Anfänge des Stadtteils.

Claudia Wessel und Peter Oberstein

In den 60er Jahren gab es zu Großprojekten eine wesentlich unverkrampftere Haltung als heute. Es herrschte ein ungebrochener Fortschrittsglaube, mit großen Infrastrukturprojekten sollte die Lebenssituation der Menschen verbessert werden. Claudia Wessel und Peter Oberstein haben mit Hans-Jochen Vogel gesprochen, in dessen Amtszeit als OB das Hasenbergl gebaut worden ist.

SZ: 1960 wurde der Grundsteinlegung für die - wie es damals hieß - neue Großsiedlung am Hasenbergl gelegt. Sie waren erst kurz zuvor als Oberbürgermeister vereidigt worden. Erinnern Sie sich noch an diesen Termin vor 50 Jahren?

Hans-Jochen Vogel: Ich erinnere mich sehr lebhaft an diesen Tag! Es war, glaube ich, der 25. Mai. Ich habe am 1. Mai mein Amt angetreten und das war die erste Amtshandlung, die eine größere öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat. Es war alles noch eine leere Fläche und wir hatten wunderbaren Sonnenschein. Es war die Freude darüber zu spüren, dass man dort innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeit Wohnungen für 25 000 Menschen bauen werde. Es gibt auch Bilder, auf denen ich zu sehen bin wie ich ganz stolz mit Amtskette eine Rede halte.

SZ: Hat diese Erinnerung ihre enge Verbindung mit dem Hasenbergl geprägt?

Vogel: Das Hasenbergl ist ein Stadtviertel, das mir sehr am Herzen liegt - sicherlich auch wegen dieser Grundsteinlegung.

SZ: Die Planungen für die neue Großsiedlung stammten noch aus der Amtszeit ihres Vorgängers, Thomas Wimmer. Hätten Sie es denn genauso geplant?

Vogel: Ja. Das waren ja hervorragende Leute, die diese Pläne entworfen haben. Ernst-Maria Lang hat den städtebaulichen Entwurf zusammen mit den Architekten Helmut von Werz und Johann Christoph Ottow gemacht - das waren nun wirklich erste Adressen. Wir hatten keinen Anlass, an diesen Entwürfen Wesentliches zu ändern. Auch an den Baumaßnahmen waren namhafte Architekten beteiligt.

Die Wohnungsnot war groß

SZ: Die Architekten orientierten sich an Mustersiedlungen, die den Menschen genügend Raum, viel Grün und allen viel Licht bringen sollten. Kann man sagen, dass das Hasenbergl ein optimistisches Projekt war?

Hans-Jochen Vogel bei Grundsteinlegung zur Siedlung "Am Hasenbergl"

Hans-Jochen Vogel (Mitte) bei Grundsteinlegung zur Siedlung "Am Hasenbergl" im Jahr 1960.

(Foto: sz.sonstige)

Vogel: Es war in erster Linie ein zwingendes Projekt. Man hat heute keine rechte Vorstellung mehr davon, was Wohnungsnot damals bedeutet hat. Es war ja schon Erhebliches in der Zeit vor 1960 in der Amtszeit von Thomas Wimmer geleistet worden. Aber die Zahl der Wohnungssuchenden wurde damals in München immer noch auf etwa 150.000 geschätzt. Und sie hat sich durch den starken Zuzug nach München immer noch weiter erhöht. Daher war es zwingend Wohnungen zu bauen, und es war insbesondere zwingend, etwas für die sozial Schwächeren zu tun.

SZ: Das tat man auch. Das Förderungsprogramm trug seinerzeit den Titel "für Sowjetflüchtlinge und Minderbemittelte". Hat man aber die Ballung von armen Menschen in einem Stadtviertel damals nicht als Problem angesehen?

Vogel: Es ging erstens darum, die Wohnungsnot zu bekämpfen. Sie war eine existenzielle Not für die Menschen. Und es ging zweitens darum, die vom Staat in seinen Haushaltsplänen ausgewiesenen Mittel nicht verfallen zu lassen. Im übrigen, dass die Menschen sich dort wohlgefühlt haben, war offensichtlich. Als nämlich 1964 der Vorschlag kam, man solle die Siedlung umbenennen, und als sich 1968 der Spiegel in ungewöhnlicher Weise über diese Siedlung äußerte, gab es einen Aufstand der Menschen. Sie war eben zur Heimat geworden für die Bewohner.

SZ: Viele, die von Anfang an dort wohnen, Bewohner der ersten Stunde erzählen das heute noch. Sie kamen aus beengten Unterkünften in Wohnungen, die Komfort boten, wie zum Beispiel eine Zentralheizung.

Vogel: Wenn Sie sich vorstellen, dass eine fünfköpfige Familie in einer Unterkunft mit eineinhalb Zimmern gelebt hat, und nun unter weit besseren Bedingungen leben konnte, dann ist das natürlich eine enorme Lebensverbesserung gewesen.

SZ: Wenn alle so glücklich waren, wie kam es dann zu dem schlechten Ruf?

Vogel: Das ist schwer erklärbar. Jedenfalls kam der schlechte Ruf nicht von den dort wohnenden Menschen. Ich spreche immer nur für meine Zeit, ich habe über die Weiterentwicklung keine Urteile abzugeben. Aber damals fühlten sich die Menschen wohl am Hasenbergl. Wenn Sie dafür einen weiteren Zeugen wollen, dann erinnere ich an den Pfarrer Otto Steiner, der sich um die sozialen Strukturen sehr große Verdienste erworben hat. Warum der Spiegel damals in dieser Weise über das Hasenbergl geschrieben hat, das weiß ich nicht und habe es mir auch damals nicht erklären können. Aber ich habe mich gefreut über den entschiedenen Protest, den das ausgelöst hat. Wenn auch nur ein geringer Prozentsatz dieser Kritik wahr gewesen wäre, dann hätten sich doch nicht die betroffenen Menschen so dagegen gewandt.

SZ: Das tun sie immer noch.

Vogel: Ja, und zwar mit Recht.

Wohnungen für besonders prekäre Fälle

SZ: Das Hasenbergl ist größtenteils ein ruhiges Stadtviertel, wie viele andere in München. Einen sozialen Brennpunkt gibt es nur im Norden wo auch schon früher Unterkünfte für Flüchtlinge standen. Das war das so genannte Frauenholz.

Vogel: Zunächst eine Bemerkung zur Vergangenheit. Es gab damals im Frauenholz Wohnungen für besonders prekäre Fälle. Dort hat man die wohnungsrechtlichen Verhältnisse nicht durch Mietverträge, sondern durch eine städtische Satzung geregelt. Im strengen Sinne gehört das Frauenholz gar nicht zum Hasenbergl. Aber das war sicherlich ein Bereich mit sozialen Problemen. In der Außenbetrachtung wurde er sehr schnell mit dem Hasenbergl verbunden und vielleicht hat auch der Spiegel-Artikel in erster Linie das Frauenholz gemeint und nicht das Hasenbergl.

SZ: Sind Sie heute noch manchmal im Hasenbergl?

Vogel: Gelegentlich. In meiner Amtszeit bin ich regelmäßig dort gewesen.

SZ: Sie haben dort große Erfolge gefeiert.

Vogel: Ich erinnere mich mit einer gewissen Freude daran, dass bei meiner Wiederwahl im Jahr 1966 der Prozentsatz derer, die am Hasenbergl für mich gestimmt haben, bei 90 Prozent lag. Stadtweit waren es 78 Prozent. Aber am Hasenbergl war es noch ein bisschen höher. Einmal war übrigens auch Helmut Schmidt nach einer Kundgebung am Hasenbergl. Ich erinnere mich, wie er eine Weile dort saß und einen Trachtenhut, den man ihm geschenkt hatte, für fünf Minuten auf dem Kopf trug, wahrscheinlich zum einzigen Mal in seinem Leben.

SZ: Die 60er Jahre waren von einer großen Aufbruchsstimmung geprägt. Warum gibt es die heute so nicht mehr?

Vogel: Damals war eine Aufstiegserwartung weit verbreitet. Viele können sich heute die Lebenssituation der Menschen nach 1945 nicht mehr vorstellen. Der Aufstieg in den 50er Jahren war eine gewaltige Leistung. Das gilt auch noch für die 60er Jahre. Es war nicht die Stimmung einer unsicheren Lage oder die Frage: stürze ich womöglich sozial ab. Das allgemeine Lebensgefühl wies nach oben. Diese Sicherheit existiert heute nicht mehr.

SZ: Bis heute haben Kinder aus sozial schwachen Familien, wie es sie im Hasenbergl gibt, nicht die gleichen Bildungschancen wie Kinder aus wohlhabenden Familien. Wird auf diese Schieflage nicht viel zu wenig aufmerksam gemacht?

Vogel: Das würde ich nicht so sehen. Das Thema der Verbreiterung der sozialen Kluft zwischen Arm und Reich ist auf vielen politischen Ebenen sehr aktuell. Und so weit ich das sehe, ist die Stadt auch weiß Gott bemüht, den Schwächeren zu helfen. Wenn Sie das Thema Bildung ansprechen, dann ist es auch interessant, dass die einzige Gesamtschule Bayerns am Hasenbergl existiert. Aber: Es bedarf jetzt wirklich großer Anstrengung. Ich bin deshalb sehr enttäuscht, dass bei dem Sparpaket der Bundesregierung die soziale Gerechtigkeit einfach beiseite geschoben worden ist. Sicher, man muss auch im sozialen Bereich sparen. Aber zu sagen, dass die mit den hohen Einkommen außen vor bleiben, das ist eine krasse soziale Fehlentscheidung.

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